29C3: Gipfeltreffen der NSA-Whistleblower und "Staatsfeinde"

Zwei frühere Mitarbeiter der National Security Agency haben auf der Hackerkonferenz über ihren Kampf gegen das Abhörprogramm des US-Geheimdiensts, dessen derzeitige Fähigkeiten und die Ausmaße der Überwachung berichtet.

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Zwei frühere Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) haben auf dem 29. Chaos Communication Congress (29C3) über ihren Kampf gegen das Abhörprogramm des technischen US-Geheimdiensts, dessen Fähigkeiten und die Ausmaße der Überwachung berichtet. Kurz nach dem 11. September 2001 habe die NSA die Spionageausrüstung, die vormals nur gegen ausländische Mächte eingesetzt worden sei, gegen "die eigenen Leute" gerichtet, erklärte der Whistleblower Thomas Drake am Donnerstag in Hamburg. Dies habe bei ihm die Alarmglocken schrillen lassen, da ohne richterliche Genehmigung und so gegen die Verfassung US-Bürger überwacht worden seien.

Eine NSA-Abteilung habe schon damals das Filterprogramm ThinThread parat gehabt, das die Daten Unverdächtiger habe aussortieren können und zudem sehr kostengünstig gewesen sei, führte Drake aus. Damit hätten die Terroranschläge auf New York und Washington verhindert werden können. Der viele Milliarden Dollar schwere militärisch-industrielle Geheimdienstkomplex, der auch den Kongress umfasse, habe dagegen auf den Einsatz des viel teureren Trailblazer-Systems gedrängt, dessen Entwicklung in einem Fiasko endete.

Nachdem er einem Reporter Einblicke in nicht als geheim eingestufte Unterlagen gegeben habe, sei er dem Staat selbst in die Hände gefallen, erzählte Drake. Dieser strebe ein absolutes Wissen über die Bevölkerung an, jeder sei verdächtig und die Regierung entscheide über Recht oder Unrecht. So seien die von ihm "freigegebenen" Akten nachträglich in Geheimpapiere umgewandelt, harmlose Informationen aus dem Zusammenhang gerissen sowie gegen ihn verwendet worden. Er sei zweieinhalb Jahre als Staatsfeind gebrandmarkt und wegen Spionage angeklagt worden. Die Papiere der Anklage hätten aber letztlich nicht ausgereicht, sodass er wieder ein freier Mann sei.

Für Drake ist George Orwells "1984" längst Realität. Die IT arbeite einem Geheimpolizeistaat in die Hände. In dessen Kern stehe ein virtuelles öffentliches Gefängnis in Form eines Panoptikums, das von einem digitalen Zaun umgeben sei. Das Internet bedrohe mit seiner Offenheit und Transparenz zwar autoritäre Regime. Diese versuchten aber über internationale Verträge und Hinterzimmergespräche, Zensurinfrastruktur einzubauen und das Netz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Nötig seien daher Anonymisierungsserver und einfach nutzbare Datenschutztechniken, um zu verhindern, dass über jeden Nutzer umfangreiche Dossiers angehäuft und Profile erstellt würden.

William Binney, einer der ThinThread-Programmierer bei der NSA, zeichnete seine jahrelangen vergeblichen Versuche nach, das US-Justizministerium, parlamentarische Ausschüsse oder die Mehrheitsführer im Kongress auf die Missstände des Bespitzelungsprogramms hinzuweisen. Dagegen seien die Überwachungsaktivitäten immer weiter ausgedehnt und gegen "jedermann weltweit" gerichtet worden. Allein der US-Telekommunikationsriese AT&T versorge die NSA täglich mit mehreren hundert Millionen Nutzerspuren. Er wandte sich schließlich an die Öffentlichkeit, nachdem er seinen Ruhestand angetreten hatte.

Der geheimdienstliche Datenstaubsauger sei gigantisch, seine Analyse- und Speichermöglichkeiten würden ständig ausgebaut, führte Binney aus. Schon während der Arbeit an ThinThread habe er anfänglich angestrebt, 20 Terabyte pro Minute auswerten zu können. Das neue NSA-Datenzentrum in Bluffdale im Bundesstaat Utah könne voraussichtlich bereits 5 Petabyte bewältigen.

Jesselyn Radack, die Drake als Anwältin und Menschenrechtsexpertin beim Government Accountability Project in Washington vor Gericht vertrat, sprach von einem "Krieg" der Regierung gegen Whistleblower. Unter US-Präsident Barack Obama seien bereits mehr Hinweisgeber angeklagt worden als von allen früheren US-Regierungen zusammengenommen. Sie selbst sei nach dem Aufdecken ethischer Verstöße während der FBI-Befragung des "amerikanischen Taliban" John Walker Lindh unter anderem auf der Liste "No Fly" gelandet und habe sich vor jedem Flug einer umfangreichen Leibesvisitation unterziehen müssen.

Der Kampf gegen den Terrorismus darf laut Radack nicht dazu führen, Enthüller der Wahrheit zu terrorisieren und die Freiheit mit Füßen zu trampeln, die angeblich geschützt werden solle. Die digitale Technik bezeichnete sie als eine der Waffen gegen Despotismus, da etwa über Plattformen wie Wikileaks große Informationsmengen anonym publiziert werden könnten. Die Regierung missbrauche die Technik aber und richte beispielsweise Staatstrojaner gegen Whistleblower, Forscher, Reporter oder gar Abgeordnete. (anw)