Lawrence Lessig: "Wir brauchen jetzt ein Copyright fürs Netz"

Der Harvard-Professor und Creative-Commons-Inititator hat nachdrücklich eine umfassende Urheberrechtsreform eingefordert. Diese müsse den von Hollywood ausgerufenen "Krieg" gegen Filesharing beenden und private Remixe erlauben.

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"Wir brauchen jetzt ein Copyright fürs Netz", erklärte der Harvard-Professor und Creative-Commons-Inititator Lawrence Lessig am Samstag auf dem 2. netzpolitischen Kongress der Grünen im Bundestag. Dafür brauche es eine neue rechtliche Architektur mit "vernünftigen politischen Ideen". Das Urheberrecht, das prinzipiell eine Berechtigung habe, müsse wieder auf sein ursprüngliches Ziel der Förderung des kreativen Schaffens ausgerichtet und an den veränderten technischen Rahmen angepasst werden.

Der Buchautor nannte als Grundbedingung für ein Urheberrecht fürs Internetzeitalter, dass dieses einfach sein müsse: "Auch 15-Jährige müssen es verstehen können." Derzeit sei es aber so komplex, dass selbst er als Rechtsforscher es nicht wirklich begreifen könne. Darüber hinaus müsse das Copyright effizient sein. Derzeit sei auch für potenzielle kommerzielle Nutzer nur schwer herauszufinden, wer welche Rechte an was halte. Ein bisschen mehr Bürokratie zum Aufrechterhalten von Urheberrechtsansprüchen könne daher nicht schaden, befand Lessig. Ein Rechteinhaber könnte in diesem Sinne etwa dazu verpflichtet werden, seine konkreten Schutzansprüche zu identifizieren und gegebenenfalls zu registrieren.

Lawrence Lessig auf dem netzpolitischen Kongress der Grünen: "Wir brauchen jetzt ein Copyright fürs Netz"

Andere Teile des kulturellen Raums müssen dem Experten zufolge dagegen gründlich dereguliert werden. So sei grundsätzlich zwischen Kopien und Remixen zu unterscheiden. Für die private Nutzung müsse dabei eine "absolute Freiheit" für letztere gelten. Nicht zuletzt gelte es, bei der Novellierung des Urheberrechts realistisch zu sein: Der von Hollywood vor rund zehn Jahren ausgerufene "Krieg" gegen Filesharing habe sich als "totaler Misserfolg" erwiesen. Peer-to-Peer-Netzwerke (P2P) verbreiteten sich international weiter. Es sei daher Zeit, die Friedenspfeife zu rauchen und niedrigere Transaktionskosten für die Verbreitung kultureller Werke übers Internet an die Kunden weiterzugeben sowie alternative Vergütungsmodelle anzunehmen. Die von den Grünen hochgehaltene Kulturflatrate, andere Formen von Zwangslizenzen oder auch eine stärkere freiwillige Lizenzierung könnten hier eine Brücke hin zu einem neuem Rahmen schlagen.

Die USA sieht Lessig nicht imstande, eine geeignete Rechtsanpassung vorzubereiten. Jenseits des Atlantiks herrsche ein "korruptes" System in dem Sinne, dass es nicht mehr an den Zielen der Verfassung mit der Vorstellung einer repräsentativen Demokratie ausgerichtet sei. Die Macht gehe seiner Meinung nach nicht vom Volke aus, sondern von den rund 0,5 Prozent der reichen Gesellschaftsmitglieder, die den Großteil der Spenden an Politiker aufbrächten. Letztlich seien es 47 US-Amerikaner, die das meiste Geld für die Finanzierung des Systems in Washington ausgäben. Viele US-Bürger und insbesondere der sehr hohe Anteil an Nichtwählern dort seien daher davon überzeugt, dass unabhängig vom Wahlausgang die Industrie ihre Interessen durchsetzen könne.

Eine einzige große Niederlage habe die Unterhaltungsindustrie in den USA bislang beim Verfolgen ihrer Agenda hinnehmen müssen, das Copyright immer weiter auszudehnen und seine Durchsetzung zu verschärfen, konstatiert Lessig. So seien die Entwürfe für die Zensurinitiativen Stop Online Piracy Act (SOPA) und sein Pendant Protect IP Act (PIPA) in diesem Jahr gescheitert, was inzwischen auch die großen Hollywood-Studios einräumen. Hier hätten Millionen E-Mails und Tausende Anrufe besorgter Aktivisten mehr bewirkt als das Geld der großen Lobbys. Der US-Handelsbeauftragte Ron Kirk trommle international aber weiter für eine Ausdehnung des Copyrights, sodass "kein Samen für eine echte Reformbewegung gelegt worden ist".

Länder wie Südafrika, Brasilien oder Indien versuchten derweil, die Fesseln des veralteten Urheberrechts zu lockern, führte der Jurist aus. Sie allein könnten die Last aber nicht tragen. Es brauche starke Regierungen, die eine Führungsrolle übernähmen. Die EU sei dafür eventuell ein Kandidat, zeigte sich der Berufspessimist überraschend optimistisch in diesem Bereich. Hinderlich sei auf dem alten Kontinent aber die aus der Französischen Aufklärung stammende enge Verknüpfung des Urheber- und des Persönlichkeitsrechts. Diese besage, dass die Rede- und Meinungsfreiheit hinter dem fast absolut gesetzten Eigentumsgrundrecht zurückstehen müssten und die Nutzerrechte wenig gälten.

Die Folgen seien empörend, echauffierte sich Lessig. In Deutschland etwa herrsche eine "militante Demokratie", was die Durchsetzung des Urheberrechts angehe. So werde hierzulande selbst eine Rede von ihm auf YouTube blockiert, in der er Kritik an Gesetzen übe, die Kreativität einschränkten. Schuld daran sei, dass sich die GEMA und die Google-Tochter nicht über eine angemessene Vergütung von Rechteinhabern einigen könnten. Dies sei prinzipiell zwar ein ehrenwertes Anliegen. Die von ihm in seinen Vortrag eingebauten Remixe müssten aber kostenfrei wiedergegeben werden dürfen. Genauso dürften im Netz große Verlage kein Geld für die Publikation von Forschungsergebnissen verlangen, die mit öffentlichen Geldern finanziert worden seien.

Die Grünen wollen auf der Konferenz, die im Netz live übertragen wird, Eckpunkte für einen " Gesellschaftsvertrag fürs digitale Zeitalter" zusammentragen. Das Urheberrecht spielt dabei eine große Rolle. Am Abend will Parteichefin Claudia Roth mit Philipp Grütering von Deichkind über "illegale" Fans und den Slogan "Vergüten statt verfolgen" diskutieren. Fraktionschefin Renate Künast stellte als Vorgabe für den Sozialkontrakt auf, dass "nicht Marktmächtige die Grundregeln setzen".

Der netzpolitische Sprecher, Konstantin von Notz, appellierte an die Teilnehmer, nicht nur Abwehrkämpfe etwa gegen die Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner oder die neueste Facebook-App zu führen, sondern positive Anreize wie freies Wissen und einen fairen Interessensausgleich zu setzen. Zugleich warnte er: "Wenn wir die Grundrechte im Netz nicht verteidigen, werden wir ihren Schutz in allen Lebensbereichen verlieren." (gr)