Richter halten Kontrolle von heimlichen Online-Durchsuchungen für illusorisch

Der Deutsche Richterbund sieht keine Möglichkeit, den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bei heimlichen Online-Durchsuchungen zu sichern, während die SPD das Karlsruher Urteil direkt ins Grundgesetz integrieren will.

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Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Online-Durchsuchungen beschäftigt weiter Juristen wie Politiker. Der Deutsche Richterbund (DRB) hat praktische Bedenken bei der Umsetzung und sieht seine Zunft außerstande, trotz der rigiden Einschränkung der Möglichkeit zum Ausschnüffeln informationstechnischer Systeme den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu sichern. "Die Ermittlungsrichter sind schon heute teilweise bis an die Schmerzgrenze belastet", sagte der DRB-Vorsitzende Christoph Frank im Anklang an die alte Kritik seiner Vereinigung gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Es wäre illusorisch zu glauben, dass sie künftig auch noch die riesigen Datenmengen sichten könnten, die bei Online-Durchsuchungen in Deutschland anfallen würden."

Karlsruhe verlangt, dass die Ausspähung privater Computer, die nur bei konkreten Hinweisen auf Gefahr für hochrangige Rechtsgüter theoretisch zulässig ist, mit strengen Verfahrensvorschriften flankiert wird. Ein Richter müsste eine Online-Razzia genehmigen, zudem müssten Ermittlungsrichter, Staatsanwälte oder Justizbeamte die kopierten Dateien im Nachhinein auswerten, um eventuell miterfasste höchstpersönliche Daten auszufiltern. "Wenn die Justiz das zusätzlich leisten soll, muss die Politik sie dazu auch in die Lage versetzen", forderte Frank. Derzeit würden in Deutschland aber 4000 Richter und Staatsanwälte fehlen.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, sprach sich dafür aus, die Eckpunkte des Urteils direkt in das Grundgesetz aufzunehmen. Das Gericht hat selbst aus den bestehenden Artikeln zum Telekommunikationsgeheimnis und zum Schutz des Wohnraums in Verbindung mit dem vor 25 Jahren entwickelten Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein neues Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen abgeleitet. Dieses solle nun auch direkt in das Grundgesetz eingefügt werden, erklärte Wiefelspütz im rbb. Innenpolitiker der SPD hatten bereits vor dem Schiedsspruch geplant, eine Art Grundrecht auf Informationsfreiheit im Internet einzuführen. Dabei sollten die Zugriffsschranken für die Sicherheitsbehörden etwa auf Festplatten aber nicht sonderlich hoch werden.

Der SPD-Rechtspolitiker Klaus Uwe Benneter hält im Lichte der Karlsruher Entscheidung die Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen für die Schnüffeltätigkeiten der Geheimdienste allgemein für nötig. "Bei der Überwachung aller Kommunikationswege und -mittel wird das Urteil eine Rolle spielen", sagte Benneter der Berliner Zeitung. Daher sei vor allem die Arbeit der Schlapphüte stärker zu kontrollieren, da diese "weit im Vorfeld von Ermittlungen agieren". Es sei Nachrichtendiensten nicht weiter gestattet, "Angriffe auf informationstechnische Systeme zu starten". Vielmehr dürften sie Daten nur dort abgreifen, "wo der Zugang offen ist". Der FDP-Innenexperte Max Stadler pochte zudem auf einen "Richtungswechsel in der deutschen Innenpolitik". Die "ausufernden verdachtslosen Kontrollmaßnahmen" hierzulande müssten der Vergangenheit angehören.

Für Pino von Kienlin, Geschäftsführer der IT-Sicherheitsfirma Sophos, lautet die entscheidende Frage weiterhin, ob der Einsatz eines "Bundestrojaners" technisch überhaupt praktikabel und sinnvoll ist. Es sei auch nach dem Abstecken der rechtlichen Rahmenbedingungen unklar, wie etwa das BKA sicherstellen wolle, "dass nur Computer der Zielpersonen inspiziert werden". Elektronische Spionage-Programme würden zur Malware gehören "und damit von professionellen IT-Sicherheitslösungen als solche behandelt und geblockt", betonte der Fachmann. Kriminelle würden sich mit geeigneten technischen Vorkehrungen vor staatlichen Spionage-Programmen ausreichend zu schützen wissen. Werde der Bundestrojaner aber über das Internet verbreitet, bestehe gleichzeitig das Risiko, dass unzureichend geschützte Computer unbescholtener Bürger infiziert würden.

Bei den Grünen rechnet Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele damit, dass die Verfassungsrichter als nächstes auch die Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsbereich zu Fall bringen. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Ströbele, die Anfang des Jahres in Kraft getretene Novelle der TK-Überwachung sei von den neuen Vorgaben des Gerichts "Lichtjahre entfernt".

Obwohl das Urteil prinzipiell von allen Seiten begrüßt wird, hat es den Streit um verdeckte Online-Durchsuchungen im baden-württembergischen Polizeigesetz bereits neu entfacht. Innenminister Heribert Rech (CDU) nannte den Beschluss einen "wichtigen Schritt zur effektiven Terrorabwehr" und startete einen neuen Vorstoß zur Verankerung des umstrittenen Ermittlungsinstruments im Landesgesetz. Justizminister Ulrich Goll vom Koalitionspartner FDP blieb dagegen bei seiner harten Ablehnung der Ausspähung informationstechnischer Systeme: "Das bringt nichts für die Sicherheit." Bei der laufenden Reform des Polizeirechts hatten die Koalitionäre das Thema zunächst ausgespart. Nun will das Landeskabinett den Entwurf kommende Woche absegnen. Vorgesehen sind neben der Ausweitung der Videoüberwachung und der Handy-Ortung etwa auch die automatische Erfassung von Kfz-Kennzeichen, zu der Karlsruhe ebenfalls ein Urteil vorbereitet.

Siehe zur aktuellen Entscheidung über die heimliche Online-Durchsuchung von PCs auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)