Grüne plädieren für Abrüstung im Streit ums Urheberrecht

"Vergüten statt verfolgen" lautet das Motto der Oppositionspartei, das sie in den Vordergrund einer Fachtagung gestellt hat. Aus der Wissenschaft war zu hören, dass soziale Normen zum Teil Schutzrechte ersetzen könnten.

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"Vergüten statt verfolgen" lautet das Motto der Grünen, das die Oppositionspartei in den Vordergrund einer Fachtagung zum Urheberrecht an diesem Wochenende in Berlin gestellt hat. "Wir benötigen eine Art von Abrüstung", befand Jeanette Hofmann, Direktorin des von Google geförderten Alexander-von-Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft. Die für die Grünen in der einschlägigen Enquete-Kommission des Bundestags sitzende Forscherin bemühte sich angesichts des "verkanteten Dialogs zwischen Urhebern und Nutzern" zu zeigen, dass das Urheberrecht in bestimmten Märkten gar keine zentrale Rolle spiele und soziale Normen oft wichtiger seien.

Die Direktorin des Alexander-von-Humboldt-Instituts, Jeanette Hofmann, und der Blogger Markus Beckedahl halten wenig vom Leistungsschutzrecht.

Als Beispiele nannte Hofmann die Bereiche Comedy und TV-Formate. So seien Witze genauso wenig urheberrechtlich geschützt wie Sendungen à la "Big Brother". Trotzdem gebe es einen regen Handel mit Lizenzen. Dies liege daran, dass relativ strikte soziale Vorgaben den Umgang mit Einfällen Dritter innerhalb der überschaubaren Communities von Witzeerzählern und Formaterfindern regelten. Deren professionelle Moral besage: "Imitiert nicht, sondern kauft." Die Bestimmungen seien auch sehr flexibel und spezifisch. So dürften alte, lange nicht verwendete Zaubertricks etwa frei benutzt werden, im Gegensatz zu angestaubten Witzen.

Hofmann plädierte dafür, "soziale Normen als Reformstrategie zu sehen". Nötig sei ein gesellschaftlicher Konsens, der gesetzgeberische Anpassungen des Urheberrechts tragen könne. Die Forscherin schränkte aber ein, dass die herangezogenen sozialen Konventionen nicht immer besser als das Recht seien. So sähen sie etwa keine Einschränkung der Verwerterrechte im Interesse der Allgemeinheit vor.

"Unterhalb des rechtlichen Rahmens brauchen wir soziale Regeln", stimmte Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, mit Hofmann teils überein. "Ich kopiere deshalb nicht illegal, weil ich den Künstlern und Verwertern ihre Einkommensmöglichkeiten nicht nehmen will", brachte er ein Beispiel für eine solche Norm. Generell "kommen wir ohne etwas wie ein Urheberrecht aber nicht aus", fügte der Kulturmanager an. Einen Vergütungsansatz über Micropayment-Lösungen wie flattr bezeichnete er als unzureichend: Künstler könnten nicht dauerhaft auf ein System setzen, in dem erst nach Nutzung eines Werks möglicherweise eine kleine Summe gezahlt werde.

Der Chefredakteur von "Zeit Online", Wolfgang Blau, erinnerte daran, dass "fast jeder Teilnehmer der Debatte Partei ist oder eigene Interessen hat". Auch bei vielen Verlagen habe es lange ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber dem Netz gegeben. Es stellten sich mit dem digitalen Zeitalter Identitätsfragen nach dem Wesen eines Schriftstellers oder Herausgebers, wenn sich jetzt jeder als Autor bezeichnen könne. Mit dem vom Bundeskabinett gerade beschlossenen Entwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger ging Blau scharf zu Gericht. Dieses lasse die Regierung "seltsam netzfremd oder gar zynisch erscheinen". Vorausgegangen sei eine Machtprobe, die zunächst "der Springer-Verlag gewonnen hat". Letztlich könne aber auch das schärfste Urheberrecht nicht verhindern, dass das Internet das Verlagsgeschäft aus den Angeln hebe.

"Das Urheberrecht ist zu kompliziert", konstatierte Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl. "Wenn wir als Nutzer aktiv sind, begehen wir fast ständig Rechtsverletzungen." Statt zu vereinfachen, schaffe die Bundesregierung mit dem Leistungsschutzrecht nun weitere Komplikationen. Einer Inanspruchnahme von Netzgrößen wie Google oder Facebook zur Vergütung von Kreativen wollte er sich aber nicht ganz verschließen. So warf er die Frage auf, ob eventuell für jeden auf sozialen Netzwerken geteilten Link auf einen Artikel oder ein sonstiges geschütztes Werke ein Kleinbetrag an die Autoren überwiesen werden könnte.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth fordert neue Vergütungsmodele für Künstler.

Grünen-Vorsitzende Claudia Roth gab die Parole aus: "Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen um ihren gerechten Lohn betrogen werden." Viele Kreative hätten Angst, nicht mehr von ihrer Arbeit leben zu können. Illegales Filesharing treffe vor allem junge und unbekannte Künstler. Diese würden auf Endlos-Tour geschickt, da nur noch über Konzerte Gewinne erzielt werden könnten. Nötig seien daher neue Vergütungsmodelle, wobei die Grünen die Kulturflatrate "vorgedacht" hätten. Andererseits dürften nicht weiter Hunderttausende Nutzer kriminalisiert werden: "Am Abmahnwesen wird die Kultur nicht genesen."

Ein einfaches "Weiter so" sei genauso falsch wie ein Verharren beim Status quo, ergänzte Roths Kollege Malte Spitz aus dem Bundesvorstand. Er erinnerte an den Grundsatzbeschluss der Grünen zur Netzpolitik, wonach Filesharing und andere Kopierhandlungen für private Zwecke unter eine "Bagatellgrenze" fallen sollen. Der schwarz-gelben Koalition, der SPD, die seit Kurzem fast im Sinne der Grünen für "Vergüten statt verbieten" plädiert, und der Piratenpartei warf er verfehlte Urheberrechtspositionen vor. Letztere etwa meine, der Mehrheit nach dem Mund reden zu müssen, ohne sich um den Rest zu kümmern.

(uk)