Patt bei heimlichen Online-Durchsuchungen

Nach einer neuen Umfrage sind 48 Prozent der Deutschen dafür, aus der Furcht vor Terroranschlägen vorübergehend Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte wie Netzbespitzelungen hinzunehmen, 47 Prozent sind dagegen.

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Die Unterstützung für eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze in der Bevölkerung nach der Festnahme dreier Terrorverdächtiger im Sauerland ist hierzulande anscheinend niedriger als zunächst berichtet. Nach einer neuen Umfrage sind 48 Prozent der Deutschen dafür, aus Furcht vor Terroranschlägen vorübergehend Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte wie Netzbespitzelungen hinzunehmen. 47 Prozent sind dagegen. Die Sondierung führte das Emnid-Institut im Auftrag der Bild am Sonntag durch. 72 Prozent der Deutschen halten den gegenwärtigen islamistischen Terrorismus demnach für bedrohlicher als den der Roten Armee Fraktion (RAF) vor 30 Jahren. Nur 5 Prozent fühlen sich durch islamistische Terroristen persönlich bedroht.

Derweil geht das Hickhack in der großen Koalition um die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geforderte Ausforschung "informationstechnischer Systeme" unvermindert weiter. Bayerns Innenminister Günther Beckstein griff die SPD wegen ihrer abwartenden Haltung scharf an. Der CSU-Politiker ärgert sich vor allem, dass eine Sondersitzung der Innenministerkonferenz am Freitag entgegen seiner Prognose keinen Beschluss zu Online-Razzien fassen konnte: "Das Ganze ist an Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner gescheitert", schloss sich Beckstein in der Welt am Sonntag der Schelte seines CDU-Kollegen aus Niedersachsen, Uwe Schünemann, an.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) kritisierte seinen SPD-Innenminister und sprach sich "ohne Wenn und Aber" für Online-Durchsuchungen aus. "Wir müssen endlich begreifen, dass wir Aktionsraum für Terroristen sind. Ich kann mich daher über manche Positionen in der aktuellen Diskussion nur wundern", sagte der Regierungschef den Lübecker Nachrichten. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla erklärte, letztlich werde die SPD ihre Vorbehalte "aufgeben müssen". Auch der parteilose Hamburger Innensenator Nagel zeigte sich zuversichtlich, "dass alle unsere gemeinsame Verantwortung für die Sicherheit der Menschen spüren." Auch diejenigen, "die jetzt noch zögern", würden die Notwendigkeit erkennen, "den Sicherheitsbehörden die Instrumente zu geben, die sie für eine erfolgreiche Arbeit brauchen".

Stegner selbst warf Schäuble vor, beim Umbau des freiheitlichen Rechtsstaates keine Grenzen zu kennen: "Die mit badischer Unschuldsspreche verbal verharmloste Maßlosigkeit mancher Vorschläge" sei schon eine besondere Strategie, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Der SPD-Politiker hielt Unionsvertretern vor, die Sozialdemokraten beim Thema innere Sicherheit bewusst an den Pranger stellen zu wollen. Mit "intellektueller Brillanz" werde versucht, ihnen eine Mitschuld an einem statistisch irgendwann wahrscheinlichen Anschlag in Deutschland zu geben. Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) wandte sich zugleich gegen das "Märchen", dass die Polizei keinen Zugriff auf die Netzkommunikation habe: "Im Internet wird heftigst gefahndet, auch in Deutschland."

Vizekanzler Franz Müntefering rief zur Besonnenheit auf. "Der jüngste große Erfolg bei der Terrorabwehr zeigt doch, wie gut wir mit dem geltenden Recht aufgestellt sind. Also: Vorsicht." Der SPD-Politiker empfahl eine "sehr sorgfältige Prüfung in Bezug auf neue Ideen". Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries blieb bei ihrer Skepsis gegenüber dem "Bundestrojaner". Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting glaubt derweil einen Weg zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung gemäß der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gefunden zu haben: Informationen auf Computerfestplatten, die nicht verschickt oder empfangen werden, müssten weiterhin tabu sein, forderte der SPD-Politiker. "Da ist die verfassungsrechtliche Grenze. Daten, die nicht kommuniziert werden, gehen den Staat nichts an".

Für unerlässlich hält Online-Razzien dagegen der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch. Der Streit zwischen Union und Sozialdemokraten drehe sich im Kern nur noch um den gesetzlichen Rahmen, meinte der SPD-Politiker. Er plädierte aber weiter dafür, zunächst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Zudem gab er zu bedenken, dass die Inhaftierten gleichsam selbst willkürlich in "fremde Rechner eingedrungen" seien und nicht über ihre häuslichen PCs kommuniziert hätten. Das mache die Anwendung einer Online-Durchsuchung "sehr schwierig". Laut Berichten von Nachrichtenmagazinen fuhr der mutmaßliche Kopf der ausgehobenen Gruppe, der zum Islam konvertierte Fritz G., in 80 Kilometer entfernte Telefon-Callshops, um außerhalb des Visiers der Sicherheitsbehörden Anweisungen aus Pakistan einzuholen. Seine Gesprächspartner habe er "Chef" genannt, diese hätten von ihm "Geschenke" noch im September verlangt.

Rätselhaft ist, wieso die Verdächtigen quasi sehenden Auges der Staatsmacht trotzen wollten. Laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel wussten die drei Inhaftierten, dass sie vom BKA und Verfassungsschutz verfolgt wurden. So soll einer der Islamisten einmal an einer roten Ampel ausgestiegen sein und seelenruhig die Reifen eines Beschatter-Wagens aufgeschlitzt haben. Als die drei Beobachteten zufällig in eine Kontrolle gerieten, soll einem Dorfpolizisten entfahren sein, die Männer würden vom BKA beschattet. Die Wiesbadener Polizeibehörde hörte dies angeblich mit, da sie das Auto der Verhafteten genauso wie deren "Feriendomizil" im Rahmen eines großen Lauschangriffs verwanzt hatte. Sie soll sich daraufhin zu dem raschen Zugriff entschlossen haben.

Zu einer Panne ist es auch bei der Polizei in Ludwigshafen gekommen. Ein Beamter versandte einen geheimen Lagebericht zum Fall mit den Klarnamen der Verhafteten sowie weiteren Verdächtigen und Hintergründen an die Regionalpresse. Nach ersten Recherchen habe ein Polizist "den falschen Knopf gedrückt", räumte das baden-württembergische Innenministerium ein. Der Bundesrechnungshof rügte zugleich die Eilpläne Schäubles zur Aufrüstung der Bundespolizei. Der Innenminister hatte im Rahmen des Programms zur Stärkung der inneren Sicherheit zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von knapp 26 Millionen Euro für Video- und Wärmebildkameras zur Überwachung von Bahnanlagen und des Frankfurter Flughafen durchgesetzt. Doch allein von den für 2007 bewilligten 16,7 Millionen Euro, so die Kritik der Prüfer, seien bis Mitte August nur rund 570.000 Euro oder 3,4 Prozent "für konkrete Maßnahmepakete" ausgegeben worden. "Für keine der untersuchten Maßnahmen" entdeckte der Rechnungshof interne Vorgaben für eine Kosten- und Erfolgskontrolle.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (anw)