Viel Skepsis in Karlsruhe gegenüber verdeckten Online-Durchsuchungen

Das Bundesverfassungsgericht hat ein Grundsatzurteil zu Netzbespitzelungen angekündigt und viele kritische Fragen aufgeworfen, doch Unionspolitiker und Sicherheitsbehörden halten an einer raschen Bundesregelung fest.

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Experten sehen nach der mündlichen Verhandlung über das NRW-Verfassungsschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht und die damit gestattete Ausforschung "informationstechnischer Systeme" wenig Chancen für eine Aufrechterhaltung der umstrittenen Regelung. Der Erste Senat machte durch mehrere kritische Fragen an die Landesregierung deutlich, dass das Gesetz schwammig formuliert sei und damit wohl schon dem "Gebot der Normenklarheit" widerspricht. Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier kündigte zugleich ein Grundsatzurteil zu heimlichen Online-Durchsuchungen an, das "weit" über die NRW-Bestimmungen hinaus Bedeutung haben werde. Es gehe um "grundlegende Fragen im Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit" angesichts neuartiger terroristischer Bedrohungen.

Die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag hat die Anhörung als "Riesenblamage" für Landesinnenminister Ingo Wolf (FDP) bezeichnet. SPD-Innenexperte Karsten Rudolph kündigte ein Nachspiel im Landtag an: "Der gesetzgeberische Dilettantismus der Landesregierung muss rasch ein Ende finden", sagte er und forderte Wolf gleichzeitig auf, "den Gesetzentwurf nach der miserablen Vorstellung in Karlsruhe unverzüglich zurückzuziehen". Die Innenexpertin der Grünen in Düsseldorf, Monika Düker, warf dem Minister vor, ein "rechtsstaatliches Desaster" fabriziert zu haben.

Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigte sich überzeugt, "dass das Verfassungsgericht das Gesetz mit Pauken und Trompeten verwerfen wird". Zugleich sprach er im Deutschlandfunk von der "überragenden Bedeutung" des Anfang 2008 erwarteten Urteils. Dabei gehe es weniger um die Landesregelung, sondern um die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplante Befugnis für Online-Razzien im Entwurf zur Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA). Werde dieses Vorhaben abgesegnet, würden sich in Folge ähnliche Bestimmungen zur Netzbespitzelung "in mehr als 30 Sicherheitsgesetzen in Deutschland" finden. Wiefelspütz selbst blieb bei seiner Auffassung, dass der Einsatz des so genannten Bundestrojaners erforderlich sei. Allerdings nur entlang der Vorgaben aus Karlsruhe.

BKA-Chef Jörg Ziercke verlieh seinen Forderungen nach Netzbespitzelungen Nachdruck. Die heimliche Online-Durchsuchung müsse "unbedingt sein", sagte er der Mainzer Allgemeinen Zeitung. Dennoch stehe er "allen Kontrollmaßnahmen, die Missbrauchsängste abbauen helfen, offen gegenüber". Um Befürchtungen in der Bevölkerung zu begegnen, regte Ziercke die Einrichtung eines gesonderten parlamentarischen Kontrollgremiums an. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, forderte angesichts der zunehmenden Internetnutzung durch Terroristen "neue Befugnisse" für sein Amt.

Der Bevollmächtigte der NRW-Landesregierung, Dirk Heckmann, gab in Karlsruhe zu, "dass die Norm durchaus suboptimal formuliert ist". Er habe sie aber auch nicht selbst formuliert. "Wir haben das konzeptionell noch nicht durchdacht", räumte er die Voreiligkeit des Gesetzgebers ein. Prinzipiell seien Online-Durchsuchungen aber machbar. Dass die Spione dabei den richtigen Rechner erwischt hätten, würden sie ja daran sehen, ob die Schnüffelsoftware Daten zurück liefere, die dies bestätigen würde.

Zuvor hatte Heckmann die Sache so dargestellt, dass es NRW hauptsächlich auf eine so genannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung ankomme, also um das Abgreifen von Internet-Telefoniedaten vor beziehungsweise nach einer möglichen Verschlüsselung direkt auf dem Zielcomputer. "Es kann nicht nur um laufende Kommunikation gehen", formulierte dagegen der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, seine Wünsche für bundesweite Lizenzen zur Netzbespitzelung. Ersichtlich werden müsse dabei auch, was sich jemand über das Internet "besorgt und womit er arbeitet." Es sei wichtig, etwa ganze Festplatten durchsuchen zu können.

Bayerns Justizministerin Beate Merk kritisierte die Vermischung verschiedener Dinge bei der Diskussion um das bereits praktizierte Abhören von verschlüsselten Telefongesprächen via Internet. Dieses habe "mit der Online-Durchsuchung überhaupt nichts zu tun". Vielmehr sei das Belauschen von VoIP im strafrechtlichen Verfahren "unter bestimmten Voraussetzungen genauso erlaubt wie das Abhören von Handy- und Festnetztelefonaten". Dabei "ist es auch möglich, eine Verschlüsselung zu überwinden oder zu umgehen". Dies sei richtig, da es keine rechtsfreien Räume geben dürfe.

Der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, hält eine rasche Verabschiedung des BKA-Gesetzes einschließlich der Klausel zu Online-Razzien weiter für unverzichtbar, damit terroristische Vorbereitungshandlungen möglichst frühzeitig aufgedeckt werden können. Das Urteil der roten Roben werde zwar sicher eine über den konkreten Fall in Nordrhein-Westfalen hinausgehende Relevanz haben. Das entbinde den Bundesgesetzgeber aber nicht von seiner Verantwortung, in dieser Frage eine eigene Entscheidung zu treffen. Ein "ohnmächtiges Warten" auf die Karlsruher Entscheidung sei nicht verantwortbar.

Mit Meyer konform ging sein Parteikollege, Hans-Peter Uhl. Der Innenexperte der Unionsfraktion erklärte, Online-Razzien müssten "bei Terrorverdächtigen neben der Überwachung der Internet-Telefonie oder anderen verdeckten Maßnahmen als weitere Erkenntnisquelle dazukommen". Zugleich machte sich Uhl für eine Verfassungsänderung nach dem Vorbild beim großen Lauschangriff stark: "Falls das Bundesverfassungsgericht der Auffassung ist, dass der jetzige verfassungsrechtliche Rahmen für eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht ausreicht, ist der Verfassungsgesetzgeber aufgerufen, einen entsprechenden Rahmen zu schaffen."

Der Innenexperte der Linken im Bundestag, Jan Korte, gab dagegen seiner Hoffnung Ausdruck, "dass das Verfassungsgericht in der Kontinuität seiner Rechtssprechung der Online-Durchsuchung einen Riegel vorschieben wird". Er kritisierte, dass "Innenminister die Bürger vor allem als Risiko für den Staat sehen und somit jeden Eingriff in die Grundrechte rechtfertigen wollen". Diese Logik müsse ein Ende haben. Schäuble legte der Oppositionspolitiker ans Herz, seine Pläne für Online-Razzien sofort zurückzuziehen. Die SPD solle zudem ihr "ewiges Hin und Her beenden und sich endlich klar gegen Online-Durchsuchung und damit für Rechtsstaat und Demokratie positionieren".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (pmz)