Vorratsdatenspeicherung: EU-Parlament legt sich mit Kommission an

Bei einer Fragestunde haben Abgeordnete eine rasche Reform oder die Aufhebung der umstrittenen Richtlinie zur Protokollierung von Nutzerspuren gefordert. Die Kommission schiebt Änderungen weiter auf die lange Bank.

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Bei einer Fragestunde im EU-Parlament haben mehrere Abgeordnete eine rasche Reform beziehungsweise die sofortige Aufhebung der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gefordert. Nach der Richtlinie müssen die EU-Mitgliedsstaaten gesetzliche Regelungen einführen, nach denen die Verkehrsdaten aller Nutzer bei der Telekommunikation etwa über Handy und Telefon sowie im Internet gespeichert werden müssen, und das ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat. Die Bundesregierung hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste Gesetz dazu gekippt hatte, nicht in deutsches Recht umgesetzt, weil sich CDU/CSU und FDP nicht einigen können. Gegen Deutschland hat die Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

"Es gibt keinen Deut eines Nachweises, dass die Maßnahme zu unserer Sicherheit beigetragen hat", erklärte die holländische Parlamentarierin Sophia in't Veld im Namen der liberalen Fraktion am Dienstagabend in Brüssel. Vielmehr sei die verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren in vielen Ländern als verfassungswidrig gewertet worden. In den Niederlanden sei ein weitverbreiteter Missbrauch der Daten festgestellt worden. Die Richtlinie sollte daher "noch heute widerrufen werden".

"Wir sind das Thema langsam leid", konstatierte der FDP-Abgeordnete Alexander Alvaro. Nach wie vor lasse die anlasslose Datenaufbewahrung viele technische, juristische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen offen. Der vor anderthalb Jahren vorgelegte Evaluierungsbericht habe gezeigt, dass "alles erreicht worden ist, nur keine Harmonisierung". Unklar bleibe weiter, ob das Instrument überhaupt notwendig sei. Die EU-Kommission müsse daher endlich aufhören, "ein totes Pferd zu reiten", und es den Volksvertretern ermöglichen, noch in dieser Legislaturperiode über eine Novellierung zu beraten.

Der Innenexperte der Grünen, Jan Philipp Albrecht, monierte, dass "unglaublich viel Geld" in die Erfassung aller Kommunikationsrahmendaten aller EU-Bürger zu jeder Zeit geflossen sei. Es gebe zwar keine Anzeichen dafür, dass damit Kriminalität verhindert worden sei. Dafür aber fehlten nun die Mittel, um Polizeistationen ans Internet anzuschließen. "Die Zukunft der Bürgerrechte entscheidet sich auch in dieser Frage", ergänzte Albrechts österreichische Fraktionskollegin Eva Lichtenberger. Unbestimmte Rechtsbegriffe in der Regelung hätten die Tür für Missbrauch weit aufgestoßen. Die Kommission müsse daher endlich einen Korrekturvorschlag präsentieren.

"Wir müssen zumindest die Menge und die Speicherdauer reduzieren", betonte die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel. Die Verbindungs- und Standortdaten seien besser vor Zugriffen zu schützen. Es dürfe auch nicht tabu sein, Alternativen zu prüfen. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass eine grundrechtskonforme Umsetzung der Vorgaben nicht machbar sei, plädiere auch sie für die Aufhebung der Richtlinie.

Als Armutszeugnis bezeichnete die Linke Cornelia Ernst die "unendliche Geschichte". Die Direktive habe zu einem totalen Flickenteppich und einem heillosen Durcheinander geführt, Aufklärungsquoten aber nicht verbessert. Sie löse kein Problem, sondern sei selbst eines. Die Vorgaben seien daher auszusetzen bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der die Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten der EU-Bürger prüft.

Für die konservative Europäische Volkspartei bezeichnete es Axel Voss ebenfalls als "immens wichtig, dass ein verbesserter Vorschlag auf den Tisch kommt". Die Richtlinie scheine in ihrer jetzigen Form eine Balance zwischen dem Datenschutz und Sicherheitsbelangen noch nicht gefunden zu haben. Der CDU-Abgeordnete hielt die Vorratsdatenspeicherung prinzipiell aber für nötig im Interesse einer "gerichtsfesten Strafverfolgung". Es sei daher nicht akzeptabel, dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine Umsetzung in Deutschland verhindere und sich offenbar vom laufenden Vertragsverletzungsverfahren nicht beeindrucken lasse.

Innenkommissarin Cecilia Malmström unterstrich, dass sie weiter eine Verbesserung der bestehenden Regelung plane. Ein Entwurf dafür sei aber "nicht mehr in diesem Jahr" zu erwarten. Sie könne generell keinen Zeitplan dafür aufstellen, da die Angelegenheit technisch und rechtlich komplex sowie politisch heikel sei. Den Vorschlag, die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen, akzeptierten die Mitgliedsstaaten nicht. Sie hätten mittlerweile konkrete Beispiele geliefert, wie die Maßnahme etwa beim Zerschlagen krimineller Netzwerke geholfen habe. Das Quick-Freeze-Verfahren, bei dem Telekommunikationsanbieter Verbindungs- oder Standortdaten im Verdachtsfall auf Zuruf der Ermittler einfrieren, erachteten die EU-Länder nicht als Alternative. Die Kommission habe dazu trotzdem eine Studie in Auftrag gegeben.

Korrekturbedarf sieht die Schwedin an vielen Stellen, da die Maßnahme einen großen Einfluss auf das Recht auf Privatheit habe. So müssten die Speicherdauer verkürzt sowie die Reichweite und der Zweck der Vorratsdatenspeicherung klarer gefasst werden. Die Zugangsrechte seien zu beschränken, Protokollierungen und Zurechenbarkeiten auszubauen. Auch ein einheitlicher Ansatz zur Erstattung der Kosten für die Provider sei erforderlich. Zudem müsse das Instrument mit der Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation zusammengebracht werden, um Schlupflöcher für die Verwendung der Vorratsdaten für andere Zwecke zu stopfen. (jk)