Kommentar: Microsoft goes Microhard

Microsoft ist dabei, sich neu aufzustellen und den Spieß langsam umzudrehen: Eigene Hardware und möglichst langfristige Dienstleistungsverträge stehen im Vordergrund. Die Ideen für Apps sollen indes von Dritten kommen.

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Microsoft ist dabei, sich neu aufzustellen. Die Ursprünge des Konzerns liegen in der Idee einer Software für fremde Hardware. Jahrzehntelang verkaufte Microsoft vor allem Software, die auf fremder Hardware lief und mit der Dritte Dienstleistungen anbieten konnten. Dieselbe Software sollte flexibel sein und auf möglichst unterschiedlicher Hardware laufen. Heute versucht das Unternehmen, den Spieß langsam umzudrehen. Eigene Hardware und möglichst langfristige Dienstleistungsverträge stehen im Vordergrund. Die Ideen für Apps sollen jedoch von Dritten kommen.

"Die Geschichte zeigt, dass neue Ideen in der Wissenschaft meist von frechen jungen Burschen, Eigenbrötlern oder großen Außenseitern kommen", schrieb das Fortune Magazine 1974. Um den Jahreswechsel des Jahres las ein Harvard-Student in einer Zeitschrift über den neuen Microcomputer Altair 8800 von MITS. Der Student hieß William Gates und sollte nie seinen Abschluss machen. Er kontaktierte MITS-Chef Ed Roberts mit der Behauptung, einen Interpreter für dessen Microcomputer zu haben. Roberts zeigte Interesse.

Doch Gates hatte weder einen Interpreter noch einen Altair 8800. Es folgten hektische Tage: Gates Freund Paul Allen programmierte einen Altair-Simulator, Gates den "BASIC Interpreter" dazu. Bei der Präsentation in Albuquerque stürzte der Interpreter sogleich ab. Robert war trotzdem beeindruckt und stellte Allen als Vizepräsidenten und Gates als "Software Specialist" an. Im August des Jahres eröffnete in Los Angeles das erste Computergeschäft der Welt: Erstmals konnten normale Menschen in ein Geschäft gehen und einen Computer mit nach Hause nehmen, das nötige Kleingeld vorausgesetzt.

In diesem unscheinbaren Bürogebäude in Albuquerque hatte sich Microsoft bis zum Umzug an die Westküste 1979 eingemietet. Eine Gedenktafel ist mittlerweile verschwunden.

(Bild: Daniel AJ Sokolov / heise online)

Im Februar 1977 unterzeichneten Allen und Gates den offiziellen Gründungsvertrag über "Micro-Soft". MITS konnte sich der Nachfrage nach Altairs kaum erwehren und die Fertigungsqualität nicht aufrechterhalten. 1977 musste Roberts MITS an Pertec verkaufen. Die Manager dieser Firma dachten, mit MITS auch BASIC gekauft zu haben. Ein Gericht sprach die Rechte daran aber Micro-Soft zu und der Rest ist Geschichte.

Heute ist Microsoft ununterbrochen in Gerichtsverfahren verwickelt. Der am Donnerstag veröffentliche Quartalsbericht listet mindestens sieben Gremien, vor denen mit Googles Motorola Mobility über Patente gestritten wird. "Zusätzlich zu diesen sind ungefähr 60 weitere Patentverletzungsverfahren gegen Microsoft anhängig", informiert das Unternehmen.

Doch die Produktstrategie hat sich seit 1975 deutlich verändert. Was mit "Certified for Windows"-Hardware begann, ging über eigene Spielekonsolen und eine Milliardenzahlung für eine enge Handy-Partnerschaft mit Nokia zu den selbst gebauten Surface-Tablets. Sogar deren Vertrieb wird streng kontrolliert und erfolgt bislang nur durch Microsoft selbst. Mächtigere Hardware betreibt Microsoft gerne selbst und nutzt dafür das Modewort Cloud. Zahlreiche Dienstleistungen für Verbraucher bis hin zu Großkonzernen kommen aus der MS-Wolke.

In Sachen Hardware sei das Ziel, sicherzustellen, "dass wir die überzeugendsten Geräte und den richtigen Mix an Geräten im Markt haben", erzählten Microsofts Finanzmanager den Finanzanalysten am Donnerstagabend nach der Vorstellung der Quartalszahlen. Bald sollen weitere Tablet-Varianten mit einer breiteren Streuung der Preise kommen – anders gesagt waren die ersten Modelle für den Massenmarkt zu teuer.

