Medienrechtler: "Wissenschaftler haben keine Zukunft im Urheberrecht"

Thomas Hoeren, Professor für Informationsrecht an der Uni Münster, sieht mit der geplanten Stärkung der Verwerterrechte im Rahmen der Urheberrechtsnovelle Forschung und Lehre massiv bedroht.

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Thomas Hoeren, Leiter des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Uni Münster, sieht mit der geplanten Stärkung der Verwerterrechte im Rahmen der umstrittenen zweiten Stufe der Urheberrechtsreform Forschung und Lehre massiv bedroht. Der Professor stellte am gestrigen Freitag auf der Tagung Shapes of Things to Come – Die Zukunft der Informationsgesellschaft in Berlin anhand einer Reihe von Thesen dar, wieso "Wissenschaftler keine Zukunft im Urheberrecht haben".

Als einen der wichtigsten Gründe für seine Behauptung führte Hoeren aus, dass Forscher "schlichtweg enteignet werden". Verleger und Verwerter könnten den Wissenschaftlern künftig die Rechte entziehen, kritisierte er die von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vorgeschlagene mehr oder weniger automatische Freigabe von Werken durch Verwerter für "zukünftige Nutzungsformen" scharf. Einen Widerspruch könne man zwar noch einlegen. Diese Möglichkeit entfalle aber, "wenn der Verwerter schon mit der Nutzung begonnen hat". Die für die unfreiwillige Rechtenutzung vorgesehene "angemessene Vergütung" sei gleichzeitig in der Praxis wohl zu vernachlässigen, da die Rechteindustrie davon etwa noch die "Selbstkosten" abziehen könne. Hoeren sprach daher angesichts der geplanten Regel von einem "klaren Eingriff ins Verfassungsrecht" und kündigte bei deren Verabschiedung eine Klage in Karlsruhe gegen die Bestimmung an.

Hoeren fürchtet ferner, dass die zeitlich bis 2006 befristete Internet-Klausel fürs Online-Learning in Paragraph 52a des Urheberrechtsgesetzes nicht verlängert wird. Sie besagt, dass Lehrer und Wissenschaftler "kleine Teile" von Werken einem "bestimmt abgegrenzten Bereich von Unterrichtsteilnehmern" oder "von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung" über ein Intranet "öffentlich zugänglich" machen dürfen. Dieses "Trostpflaster" zum Erstellen virtueller Seminarapparate sei schon heute so verklausuliert, "dass es selbst Juristen nicht verstehen". Da die Verleger trotzdem gegen die Regelung weiter Sturm laufen würden und die besseren Druckmittel in Richtung Politik hätten, wird sie laut Hoeren "wohl kaum mehr verlängert".

Ungemach droht den Wissenschaftlern dem Juristen zufolge auch, "weil wir künftig mit Auskunfts- und Speicherbegehren überschüttet werden". Er erinnerte daran, dass die vom EU-Parlament beschlossenen und auch vom Bundestag abgesegneten Verpflichtungen zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Telefon- und Internetdaten auch die Universitäten trifft. "Wir müssen daher mit enormen Kosten rechnen und eine entsprechende Überwachungsinfrastruktur aufbauen", beklagte Hoeren. Zur Vorratsdatenspeicherung hinzu komme noch das Vorhaben von Zypries, einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegen Internetanbieter zu schaffen. Eine Informationsabfrage etwa zu dynamisch vergebenen IP-Adressen sei dem Gesetzesentwurf nach zwar nur bei einem "gewisses kommerziellen Ausmaß" erforderlich. Hochschulen sieht der Rechtsexperte aber davon betroffen, wenn diese Projekte über Drittmittel finanzieren. Die GEMA habe zudem schon alle Lehranstalten abgemahnt und nicht nur als auskunftspflichtig, sondern auch als Mitstörer bezeichnet. Auch das Schwert der Sperrungsverfügungen schwebe so nach wie vor über den Instituten.

Für Hoeren ist es zudem nur noch eine Frage der Zeit, bis die Verwertungsgesellschaften und damit "die wichtigsten Partner der Universitäten" im Urheberrechtsbereich "wegbrechen". Die EU-Kommission betrachte die Eintreiber und Verteiler von Vergütungspauschalen als "mächtige Monopolgesellschaften". Sie habe daher auf Basis einer ersten Empfehlung im Musiksektor die Linie ausgegeben, dass diese sich umstrukturieren und untereinander in Wettbewerb treten müssten. Hoeren hat keine Zweifel daran, dass der Bereich Online-Musik dabei nur "als Testfall" fungiere und die Kommission letztlich entgegen ihrer offiziellen Ansagen die "Macht der Urheber" brechen und allein die Verwerter stärken wolle.

Die Liste der Hiobsbotschaften, die Hoeren verkündete, gestaltete sich noch lang. Dass das Justizministerium mit dem neuen Anlauf zum so genannten 2. Korb der Urheberrechtsnovelle eine Kappungsgrenze für die pauschale Urheberrechtsabgabe festsetzen wolle, führt ihm zufolge dazu, dass sich die Schecks der Verwertungsgesellschaften an die von ihnen vertretenen Autoren "auf nur noch ein Prozent dessen reduzieren, was sie bisher bekommen". Über Versanddienste von Bibliotheken wie subito würden die Wissenschaftler zudem keine relevanten Kopien mehr erhalten, da diese nur noch in Papierform oder als grafische Datei verschickt werden dürften. Ein kürzlich ergangenes Teilurteil des Landgerichts München, das die Bibliotheken in ihren gegenwärtigen Praktiken mit Ausnahme des Versands von Dateien ins Ausland zunächst bestärkt habe, drohe mit dem 2. Korb so zur Makulatur zu verkommen. Auch bei der von Zypries vorgeschlagenen Ausweitung der Möglichkeit, Kopien von Werken an elektronischen Leseplätzen zur Verfügung zu stellen, hat Hoeren ein Manko gefunden: Verleger könnten dem mit anders lautenden vertraglichen Regelungen einfach widersprechen.

Volker Grassmuck, Forscher an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitgründer der Initiative Privatkopie.net, beklagte auf der Konferenz einen "Mental Lock-in" bei den Politikern. Diese würden sich allein an dem Mantra festklammern, dass der immer stärkere Schutz geistiger Eigentumsrechte die Innovation fördere. Als Beispiel nannte er etwa die erste Evaluation zur umstrittenen EU-Datenbankrichtlinie. Darin sei klipp und klar nachgewiesen worden, dass das neue Schutzrecht den Informationsmarkt behindere, und nicht beflügele. Trotzdem habe die Kommission Gründe gefunden, um den eingeschrittenen Irrweg nicht zu verlassen. Ähnlich verhalte es sich beim Festklammern an der "chimärische Technologie" des digitalen Rechtekontrollmanagements (DRM). Grassmuck geht davon aus, dass es erst eine "massive Wissens- und Informationskatastrophe braucht, um die geistige Blockade aufzubrechen".

Zu den Diskussionen und juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)