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Was war. Was wird.

Wir sind China! Es bricht jubelnd aus Hal Faber heraus, endlich ist es geschafft, der Endzweck des Deutschen Staates, der sich seit tausend Jahren zu realisieren sucht. Oder leiden wir an Paranoia? Ach, wir sind doch alle ein bisschen Raubkopiermörder.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schon wieder eine Wochenschau? Was soll das denn? "Schon im 17. Jahrhundert gab es übrigens ein Theaterstück über einen Menschen, der eine Zeitung gründete, die jede Woche erscheinen sollte. Im Fortgang der Handlung wurde dann gefolgert, dass da nur Lügen drinstehen können, denn, so dachte man damals, es passiert ja nicht jede Woche etwas," erzählte Niklas Luhmann einstmals. Wir lügen weiter.

*** Ist das der fiebrige, gar grün alkoholisierte Traum einer Mittsommernacht? Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der 16. Deutsche Bundestag beschlossen, dass die Leugnung der rechtlichen Verhältnisse im Internet unter Strafe gestellt wird. Wer in Zukunft behauptet, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist, muss drei Monate als Praktikant am großen Internetausdrucker stehen und gegen den allfälligen Papierstau kämpfen, wenn sich die Internet-Politikerin des Jahres das Internet ausdrucken lässt. Ja, es ist eine juristisch einfach zu beantwortende Frage, ob es da einen rechtsfreien Raum gibt. Nach dem gesetzlich verordneten Arbeitsdienst in der Produktion ganz im Stil der alten DDR dürfte ein Politologe wie Herfried Münkler seinen asymmetrischen Krieg gegen das Internet vielleicht mit anderen Sätzen führen als mit dem blühenden Unsinn über die Verbündung von kriminellen Geschäftemachern und anarchistischen Freiheitskämpfern. Diese wirre Würfelung druckte ausgerechnet die Frankfurter Rundschau ab: "Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung durch alle zugänglich sein." Dieser strunzdumme Text wird von einem wehleidigen Nachschlag des Machiavelli-Experten begleitet, in dem vom Vertrauen in die Ordnung des Rechtsstaates die Rede ist.

*** Der hat mit seiner Legislative mitnichten ein Gesetz zur Beschränkung der freien Rede verabschiedet, sondern eine "Zugangserschwernis" für den Aufruf von Internetinhalten. So aber hat der 16. Deutsche Bundestag das Vertrauen in die Ordnung des Rechtsstaates gründlich zerrüttet, als mit den Stimmen der Großen Koalition in dieser Woche das Ermächtigungsgesetz 2.0 beschlossen wurde. Dass es wirklich um Kinderpornografie ging, ist ausgemachter Kinderglaube: Es dauerte genau zwei Stunden, bis der Schwiegersohn unseres amtierenden Innenministers vorschlug, die Stellschrauben zu justieren. Nach Kinderporno und Killerspielen könnten politischer Extremismus zugeschaltet und weggesperrt werden: Wir Sind China! Das meint auch das Wall Street Journal, um mal auf eine unverdächtige externe Bewertung der Bündnispartner zu verlinken.

*** Gegen das Gesetz stimmten die Linke und FDP sowie Jochen Borchert von der CDU, offenbar Verbundenheit mit seiner Tochter demonstrierend. Die CDU ist halt eine Familienpartei. Steffen Reiche und Wolfgang Wodarg sagten bei der SPD nein und dann war da noch der Faßüberläufer Jörg Tauss von der Piratenpartei. Mit 15 Enthaltungen zeigten die Grünen ihre bekannte Geschmeidigkeit der kohlkraftigen Interpretation, die schon immer die FDP für Besseresser auszeichnete. Aber vielleicht waren sie nur wieder einmal etwas zu eingeschüchtert, wer weiß das schon.

*** Alle, die dies nicht sind, die sich nicht vom angesammelten Unsinn deutscher Politiker entmutigen lassen, dürfen jetzt den Zensursula-Song anstimmen, auf den ich wunderbarerweise schon anno 2007 in diesem WWWW mit dem Musterhausküchenfachgeschäften verlinkt habe. Man muss den Beat nicht mögen, aber hier ist mehr Musik am Werke als in allen Kommentaren zum Ausfall der Popkomm, für den ein abgehalfterter Bassist den Diebstahl im Internet verantwortlich macht. Wie war das noch mit der triumphierenden Meldung der deutschen Musikindustrie vom Januar 2009, nach der der deutsche Downloadmarkt (PDF-Datei) um 30 Prozent jährlich wächst? Bis zu 3 Euro werden pro Stück gezahlt, was teurer ist, als eine komplette CD zu erwerben. Diebstahl würde ich das nicht nennen. Was stimmt da nicht, fragt ganz besorgt die Tagesschau der ARD. Sie ist mit 24 DVDs des Beatclubs gerade dabei, einen hübschen Verkaufserfolg bei uns Raubkopiermördern zu erzielen. Womit ich bei einem hübschen Jubiläum bin, das ganz nach dem Geschmack der Generation 50 Plus ist: vor 50 Jahren wurde Island Records von Chris Blackwell gegründet: "Ein gutes Plattenlabel ist so etwas wie ein Filter. Es siebt die Musik durch den Geschmack von ein, zwei Leuten, die dahinterstehen. Wenn sie die Sache gut machen, schafft das ein Vertrauensverhältnis mit ähnlich denkenden Musikfans." Das schreibe ich lieber ab als das Statement einer Industrie, die auch noch applaudiert, wenn sich ein regierender Politiker dazu entschließt, das eigene Verfassungsgericht zu ignorieren. Wo bleibt eigentlich die Forderung nach Sperrlisten für Musikindustrie-Imitierer, die die Demokratie abschaffen wollen?

