re:publica sucht Ausweg aus der Endlosdebatte um die Netzneutralität

Ben Scott vom Open Technology Institute in Washington hat auf der Netzkonferenz dafür plädiert, das Internet stärker als öffentliches Gut zu fassen und so dessen Offenheit endgültig als Grundprinzip zu verankern.

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Ben Scott vom Open Technology Institute der New America Foundation in Washington hat auf der re:publica dafür plädiert, das Internet stärker als öffentliches Gut zu verstehen und so dessen Offenheit endgültig als damit verknüpftes Grundprinzip zu verankern. "Das Netz ist die Infrastruktur der Informationsgesellschaft", erklärte der frühere Berater des US-Außenministeriums am Dienstag auf der Internetkonferenz in Berlin. Einzelne Betreiber dürften daher nicht darüber in Eigenregie entscheiden, welche Datenpakete mit welcher Geschwindigkeit an welchen Nutzer kämen. Denn was kurzfristig gut für die Zugangsanbieter sei, könne mittelfristig nicht der Allgemeinheit dienen.

Die Debatte um die Netzneutralität drehe sich seit rund einem Jahrzehnt im Kreis, monierte Scott. Seit das Konzept des offenen Internets unter diesem Begriff 2002 eingeführt worden sei, hätten sich auch die Netzaktivisten zu sehr in technischen Details verstrickt und den Wald vor lauter Bäumen oft selbst nicht mehr gesehen. In den USA habe etwa die Kampagne "Save the Internet" gegen ein Gesetz gekämpft, das die Netzneutralität ausgehebelt hätte. 2010 habe die Federal Communications Commission (FCC) schließlich unter Führung der Demokraten Leitlinien fürs offene Netz etabliert, die aber das mobile Internet außen vor ließen. Zudem sei zu befürchten, dass die Bestimmungen gerichtlich bald gekippt würden, da die Kompetenzen der Regulierungsbehörde streng genommen auf das Telefonnetz beschränkt seien.

Insgesamt bestehe so weiter "Netzunsicherheit", was Probleme für alle mit sich bringe. Firmen, Investoren oder sonstige Nutzer könnten sich so nicht darauf verlassen, "dass die Marktbedingungen die gleichen bleiben". Washington werde jedenfalls nicht mit einem Gesetz zur Netzneutralität vorpreschen, sondern beobachte Brüssel. Die EU-Kommission wiederum schaue auf Berlin und "die Regierung auf Euch", wandte sich Scott an die versammelte Netzgemeinde. Nutzer und Netzaktivisten müssten daher "die Logik des öffentlichen Guts" und ihre Erwartungshaltung gegenüber der Politik und der Bundesnetzagentur einfordern. Sie dürften sich nicht länger in eine Ecke drängen lassen, in der nur über neue Qualitätsklassen und andere Bedingungen zum Transport von Datenpaketen diskutiert werde.

"Wir haben lange neidisch auf die USA geschaut, weil dort die Netzneutralität schon länger als Thema ernst genommen wird", konstatierte Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl. Nach dem Wirbel, den die Deutsche Telekom mit ihrer geplanten Durchsetzung von Volumengrenzen, könnten die Aktivisten den Abgeordneten jetzt zumindest in zwei Sätzen verdeutlichen: "Irgendwann wird gedrosselt, auch Ihre Webseite kommt dann nicht mehr so schnell durch." Derzeit begnügten sich Vertreter der schwarz-gelben Koalition aber noch damit, "wilde Briefe an die Telekom zu schreiben".

Die Netzlobbyisten müssten daher den Volksvertretern noch besser verdeutlichen, dass eine Festschreibung des offenen Prinzips des Internets eine ähnliche Bedeutung habe wie der Kampf gegen das Zugangserschwerungsgesetz und die damit verknüpften Websperren vor vier Jahren, meinte der Co-Organisator der Internetkonferenz. Auch Verstöße gegen die Netzneutralität öffneten die Tür weit für Zensurmaßnahmen. Zudem hätten viele Provider mit Verfahren zur "Deep Packet Inspektion" (DPI) grundsätzlich schon eine "Risikotechnologie" installiert, die nach dem Ändern der Konfigurationsdatei ähnlich wie in China oder anderen autoritären Ländern eingesetzt werden könnte.

Hierzulande sei eine generelle Durchleuchtung des gesamten Netzverkehrs etwa mit DPI "klar gesetzeswidrig" und werde daher auch "nicht gemacht", betonte Hannah Seiffert vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Andernfalls wäre angesichts eines Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis neben der Regulierungsbehörde auch das Bundesverfassungsgericht ein guter Anlaufpunkt für Beschwerden. Die Providervertreterin forderte eine "wirkliche Breitbandförderung im Glasfaserbereich". Anders sei der Aufbau von Hochgeschwindigkeitsleitungen nicht zu bewältigen. Die Politik dürfe hier nicht immer nur den Ball an die Wirtschaft zurücksetzen und allein auf Wettbewerb setzen. (jk)