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DVB-T2 und die Zukunft des terrestrischen Fernsehens

Auf der International Conference on Consumer Electronics am Rande der IFA wurde über die künftige Entwicklung des terrestrischen Fernsehens diskutiert.

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Von
  • Richard Sietmann

Die Diskussion über die Zukunft des terrestrischen Fernsehen ist voll entbrannt. Anfang des Jahres hat die World Radio Conference die Umwidmung des 700-MHz-Bandes (694-790 MHz) zugunsten von Mobilfunkdiensten auf die Tagesordnung der nächsten, für das Jahr 2015 anberaumten Vollversammlung (WRC-15) gesetzt. Und am Montag erklärte die EU-Kommission, dass sie dem gestiegenen Bedarf an Frequenzen für mobile Funktechniken Rechnung tragen wolle, indem sie die sogenannten White-Space-Techniken zur Mitnutzung des bislang ausschließlich für die Fernsehübertragung reservierten Spektrums fördert.

In der von der Informationstechnischen Gesellschaft des VDE gemeinsam mit dem IEEE auf der IFA veranstalteten International Conference on Consumer Electronics (ICCE-Berlin) war die Zukunft der Terrestrik ebenfalls ein Thema. Dort setzte sich der Leiter des Instituts für Nachrichtentechnik (IfN) der TU Braunschweig, Professor Ulrich Reimers, mit den Optionen auseinander, die seiner Ansicht nach für das klassische Antennenfernsehen bestehen.

Nach dem jüngsten Digitalisierungsbericht wird DVB-T derzeit von etwa 12,5 Prozent der Haushalte in Deutschland genutzt. Zur Umstellung auf den leistungsfähigeren Nachfolgestandard DVB-T2 kämen drei Szenarien in Frage, die bei der Auswertung des DVB-T2 Modellversuchs Norddeutschland erarbeitet und in dem auf der IFA der Deutschen TV-Plattform übergebenen Abschlussbericht dargestellt wurden. Danach zielt das erste Szenario in erster Linie auf die Optimierung des Empfangs für portable und mobile Endgeräte, das zweite beschränkt sich in der Bildqualität auf SDTV+ für den Empfang durch stationäre wie auch portable und mobile Empfänger, und das dritte Diensteszenario würde primär stationäre HDTV-fähige Endgeräte adressieren.

In seinen Ausführungen blickte Reimers, der zwei Jahrzehnte lang maßgeblich die Digitalisierung des Rundfunks prägte und in diesem Jahr die Leitung des Technical Module im DVB-Konsortium an den Briten Nick Wells von der BBC übergab, dann über DVB-T2 hinaus. "Ich glaube, es ist an der Zeit, die duale Nutzung des Rundfunkspektrums ins Auge zu fassen." Vor dem Hintergrund der heftigen Verteilungskämpfe um die Frequenzressourcen stellte er zwei Entwicklungen seines Instituts vor, die als Plattformen eines geregelten Miteinander der konkurrienden Nutzungsarten dienen könnten.

So zielt Dynamic Broadcast auf die Arbeitsteilung zwischen der klassischen Funkverteilung und anderen Breitbandnetzen. Das System ist in der Lage, den Übertragungsweg entsprechend dem Kapazitätsbedarf frei zu wählen und dabei die Belegung der Sendefrequenzen zu verändern. Je mehr die Sender Inhalte ins Breitbandnetz verlagern, desto mehr Frequenzen werden frei, die dann zumindest zeitweise für sekundäre Nutzungen wie beispielsweise WLANs zur Verfügung gestellt werden können. Während die Ansätze zur Nutzung freier Bereiche im TV-Spektrum, wie sie derzeit in den USA und Großbritannien verfolgt werden, im wesentlichen statisch sind, indem sie bestimmte Frequenzen in Gebieten außerhalb der Sendegebiete für anderweitige Funkanwendungen öffnen, würden hier die "weißen Flecken" zeitlich variabel ermittelt und ein Spektrum-Server den Usern beziehungsweise ihren Endgeräten das verfügbare Spektrum dynamisch anhand einer Datenbank zuteilen.

Eine weitere Option für die Zukunft sieht Reimers in der stärkeren Integration der terrestrischen TV-Programmverbreitung mit dem Mobilfunk, konkret von DVB-T2 und LTE-Advances (LTE-A). Dazu bedürfte es aber neuer Architekturen, denn schon aufgrund des viel zu hohen Aufwands an Overhead und Steuerdaten würde die engmaschige Zellstruktur des Mobilfunks dem massenhaften und flächendeckenden Streaming von TV-Programmen nicht standhalten – selbst mit dem in LTE bisher vorgesehenen "enhanced Multimedia Broadcast Multicast Service" (eMBMS). "Systeme wie eMBMS bleiben zellular und können da nicht helfen", erklärte Reimers, und wies zugleich darauf, dass die meisten derzeit aufgebauten LTE-Netze noch nicht einmal für eMBMS ausgerüstet sind.

Eine "absolut LTE-freundliche Lösung" wäre aber das am IfN entwickelte Konzept, das LTE-Zellnetz durch ein großmaschiges Sendernetz für die Punkt-zu-Multipunkt-Übertragung zu entlasten. Die Voraussetzungen für solch ein "Tower-Overlay" biete LTE-A mit der Möglichkeit zur sogenannten Carrier Aggregation, der Kapazitätserweiterung durch die Kopplung von Trägern aus unterschiedlichen Frequenzbändern. "Mit der Carrier Aggregation nimmt man im Grund verschiedene Stücke des Spektrums und macht daraus einen virtuellen Kanal", erläuterte Reiners.

Die Zukunft der Terrestrik steht derzeit in allen Weltregionen auf dem Prüfstand. In diesem Jahr formierte sich die Initiative "Future of Broadband Television" (FOBTV). Zu den Mitgliedern gehören unter anderem die Organisationen Advanced Television Systems Committee (ATSC), Digital Video Broadcasting Project (DVB), National Engineering Research Center of Digital TV of China (NERC-DTV), NHK Science and Technology Research Laboratories (NHK), die hinter den vier terrestrischen Digital-TV-Standards stehen, die sich mit unterschiedlichen Verbreitungsgebieten weltweit durchgesetzt haben: das US-amerikanische ATSC, das europäische DVB-T, das japanische ISDB-T und das chinesische DTMB. In dem Memorandum of Understanding bekennen sich die Mitglieder dazu, die Anforderungen an die nächste Generation terrestrischer Rundfunksysteme zusammen festzulegen. Auch wollen sie ihre Standardisierung aufeinander abstimmen. (anw)