Ex-Verfassungsrichter rügt Gesetzentwurf zu heimlichen Online-Durchsuchungen

Wolfgang Hoffmann-Riem, früherer Richter am Bundesverfassungsgericht, hat einen nicht ausreichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in den Plänen der Regierung zur Novelle des BKA-Gesetzes bemängelt.

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Wolfgang Hoffmann-Riem, früherer Richter am Bundesverfassungsgericht, hat einen nicht ausreichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im heftig umstrittenen Entwurf der Bundesregierung zur Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt bemängelt. "Verfassungsrechtlich vorrangig ist weiterhin der Schutz durch Nichterhebung", erläuterte der Jurist am heutigen Dienstag auf der Konferenz "Innovationen für den Datenschutz" der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin das Urteil aus Karlsruhe zu heimlichen Online-Durchsuchungen, an dem er selbst noch maßgeblich vor seinem Ausscheiden aus dem Gericht beteiligt war. Wenn der Kernbereich berührt werden könnte, sollten Ermittler eine Ausspähung von IT-Systemen unterlassen.

Diese Anforderung sei nicht erfüllt, wenn "allein" Erkenntnisse aus der Intimsphäre erfasst werden könnten, bemängelte Hoffmann-Riem die Formulierung zum Kernbereichsschutz im aktuellen Entwurf zur Reform des BKA-Gesetzes. Ausnahmen dürfe es nur für den Fall geben, dass ein Verdächtiger "absichtlich und zielgerichtet" eine die Intimsphäre angeblich betreffende Kommunikation vortäusche, um eine Überwachung zu verhindern.

Bei den geplanten Vorgaben zur so genannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) der Internet-Telefonie direkt auf dem Rechner von "Gefährdern" vor einer Aussendung oder nach dem Empfang verschlüsselter Kommunikationsströme gab der Forscher an der Universität Hamburg zu bedenken, dass der Zugriff auf die laufende Kommunikation beschränkt werden müsse. Falls eine darüber hinausgehende Infiltration oder Manipulation von IT-Systemen für die Maßnahme nötig sei, unterliege diese den höheren Schutzanforderungen und materiellen Eingriffsbestimmungen analog zu Online-Razzien.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beteuerte dagegen, dass sich die Bundesregierung bemüht habe, die Vorgaben aus Karlsruhe "möglichst Eins zu Eins" umzusetzen. So habe man etwa genau darauf geachtet, dass die Formulierung der zu beachtenden Schwellen bei den abzuwendenden Gefahren genauso dem Wortlaut des Urteils entspreche wie die Regelungen zu "verfahrensmäßigen Sicherungen". Natürlich werde auch der Kernbereichsschutz berücksichtig. Dort werde aktuell aber etwa noch diskutiert, wer die Durchsicht des ausgespähten Materials vornehmen solle. Sie persönlich sei der Ansicht, dass die momentan geplante Prüfung durch BKA-Beamte den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht werde. "Ich will die Online-Durchsuchung aber weder klein noch schön reden", räumte die SPD-Politikerin ein. Sie bleibe ein "gravierender Eingriff in die Grundrechte", der nur im Einzelfall rechtlich und politisch zulässig sein könne.

Allgemein hat Karlsruhe mit dem Grundsatzurteil laut Zypries "dem Gesetzgeber einmal mehr deutlich gemacht, dass der Zweck Sicherheit nicht alle Maßnahmen rechtfertigen kann". Das Gericht habe die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber dem Staat betont, aber auch die Schutzpflichten des Staates. Es könnte daher auch Aufgabe der Politik sein, auf die zunehmende Gefahr der privaten Ausforschung zu reagieren. Es seien eventuell Normen aufzustellen, die eine konkrete Ausspähung von Datenspuren für die Erstellung von Käuferprofilen zu verhindern. Der Staat könne die Bürger aber nur sehr begrenzt vor sich selber schützen, wenn sie bereitwillig selbst Profile von sich etwa in sozialen Netzwerken mit teils intimen Details anlegen. Hier sei ergänzende Aufklärung wichtig.

Zypries sparte aber auch nicht mit Kritik an der Karlsruher Entscheidung. So sei die Abgrenzung zum bereits 25 Jahre alten informationellen Selbstbestimmungsrecht schwierig. Vielfach werde sogar eine Schwächung der älteren Grundrechtsausformung befürchtet. Es sei auch nicht klar geworden, wie eine besondere Tiefe eines Eingriffs in Grundrechte zu einem besonderen Schutzrecht führen könne.

Hoffmann-Riem hielt dagegen, dass "wir an vielen Stellen die Qualität neuer Gefährdungen und damit verbundenen Schutzbedürfnissen umrissen haben". Beim Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, bei dem es letztlich um eine Konkretisierung des Grundrechts auf Persönlichkeitsschutz und eine Erweiterung des informationellen Selbstbestimmungsrecht gehe, stehe der Schutz vor der Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte auch über technische Infrastrukturen im Vordergrund. Die neue Welt von Computer und Internet habe zahlreiche neue Möglichkeiten geschaffen, aussagekräftige Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Dabei seien zum Teil für den Nutzer nicht erkennbar von den Systemen automatisch generierte Daten im Spiel, sodass hier das eine bewusste Datenverarbeitung voraussetzende informationelle Selbstbestimmungsrecht gar nicht greifen könne.

Im Gegensatz zu Zypries erklärte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dass er noch Verbesserungen am Paragraphen zu verdeckten Online-Durchsuchungen im BKA-Gesetz erreichen möchte. Der Kernbereichsschutz dürfe etwa nicht nur greifen, wenn dieser "allein" berührt sein könnte. Auch die vorgeschlagene Regelung zur Durchsicht der abgefischten Daten durch BKA-Beamten sei nicht tragfähig. Die SPD werde für diese Punkte in den kommenden parlamentarischen Debatten ringen.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)