Vom Klicktivismus zum nachhaltigen politischen Erfolg

Ralf Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung, hat auf einer Konferenz zum Internetaktivismus davor gewarnt, dass Netzkampagnen zum Placebo für politische Beteiligung verkommen.

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Auf einer Konferenz der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung hat deren Chef Ralf Fücks davor gewarnt, dass Netzkampagnen zum Placebo für politische Beteiligung verkommen. Das Internet befinde sich in einer "neuen Phase", in der es "nicht mehr nur um Freiraum, sondern auch um Regulierung geht", erklärte der Vorstand der Stiftung am Freitag in Berlin auf der Tagung "Energize, Polarize, Mobilize". Es müsse ein politischer Rahmen für die digitale Welt und für den Erhalt der damit geschaffenen neuen öffentlichen Güter geschaffen werden.

Es sei wichtig, kontinuierlich an Themen zu arbeiten, führte Fücks aus. Gefordert sei kein kurzer "Hype" für beziehungsweise gegen das ein oder andere politische Vorhaben, sondern ein langfristiges Engagement. Die versammelten Netzaktivisten aus aller Welt ermunterte der Stiftungsleiter, zu einer "konstruktiver Politik" überzugehen. Auch die Grünen seien zwar als "Anti-Bewegung" gestartet, hätten inzwischen aber Alternativen und eine politische Strategie entwickelt. Die "ganze Internetbewegung" sieht Fücks an einer vergleichbaren Weggabelung, um "etwas Besseres zu schaffen".

"Nicht jeder hat die gleiche Vorstellung von Meinungsfreiheit", erwiderte Jillian York von der Electronic Frontier Foundation (EFF). Das in Europa diskutierte "Recht auf Vergessen" mache ihr Angst. Als "frustrierend" bezeichnete York die Notwendigkeit, immer wieder auf politische Versuche reagieren zu müssen, die Netzfreiheit zu beschneiden. Dabei sei Zensur im Netz gar nicht effektiv: sie bewirke nur, dass unterdrückte Inhalte erst recht an anderen Stellen online veröffentlicht würden.

Das Netz ist aus der Sicht der US-Bürgerrechtlerin bestens geeignet, um die Reichweite politischer Kampagnen zu erhöhen. Es hänge aber vom Kontext ab, ob der Funke aus dem Internet überspringe auf Aktionen in der realen Welt. Kurz vor dem arabischen Frühling habe etwa die Losung: "Die Revolution wird nicht getwittert" die Runde gemacht. York pflichtete Fücks bei, dass die digitalen Freiheitsbefürworter klarer formulieren müssten, "welches Internet wir wollen".

"Klicktivismus kann politische Aktivität verhindern", schätzte auch Katarzyna Szymielewicz von der polnischen Panoptykon Foundation manche Online-Kampagnen als gefährlich ein. Im Fall des Anti-Piraterie-Abkommen ACTA seien Netzproteste von der Politik lange ignoriert worden und daher Hunderttausende auf die Straße gegangen. Nach drei Monaten, als die entscheidende Abstimmung im EU-Parlament zu dem Vertrag anstand, habe sich aber "schon niemand mehr dafür interessiert". Man könne daher von Glück reden, dass die Abgeordneten trotzdem ACTA ablehnten. Schwierig sei es gewesen, die Proteste in die traditionellen Medien zu transportieren, da es sich um eine Mobilisierung "ohne Sprecher und Führer" gehandelt habe. Nötig seien zudem "mehr Leute, die in die Parlamente gehen" und dort Lobby für eine konstruktive Netzagenda machten.

Markus Beckedahl von der Digitalen Gesellschaft sprach in diesem Zusammenhang von einem Ressourcenproblem. Es müssten bessere mediale Instrumente geschaffen werden, um Politiker aufzuklären. Viele Abgeordnete oder Regierungsmitglieder seien schließlich nicht "böse", sondern hätten "einfach keine Ahnung". Dazu komme, dass viele Meinungsmacher im Netz immer nur auf den nächsten Shitstorm reagierten und viele für die Gestaltung des digitalen Raums wichtige Themen wie die laufende EU-Datenschutzreform keinen vom Ofen hervorlocke. Ungeklärt sei auch, wie Online-Aktivisten mit "der privatisierten Internetöffentlichkeit" umgehen sollten, wie sie etwa Facebook oder Google böten. (vbr)