Eine privatisierte Netzverwaltung: A und O des Internets oder überholte Vorstellung?

Bereits für das Jahr 2000 versprach die US-Regierung eine komplett privatisierte Internetverwaltung. Seither werkelte die ICANN unter US-Oberaufsicht vor sich hin, entwickelte byzantinische Strukturen und verschlungene Entscheidungsfindungswege.

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Von
  • Monika Ermert

Bereits für das Jahr 2000 versprach die US-Regierung, damals noch unter Bill Clinton, eine komplett privatisierte Internetverwaltung unter dem Dach der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Seither werkelte die ICANN vor sich hin, entwickelte byzantinische Strukturen und von außen nur schwer nachvollziehbare Entscheidungsfindungswege – und blieb unter Oberaufsicht der US-Regierung.

Mehr als ein Jahrzehnt nach der vollmundigen Ankündigung der Clinton-Regierung: Die ICANN hält eines ihrer regelmäßigen Treffen ab, dieses Mal in Sydney – und die Frage "Oberaufsicht durch Regierungen" oder "vollständige Privatisierung" wird wieder neu aufgerollt. Viele Experten halten den Verzicht auf eine Aufsicht durch Regierungen für überholt. Domain-Name- und IP-Adress-System gelten als kritische Infrastruktur. Im Streit darum, ob die US-Regierung der oberste Kontrolleur der Internet-Verwaltung bleiben soll, knirscht es zwischen der US-Regierung und dem Rest der Welt. Der ehemalige Chef des National Cyber Security Center des US-Departments for Homeland Security, Rod Beckstrom, soll als Nachfolger des Australiers Paul Twomey die ICANN durch die bevorstehenden Stürme steuern. Wie Beckstrom zur Loslösung der ICANN von der US-Regierung steht, wird spannend.

Am diplomatischsten haben es einmal wieder die Schweizer ausgedrückt. In der Pionierphase des Internets sei das mit der Aufsicht über die ICANN und auch die technischen Kernstücke, etwa die Rootzone, "eine einfache und effiziente Lösung gewesen", schrieb das Schweizer Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), an die National Telecommunications and Information Administration (NTIA), die bis 8. Juni um Stellungnahmen zur Zukunft der ICANN gebeten hatte. Mit der Entwicklung des Netzes zur globalen Ressource von öffentlichem Interesse "glauben wir, dass diese schwere Verantwortung auf mehr als eine Schulter verteilt werden sollte". Es müsse ein Rahmen gefunden werden, in dem die ICANN der gesamten internationalen Gemeinschaft – kleinen wie großen Ländern – Rechenschaft zu geben habe, fordert das BAKOM.

Auf eine komplette Privatisierung der ICANN bestehen im Rahmen der NTIA-Anhörung nur noch wenige. Die Internet Society (ISOC) samt vieler ISOC-Landesverbände sowie Vinton Cerf (TCP/IP-Miterfinder, ISOC-Gründer, ehemaliger ICANN-Vorsitzender und heutiger Internet Evangelist von Google) raten dazu, den Vertrag über die US-Oberaufsicht bei der ICANN nach sieben Verlängerungen endgültig auslaufen zu lassen. Auch die ICANN selbst legte sich mächtig für ein Ende des Abkommens ins Zeug. Twomey beschwor noch Anfang Juni Abgeordnete des US-Kongresses in einer Anhörung, nicht auf eine Neufassung des Vertrages zu drängen. Die US-Regierung könne über die Vergabe der IANA-Funktion (also der Aufsicht über die Rootzone im DNS) weiter ihre Aufsichtsrolle wahrnehmen. Eine Verlängerung des ICANN-Vertrags sei daher nicht notwendig und würde im Übrigen dazu führen, dass andere Regierungen nach Alternativen zum privatwirtschaftlichen ICANN-Modell suchten, warnte Twomey.

Twomeys Vorgänger, der US-Internetexperte Michael Roberts, riet demgegenüber der US-Verwaltung doch eher dazu, endlich einzugestehen, dass die Idee von einer Marktlösung einfach nicht machbar sei. Schon in den ersten Jahren habe die US-Regierung erkannt, dass ein Herauslösen der Netzverwaltung aus der US-Aufsicht nicht funktionieren würde. Die Gründungsdokumente der ICANN müssten daher völlig neu überdacht werden, fordert Roberts – in Übereinstimmung mit der französischen Länderdomain-Registry AFNIC. Erst einmal müsse jedenfalls die Rootzone sicher in der Hand der USA bleiben, meint Roberts, oder doch wenigstens in der Hand einer Gruppe von Regierungen unter Führung der USA.

Von der Einbeziehung anderer Regierungen wollten US-Politiker beider Parteien bei der Anhörung im Kongress allerdings überhaupt nichts wissen. Die USA haben das Internet geschaffen, ja, seien Vater und Mutter des globalen Netzes, befanden die Abgeordneten. Daher gebühre den USA auch die Kontrolle. Insbesondere wetterten die Abgeordneten gegen mögliche Ansprüche aus Ländern wie China, Syrien oder Venezuela, von denen man Eingriffe in die Offenheit des Netzes befürchtet. Die Netzaufsicht muss unser bleiben – so der Tenor in Washington. Genau hier aber braut sich für die kommenden Monate ein diplomatisches Gewitter zusammen, in dem der jüngste Vorstoß von EU-Kommissarin Viviane Reding für mehr Internationalisierung nur der erste Donnerschlag war.

Gibt es noch einen Plan B? Immerhin ein paar Beobachter der Vorgänge rund um die Netzverwaltung halten ein Netz ganz ohne ICANN für eine Möglichkeit. Eine "schlankere Organisation" halten sie für wünschenswert, die Partner in anderen Jurisdiktionen nicht in rechtliche Kalamitäten bringt, nicht nur US-amerikanische und kommerzielle Interessen bedient und öffentlich-rechtliche sowie akademische Interessen besser abbildet bei der Regelsetzung für IANA, die die eigentlichen technischen Kernaufgaben im DNS innehat.

Wie der designierte CEO Beckstrom sich zu solchen Ideen stellt, bleibt abzuwarten. In Sydney soll der Cybersecurity-Experte und erfolgreiche Unternehmer der ICANN-Gemeinde vorgestellt werden.

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(Monika Ermert) / (jk)