Antigua darf für 21 Millionen Dollar US-Copyrights verletzen

Die Welthandelsorganisation (WTO) hat entschieden, dass die Karibikinsel im Ausgleich für ihren rigorosen Bann des Online-Casinogeschäfts geschützte Filme, Musik und Software aus den Vereinigten Staaten kopieren und vertreiben darf.

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Der Streit um den rigorosen Bann des Online-Casinogeschäfts der USA hat ein neues ungewöhnliches Urteil produziert. So hat ein Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) am gestrigen Freitag in Genf beschlossen, dass Antigua im Gegenwert von 21 Millionen US-Dollar Copyrights verletzen darf. Dem Karibikstaat steht es mit dem Urteil frei, geschützte Filme, Musik und Software aus den Vereinigten Staaten kopieren und vertreiben zu dürfen. Für die Nutzer von Tauschbörsen, die bei der illegalen Verbreitung etwa von Songs zumindest mit teuren Abmahnschreiben rechnen müssen, dürfte die Entscheidung schwer verständlich sein. Antigua sah in dem Antrag auf die breite Legalisierung von Copyright-Verstößen aber den einzigen Weg, um den Schaden durch den Ausschluss der heimischen Online-Spielhallen vom US-Markt wettzumachen. Auf Ausgleichszahlungen Washingtons baut in der Karibik niemand ernsthaft.

Der Streit zwischen karibischen Inseln und den USA über die Restriktionen beim milliardenschweren Geschäft mit Glücksspielen im Internet zieht sich bereits seit vier Jahren hin. Er verschärfte sich im vergangenen Herbst, als US-Präsident George W. Bush den "Unlawful Internet Gambling Enforcement Act" unterzeichnete. Das Gesetz untersagt es Banken und Kreditkartenunternehmen, Transaktionen zwischen US-Bürgern und Online-Casinos außerhalb der USA durchzuführen. Nicht verboten wird dagegen der Geldtransfer bei Pferdewetten übers Netz. Die WTO sieht das Gebaren der Vereinigten Staaten daher als nicht vereinbar mit den internationalen Regeln für den freien Handel an.

Die beiden Inseln Antigua und Barbuda, die einen gemeinsamen unabhängigen Staat mit rund 70.000 Einwohnern bilden, verlangten daraufhin satte 3,4 Milliarden US-Dollar Entschädigung von Washington. Da sie nicht damit rechneten, von den USA auch nur einen Cent zu sehen, klagten sie auf die Erlaubnis zu Urheberrechtsverstößen im großen Stil. Dies hatte die WTO zuvor schon einmal Ecuador gestattet, wobei der mittelamerikanische Staat von diesem Recht allerdings keinen Gebrauch machte. Die Welthandelsorganisation reduzierte nun zwar die Schadensersatzsumme im Fall Antigua gewaltig nach unten. Trotzdem bestätigte sie das von den Antilleninseln gewünschte Mittel der Entschädigung.

Ob Antigua – ein Land ohne Urheberrecht oder Copyright – tatsächlich mit dem Verletzen US-amerikanischer Immaterialgüterrechte anfängt, ist fraglich. Vermutlich wird der Inselstaat das Urteil eher als politisches Druckmittel zu nutzen versuchen, da andernfalls die Auseinandersetzungen über den Marktwert kopierter Inhalte bei jedem Werk von neuem beginnen dürften. Mark Mendel, ein die Inseln bei der WTO vertretender Rechtsanwalt, sprach in diesem Sinn von einer "sehr mächtigen Waffe" nach dem Beschluss. "Ich hoffe, dass die US-Regierung jetzt den Wert einer baldigen Einigung mit Antigua über den Streit erkennen wird."

Washington hat dagegen bisher fast alle Warnschüsse aus Genf gegen die Behinderung des Marktes für Online-Glücksspiele geflissentlich überhört. Casinos dürfen nur in 48 der 50 US-Staaten legal betrieben werden, sodass die US-Regierung keine Aufweichung dieser Linie durch das Internet wünscht. Ein Sprecher der US-Handelsrepräsentanz warnte Antigua nun sofort nach dem Urteil, von jeglichen Akten der "Piraterie" besser abzusehen. Alles andere würde die Absicht des Inselstaates unterlaufen, "eine führende Position beim legalen E-Commerce einzunehmen". Zudem könnten ausländische Investoren einen weiten Bogen um die Feriendomizile machen.

Gegenüber Ländern und Regionen wie Kanada, Costa Rica, Macao, Japan und der EU hatte Washington vor kurzem seine WTO-Verpflichtungen zumindest dahingehend abgeändert, dass diese Entschädigungsansprüche stellen können. EU-Firmen, die im Bereich Post-, Paket- und Lager-Dienstleistungen aktiv sind, werden so etwa Handelserleichterungen auf den entsprechenden US-Märkten gewährt. Der Wert der Kompensationsleistungen soll aber vergleichbar niedrig sein. Es bleibt abzuwarten, ob sich Antigua und Barbuda mit dem Urteil im Rücken auf vergleichbare "Peanuts" einlässt.

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(Stefan Krempl) / (akl)