Besonders wichtig ist Microsoft die "enge Integration" von Windows in die Hardware, und das geht eben am besten, wenn man die Spezifikationen selbst aufstellt. Im Februar sollen Surface-Tablets für Windows RT in 14 weiteren Ländern in die Microsoft-Läden kommen. Wieviele Tablets bisher verkauft wurden, wird nicht verraten. Die Nachfrage soll aber das Angebot überschritten haben.

Zu Windows Phone Handys bleibt Microsoft konkrete Zahlen ebenfalls schuldig. Nur soviel: Im aktuell berichteten Quartal seien es viermal so viele gewesen wie vor einem Jahr. Vom Xbox-Absatz im Weihnachtsgeschäft ist Microsoft sichtlich enttäuscht, betont aber, immer noch Marktführer zu sein.

Ein Blick in den Abschnitt "Key Opportunities and Investments" (Wichtige Gelegenheiten und Investitionen") des Quartalsberichts zeigt, wohin die Reise gehen soll. "Devices with End-User-Services" stehen an erster Stelle: Geräte mit Dienstleistungen für den Endanwender.

Zwar dürfen auch andere Hersteller Handy und Tablets für Windows 8 (Phone) anbieten, aber die "enge Integration" geht soweit, dass der Spielraum selbst für die optische Gestaltung extrem klein ist. Wer die Vierecke und ihre Farbtöne nicht schätzt, hat Pech gehabt. Und die Nutzer sollen mit den Geräten möglichst Microsoft-Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Das Google-Schicksal soll vermieden werden: Amazon verkaufte bisher die meisten Android-Tablets und bindet deren Käufer an die eigenen Online-Angebote.

An zweiter Stelle folgen bei Microsofts Zielsetzungen "Services for the Enterprise", also Dienstleistungen für Konzerne. "Unternehmen beim Umzug in die Wolke zu helfen ist eine unserer größten Gelegenheiten", steht da zu lesen. Möglichst in die MS-Wolke, versteht sich. Die aktuellen MS-Produkte für diese Klientel sind hybrid ausgelegt; sie sollen einen schrittweisen Umstieg ermöglichen und so die eher konservativen Konzerne locken.

Und dann wären da noch "unsere zukünftigen Chancen", darunter die Entwicklung neuer Formfaktoren für Geräte samt neuer Wege sie zu nutzen oder das "Bauen und Betreiben von Diensten in der Wolke". Natürlich wird Microsoft noch lange Zeit Geld mit dem Verkauf von Softwarelizenzen scheffeln. Doch das Hauptaugenmerk liegt heute auf langfristigen Dienstleistungsverträgen statt auf Einmalumsätzen. Natürlich werden die neuen Office-Versionen für einen Umsatzschub sorgen, aber sie sind ganz bewusst mit neuen "social and cloud features" versehen. Der Weg von Office 2013 in die Cloud zu Office 365 & Co ist vorgezeichnet.

Nun mag der Form-Faktor noch so fortschrittlich, das User-Interface noch so intuitiv und die Verwaltung noch so zentral sein: Ohne konkreten Nutzen werden sich nur wenige zahlende Kunden für Windows-Handys und -Tablets finden. Entscheidend sind die Endanwendungen, neudeutsch Apps genannt. Hier scheint sich Microsoft kaum noch selbst zu verwirklichen. Stattdessen geht es jetzt darum "unsere Beziehungen zu Entwicklern zu vertiefen", hörten die Finanzanalysten. "Wir brauchen reichhaltige Applikationen, die informieren, unterhalten und inspirieren."

Die Inspiration soll also von außen kommen. Warum auch nicht, der eine oder andere freche junge Bursche, wie es Gates und Allen vor 30 Jahren waren, wird schon dabei sein. Statt nach Albuquerque werden sie nach Redmond reisen. Microsoft hat wesentliche bessere Voraussetzungen als MITS anno dazumal, die fremden Ideen dauerhaft zum eigenen Vorteil reifen zu lassen. In nur einem Quartal hat der Konzern unzählige Gerichtsverfahren geführt und dreieinhalb Milliarden Dollar an Dividenden und stillen Dividenden (Aktienrückkäufen) ausgeschüttet.

Anders als Ed Roberts wird Steve Ballmer nicht auf Landarzt umschulen müssen. Die Herausforderung für ihn ist, enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Microsoft-Sparten sicherzustellen. Denn in der Wolke vermischen sich die Wassertropfen. Wenn sie nicht zusammenhalten, gibt es Niederschlag.

Siehe dazu:

(jk)