*** Mit den Jubiläen, den Geburts- wie Todestagen ist das so eine Sache. Wer nicht unter einem dicken Stein à la "Kampf der Häuptlinge" gelegen hat, wird den Geburtstag von Jürgen Habermas und den Tod von Ralf Dahrendorf mitbekommen haben. Dahrendorf war ein beherzter Denker, der sich unter anderem überlegte, welche Folge die "Auflösung der Ligaturen in einer Gesellschaft" haben kann, die wir aktuell in der Debatte um die Sperr-Infrastrukturen gut verfolgen können. Ligaturen? Aber sicher doch. So passt es, dass wir von Habermas das zwanglose Getrolle lernen und es mit der Dahrendorf lesen können. Derweil bahnt sich in England eine kleine Revolution an, die Lord Dahrendorf amüsiert hätte: Aus der Transparenz bei den Spesenabrechnungen wird mit der Internet-Veröffentlichung durch den Telegraph ein Lehrstück über Informationszensur. Wer weiß, vielleicht landet das Blatt auch noch auf der britischen Sperrliste. Schließlich steckt im Kinderschutz auch so etwas wie der schützenswerte Glaube an das Gute im Menschen, an das unsichtbare rosa Einhorn oder die unstillbare Hoffnung auf korrekte Abrechnung der Arbeiten in diesem kleinen Newsticker.

*** Wenn es an einen Geburtstag zu erinnern gilt, dann ist es der von Schirin Ebadi, der Friedens-Nobelpreisträgerin des Jahres 2003. Ebadi wird heute "nur" 62 jahre alt, steht aber für den Fortschritt in einem Land, das nach einer dubios verlaufenen Wahl an der Schwelle zu einem Gemetzel steht, mit vielen Opfern, die der regierenden Geistlichkeit herzlich egal sind. Zu dumm, dass es keinen Übersetzungsdienst für demokratische Werte im Internet gibt. Er würde nicht nur im Iran von großem Nutzen sein. Die Ereignisse im Iran erinnern aber auch daran, dass das Internet zwar der Opposition gegen ein diktatorisches Regime nützliche Hilfsmittel liefern kann – dass diese Opposition aber auch recht hilflos dastehen kann, wenn sie sich nur auf diese Technik verlässt, die ein Regime wie im Iran auch einfach abschalten kann.

Was wird.

Mittsommer, soso: "Die Wahrheit zu sagen, halten Vernunft und Liebe heutzutage nicht viel Gemeinschaft. Schade, dass ehrliche Nachbarn sie nicht zu Freunden machen wollen!" Shakespeares Sommernachtstraum verweist heute auf ein gar diabolisches Lüftchen, das der Firma SCO einen neuen Investor zugeführt hat. Da gibt es eine Gulf Capital, hinter der ein Eric le Blan auftaucht, mit einer irakischen Firma namens Merchant Bridge im Hintergrund – die unendliche Geschichte verspricht, noch ein netter west-östlicher Divan zu werden. Die meiste Arbeit werden wohl Verschwörungstheoretiker haben, die den "missing link" zu Microsoft suchen.

Freuen wir uns lieber auf den anbrechenden Sommer und seine Löcher, in denen es rätselhaft genug zugehen wird. Zu meiner besonderen Freude startete am letzten Samstag ein Projekt, bei dem in "Echtzeit" der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe veröffentlicht wird. Natürlich ist kein jammernder Verleger oder Buchhändler drauf gekommen, sondern der Journalist Giesbert Damaschke, der mit Pl@net (Untertitel anno 1995: "Lies mich, du Sau") das lustigste deutsche Internetblatt kredenzte. Im ersten deutschen Internetcafe dürfte ganz virtuell ein Wirt mitfeiern, der das Internet als eine Erweiterung des menschlichen Gehirns verstand.

Achja, die Termine. Die Auswahl ist reichlich. In Bonn feiert das BSI das Jubiläum des IT-Grundschutzes. In Berlin versuchen es die Berlin Open mit "rückhaltloser Ehrlichkeit", einem Konzept, das zumindest in den Ohren deutscher Webwegsperr-Politiker einen pornografischen Unterton hat, In München tritt unsere Kanzlerin in einem Kesselhaus auf und spricht für die vielen, vielen Geburtstagskinder der Fraunhofers zum Thema "60 Jahre Motor für Innovationen". Vielleicht besucht sie auch den nahebei geparkten Fraunhofer-Truck, der den digitalen Alltag propagiert, komplett mit vollautomatischer Anzeige bei fahrlässiger Tötung:

"Die intelligente Hausapotheke kommt aus dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Automatisierung IFF in Magdeburg. Die Forscher haben Arzneimittel, den Schrank und den elektronischen Schlüssel mit RFID-Technologie ausgestattet. Auf Transpondern werden Daten gespeichert und per Funk übertragen. Der Medizinschrank der Zukunft lässt sich nur mit dem richtigen elektronischen Schlüssel öffnen, auf dem die Zugriffsrechte genau gespeichert sind. Das System registriert automatisch, welcher Schlüssel die Tür geöffnet hat und wann was entnommen wurde."

(Hal Faber) / (jk)