Großer Lauschangriff auf öffentliche Busse im US-Nahverkehr

US-Großstädte wie Athens in Georgia oder Baltimore in Maryland haben es vorgemacht; jetzt will unter anderem San Francisco folgen und Busse im Nahverkehr mit Mikrofonen zusätzlich zu Videokameras ausrüsten.

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US-Großstädte wie Athens in Georgia oder Baltimore in Maryland haben es vorgemacht; jetzt will unter anderem San Francisco folgen und Busse im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit Mikrofonen zusätzlich zu Videokameras ausrüsten. Die kalifornische Metropole hat im Sommer einen Vertrag in Höhe von 5,9 Millionen US-Dollar unterzeichnet, um zunächst 357 Busse und Straßenbahnen einschließlich der berühmten Streetcars über die nächsten vier Jahre mit elektronischen Ohren auszustatten. Dies berichtet die Tablet-Zeitung "The Daily", die am Wochenende eingestellt werden soll. Die Vereinbarung enthält demnach eine zusätzliche Option, 613 weitere Fahrzeuge für den großen Lauschangriff vorzubereiten.

Die städtische Transportbehörde SFMTA begründet die Aufrüstung der Flotte mit einem "zuverlässigen und technologisch fortgeschrittenen System" zur akustischen Überwachung damit, die Sicherheit für Passagiere erhöhen und Busse und Bahnen besser in Schuss halten zu können. Einen finanziellen Zuschuss hat dem Bericht nach das Department of Homeland Security (DHS) beigesteuert. Auch in Concord in North Carolina habe die Stadtverwaltung Teile eines 1,2 Millionen US-Dollar umfassenden Pakets zur Wirtschaftsförderungb genutzt, um eine kombinierte Audio- und Videoüberwachung für den ÖPNV anzuschaffen.

Mehrere andere Städte sind laut "The Daily" ebenfalls dabei, ihre Omnibusse zu verwanzen. In Eugene in Oregon habe die örtliche Verkehrsbehörde, die jährlich elf Millionen Menschen befördert, im vergangenen Jahr entsprechende Angebote für all ihre Fahrzeuge eingeholt. Dabei sei darauf bestanden worden, dass die Abhöreinrichtungen Konversationen von Hintergrundgeräuschen klar trennen können. Ähnliches gelte für Traverse City in Michigan. Die Verantwortlichen in Hartford, Connecticut, hätten 2010 eine vergleichbare Anfrage an eine Firma gestellt und darin darauf gedrungen, dass der Audiobestandteil der Überwachungsanlage nicht automatisch angeschaltet werden sollte. In Columbus (Ohio) habe der Direktor der Verkehrsbehörde 2009 entsprechende Pläne mit dem Hinweis beworben, mit diesem Schritt unerwünschte Vorfälle verhindern und insgesamt "das Potenzial für unsichere Situationen reduzieren" zu wollen.

Den Vorreiter gab offenbar Athens ab. Die Busse dort kommen schon seit 2007 mit sechs bis acht Überwachungskameras und drei Mikrofonen daher. Der Leiter der örtlichen Verkehrsgesellschaft, Butch McDuffie, betonte gegenüber "Forbes", dass die Aufzeichnungen alle 14 Tage überschrieben würden, da mehr derzeit der Festplattenplatz nicht hergebe. Sie würden nur herangezogen, wenn sich ein Unfall ereigne oder im Fall einer Beschwerde.

In Baltimore sind seit Oktober zunächst zehn Busse abhörbereit, über 300 sollen es in den kommenden Jahren werden. Dort werden die Audio- und Videoinhalte 30 Tage lang gespeichert. Die "Vermählung" beider medialer Formen verbessere die Möglichkeiten für die Strafverfolgung, erklärte ein Sprecher der zuständigen "Maryland Transit"-Gesellschaft. Dem großen öffentlichen Lauschangriff gingen in der Ostküstenstadt heftige Debatten mit Datenschützern und Bürgerrechtlern voraus. Eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Mikrofone scheitere schließlich. Trotzdem setzte Maryland Transit ihren Plan durch, nachdem ein Staatsanwalt versichert hatte, dass Warnhinweise hülfen, Klagen gegen das System gegenstandslos zu machen.

Für Firmen wie Safety Vision in Houston oder die australische DTI Group eröffnen die Pläne weiterer Städte gute Geschäftsmöglichkeiten. Sie bieten Verkehrsunternehmen laut Werbebroschüren (PDF-Datei) übers Internet steuerbare Rundumsysteme mit 12 HD-Videokameras nebst integrierten Abhöranlagen mit bis zu 128 Gigabyte Speichervermögen an. Rechtsexperten wie Anita Allen von der University of Pennsylvania zeigen sich dagegen "geschockt" von der Entwicklung, da die Audiokomponente "etwas über das hinausgeht, was wir gewöhnt sind". Neil Richards, Professor an der Washington University School of Law, monierte, dass mit den Überwachungsanlagen gleichsam ein Polizist mit einem photographischen Gedächtnis in jeden Sitz eingebaut werde, der jedes gesagte Wort wiedergeben könne. (jk)