Verriss des Monats: Das Kofferfeuer

Das Mobilzeitalter strebt einem neuen Höhepunkt zu: Nun gibt es ein Lagerfeuer zum Mitnehmen.

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Von
  • Peter Glaser

Das Mobilzeitalter strebt einem neuen Höhepunkt zu: Nun gibt es ein Lagerfeuer zum Mitnehmen.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Im Vorland des Kilimandscharo, an der Grenze zwischen Kenia und Tansania, liegt Amboseli, in der Sprache der Massai die "leere Weite". Hier brannten vor etwa einer halben Million Jahren die ersten Lagerfeuer, und hier hat sich in den Köpfen der ersten Menschen das gebildet, was wir heute Bewusstsein nennen. Eine Schlüsselrolle dabei spielte die Beherrschung des Feuers. Im Schutz der Flammen, die von allen anderen Lebewesen gefürchtet werden, konnte der Mensch zum ersten Mal die ununterbrochene kreatürliche Anspannung in einer lebensgefährlichen Umwelt ablegen. Hier haben unsere Urvorderen einen mythischen Moment erlebt – das Paradies, den Frieden –, der dann seinen Weg durch die Jahrtausende gefunden hat.

Am Ende einer leuchtenden Spur durch die Geschichte steht derzeit der Computer als aktueller Höchststand unserer Fertigkeit, das Feuer zu beherrschen. Denn was ist ein Bildschirm anderes als ein Ofenloch, in dem ein kaltes Feuer glüht? Ein vernetzter Rechner ist nichts anderes als ein weltweit wirksamer Schürhaken. Der Computer erlaubt uns nun die Kontrolle über jedes Funkenpixel am Bildschirm. Heute sitzen die Nachfahren der alten Magier programmierend vor den modernisierten Feuern und lassen, wie seit Jahrtausenden in der Branche üblich, mit Hilfe eines undurchsichtigen Brimboriums aus codierten Beschwörungsformeln ihre Visionen erscheinen, nunmehr auf Monitoren.

Aber das analoge Feuer ist nicht verloschen. Neben der arbeitsteiligen Abtrennung der Grundfunktionen des Feuers, von Licht und Wärme, existiert auch die dritte und bemerkenswerteste Eigenschaft der züngelnden Flammen weiter: die Traumbildung. Naturerscheinungen wie Ozeane, Flüsse oder eben Feuer üben eine seltsame Faszination aus. Obwohl sie monoton zu sein scheinen, können Menschen ihnen stundenlang zusehen, ohne gelangweilt zu sein, und aus ihrer Vielgestaltigkeit – jede Welle, jede Flammenzunge ist anders – lässt sich das Bewusstsein zu immer neuen Imaginationen anregen. Jeder sitzt gern an einem Feuer und schaut in die Flammen, daran hat sich auch nach 500.000 Jahren nichts geändert.

Und natürlich gab es schon von frühesten Zeiten an mobile Formen von Feuer – Kienspäne, Fackeln, Glutkästchen, Petroleumlampen, Gasfeuerzeuge. Was noch fehlte, war das mobile Lagerfeuer. Ich meine damit nicht die elektrisch hinterleuchteten Glut-Atrappen, wie die Engländer sie so lieben, sondern das Travelmate Kofferfeuer des Möbeldesigners Johannes Wagner, ein in einem stählernen Koffer loderndes Kaminfeuer, "das die Idee einer Feuerstelle komplettiert".

Da der moderne Mensch sich ungern festlegt, stehen immer mehr Möbel fahrbar auf Rollen und können jederzeit anderswohin. Auch Tätigkeiten sind immer freier transformierbar – jemand, der heute Wirtschaftsminister war, kann morgen Verteidigungeminister sein. Der Computer schließlich macht aus der begrenzten Karnevalszeit ein ganzjähriges Kostümfest der Ideen und Werkzeuge – eine Maschine, die sich zunehmend erfolgreich in alle anderen Maschinen verwandelt. Das Kofferfeuer ist eine Art Gipfelpunkt dieser frei flottierenden Unentschiedenheit.

Wer sich nicht entscheiden kann, ob der Kamin drinnen oder draußen seinen Flammenschein verbreiten soll, dem ist der 25 Kilogramm schwere, weisse Ethanol-Kamin in der griffbereiten Kofferform zugedacht. Besonders in der Übergangszeit wie jetzt zum Frühling hin ziehen derlei sehnsüchtige Ambivalenzen den Menschen hinab in seine stammesgeschichtlichen Tiefen. Oder wie der Designer es ausdrückt: "Die Technologie des rauchfreien Feuers bietet vor allem Eines: das Loslösen des Feuers von einem festen Standort in der Wohnung." Zwar gibt es die Technologie der Loslösung des Feuers vom festen Standort bereits – sie heißt Zimmerbrand –, jedoch findet sie sich in dem Kofferfeuer in gebändigter, also kulturell wertvoller Form. Nochmal Wagner: "Die formale Anlehnung an einen stilisierten Reisekoffer kommuniziert unmissverständlich eine Ortsungebundenheit des Objektes."

Und auch Träume steigen nach wie vor auf aus dem Feuer, auch wenn es nur der bleiche, blaugelb hingewackelte Schein von brennendem Alkohol ist. So fiel mir in Anbetracht dieser Lagerfeuerabsurdität wieder ein fast vergessener Comic-Held meiner Kinderzeit ein (an den ich immer nur in den Sommerferien an der Adria kam, da es die Serie nur auf italienisch gab): Coco Bill. Der parodistische Cowboy des Zeichners Benito Jacovitti war umgeben von Abstrusitäten – Salamiwürsten, die laufen konnten, Reitern mit vier Beinen auf zweibeinigen Pferden oder Lokomotiven, die ihre Gleise untergeschnallt hatten. Und natürlich saß Coco Bill abends am Lagerfeuer – und grillte sich eine Tasse Kamillentee am Spieß. ()