Breitband killt Netzneutralität
Netzausrüster zeigten sich auf dem Jahreskongress der Deutschen Breitbandinitiative überzeugt, dass Videoanwendungen, vernetztes Fernsehen und das Smart Grid eine "Ausdifferenzierung" von Qualitäts- und Preisklassen erforderten.
Vertreter von Netzausrüstern zeigten sich auf dem Jahreskongress der Deutschen Breitbandinitiative überzeugt, dass Videoanwendungen, vernetztes Fernsehen und das Smart Grid eine "Ausdifferenzierung" von Qualitäts- und Preisklassen im Internet erforderten. Video on Demand etwa sei eigentlich "ein Horror fürs Netz", erklärte Walter Haas von Huawei Deutschland. Angesichts solcher Bandbreitenkiller "werden wir über unterschiedliche Dienstequalitäten reden müssen". Vor allem mit dem Streaming von HD-Videos sieht der Regulierungsexperte gute Möglichkeiten für die Zugangsanbieter verknüpft, "höherpreisige Anschlussprodukte zu verkaufen".
Angesichts des Vordringens intelligenter Stromzähler und vernetzter Haushaltsgeräte, die gerade bei einer Echtzeitmessung ordentliche Anforderungen an die Bandbreite stellten, hält auch Alf Henryk Wulf von Alstom Deutschland eine verschärfte Debatte um die Netzneutralität für "unausweichlich". Viele sähen das Internet als Grundrecht, räumte der Abgesandte des Energie- und Transportkonzerns ein. "Dafür bräuchten wir aber ein anderes Bezahlmodell." Er plädierte daher für gestaffelte Angebote unterschiedlicher Qualitäten bei der Übertragung von Datenpaketen, "ohne dabei jemand zu diskriminieren".
Breitbandanbieter wollen Inhalteanbieter und die Endnutzer seit Längerem für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsleitungen zur Kasse bitten und den Datenverkehr zahlender Kunden bevorzugt durchleiten. Derlei Pläne zum Aufbau von Mauthäuschen und Kontrollpunkten auf dem Datenhighway stellen aber das Prinzip des Internets als Universalnetz in Frage, das bislang allen Teilnehmern unabhängig von ihrer Finanzkraft oder Größe die gleichen Chancen einräumte. Seit neue, viel Bandbreite schluckende Anwendungen Gestalt annehmen, verschärft sich die Diskussion um das offene Internet.
Engpässe bei den Netzkapazitäten beklagt die Branche nicht direkt. "Wir stehen bei 100 MBit/s, was Anschlüsse im Heimbereich angeht", führte Udo Schäfer von Alcatel-Lucent Deutschland. Bei den Backbone-Netze seien 400 GBit/s pro Kanal gang und gäbe, bei einer Glasfaser mehrere TBit/s. Andererseits machte Schäfer deutlich: "Bei einer Größenordnung von 100 GBit/s werden wir eine Grenze einziehen müssen." Bestimmte Dienste seien dann nach einem gewissen Bandbreitenverbrauch eventuell zu drosseln.
An einem konsequenten Ausbau von Glasfasernetzen führt für Hans-Joachim Grallert vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik kein Weg vorbei. Auch wenn man den vielbeschworenen "Technologiemix" mit Mobilfunk, TV-Kabel- und Festnetz zugrunde lege, komme die Glasfaser etwa für die Verbindung von Mobilfunkzellen oder den Anschluss von Basisstellen doch immer wieder ins Spiel. Insgesamt sei eine "Individualisierung" des Netzverkehrs zu beobachten, da etwa jeder zu beliebiger Zeit Videos abrufe und dabei womöglich noch ein Fußballspiel aus unterschiedlichem Blickwinkel anschauen wolle. Für eine Übertragung von 3D-Fernsehen brauche man zudem zwei Videoströme, die den Bandbreitenhunger um Größen zwischen 20 und 50 Prozent steigerten.
Es gehe beim Ausbau von Glasfaser möglichst bis ins Haus auch um Cloud-Dienste, Social Media und wissenschaftliche Anwendungen, ergänzte Robert Henkel aus der für Kommunikationsnetzwerke zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission. Er plädierte für eine geschickte Bündelung von Technologien, um die Bandbreite insgesamt nach oben zu heben.
Hans-Joachim Otto, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zeigte sich zuversichtlich, die in der Breitbandstrategie der Bundesregierung festgehaltenen Ziele erreichbar seien. Derzeit könnten 51 Prozent der Haushalte hierzulande mit 50 MBit/s versorgt werden, nachdem Ende 2011 die Quote bei 48 Prozent lag. Bis 2014 will die Regierung für 75 Prozent und bis 2018 für 100 Prozent der Bevölkerung entsprechende Anschlussmöglichkeiten bereitstellen. Vor allem das noch sechs Jahre entfernt liegende Ziel sei aber aufgrund der "großen Wirtschaftslücke" bei den letzten 25 Prozent kaum realistisch, gab der SDP-Bundestagsabgeordnete Martin Dörmann zu bedenken. Hier seien bessere Förderungsprogramme nötig. Andreas Schuseil aus dem Wirtschaftsressort baute dagegen auf die zweite "Digitale Dividende" mit dem Freigeben weiterer, zunächst für den Rundfunk reservierte Frequenzen, die von 2015 an hoffentlich erschlossen werden könne. (jk)