Verfassungsschutz beharrt auf heimlichen Online-Durchsuchungen

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, erneuerte auf einer Tagung zur Terrorismusbekämpfung seine Forderung nach Online-Razzien, während Schäuble ein "Netzwerk" der Sicherheitsbehörden forderte.

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Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, hat am gestrigen Montag auf einer Tagung zur Terrorismusbekämpfung in Berlin seine Forderung nach einer Lizenz für heimliche Online-Durchsuchung für die Agenten erneuert. "Auch wir brauchen die Befugnis zum Zugriff auf informationstechnische Systeme", zitiert die taz den Staatsschützer mitten in der Debatte um Online-Razzien durch das Bundeskriminalamt (BKA). Nötig sei dies, falls die Behörde von einem anderen Nachrichtendienst eine Information über terroristische Gefahren bekomme und diese nicht an die Polizei weitergeben dürfe. Weiter rief Fromm dem Bericht zufolge nach einer Stärkung des Bundesamts für Verfassungsschutz gegenüber den sechzehn Landesämtern. Im Bereich des islamistischen Terrorismus sollten künftig alle Erkenntnisse zentral vom Bundesamt ausgewertet werden.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nutzte das BfV-Symposium, um für einen stärkeren Informationsaustausch zwischen Fahndern und Geheimdienstlern zu werben und die Appelle Fromms im Prinzip zu unterstützen. "Wir müssen den Netzwerken der Terroristen ein Netzwerk unserer Sicherheitsbehörden entgegensetzen", betonte der CDU-Politiker. Konkret bedeute dies hierzulande, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder enger miteinander kooperieren sollten. Dazu kommen müssten das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, die Bundespolizei, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst. Aber auch Ausländer- oder Finanzbehörden könnten "wichtige Mosaiksteine zum Gesamtbild beitragen". Drittens gehe es darum, Bürger in das Netzwerk zur Informationssammlung "einzubinden und zu sensibilisieren".

Weiter bezeichnete Schäuble "eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten unserer Partnerländer" als "ganz unerlässlich und entscheidend für die Terrorismusbekämpfung". Das gehe bei sensiblen Informationen aber nur, wenn die Vertraulichkeit gesichert sei, warnte der Minister vor zu großer Offenheit in den Debatten um mehr parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Ferner setzte er sich dafür ein, neben Informationen zu operativen Vorgängen "auch Erfahrungen und Methoden auszutauschen, ohne Misserfolge und Irrwege zu verschweigen".

Eine der wichtigsten Aufgaben des Staates beim Ausbau des BfV zur "Zentralstelle im Verfassungsschutzverbund" ist es laut Schäuble, letzteren informationstechnisch besser auszurüsten. Ein entsprechendes IT-Projekt trage den Namen "NADIS-neu" (Nachrichtendienstliches Informationssystem), ließ der Minister durchblicken, ohne Einzelheiten zu verraten. Damit würden die für den Staatsschutz zuständigen Behörden zu einem "schlagkräftigen Ganzen vernetzt". Im April war zuvor noch über einen Stopp des millionenschweren Vorhabens spekuliert worden.

Zugleich nahm der Innenpolitiker die Sicherheitsbehörden gegen Vorwürfe in Schutz. "Es ist nicht nur unredlich, sondern schädlich, den Nachrichtendiensten – wie es teilweise geschieht – unlautere Motive zu unterstellen", monierte Schäuble. "Es hat niemand die Absicht, im Privatleben harmloser Bürger herumzuschnüffeln." Jeder, der das Gegenteil behaupte und dem Staat einen Überwachungswahn unterstelle, "untergräbt das Vertrauen in unsere rechtsstaatliche Ordnung".

Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Linksfraktion im Bundestag, konterte, dass Schäuble eine "Heimatschutzbehörde nach US-Vorbild" anstrebe. Das möge zwar vom Begriff her schön klingen, wäre als Instanz aber gefährlich: "Polizeien und Geheimdienste verschmelzen." Zivile Einrichtungen wie das Finanzamt würden Sicherheitsapparate. Jeder Bürger unterläge einem potentiellen Generalverdacht. Summa summarum bastle Schäuble weiter an einem "systematischen Umbau eines demokratischen Rechtsstaates zu einem präventiven Sicherheitsstaat".

BKA-Präsident Jörg Ziercke beklagte, dass immer häufiger Ermittler gegen Terrornetzwerke auf verschlüsselte Daten und anonymisierten Datenverkehr stoßen würden. Hinzu komme ein Call-Shop-Hopping, bei dem verschlüsselte Internet-Telefonate von verschiedenen Stellen aus abgesetzt würden. Genutzt würden auch nicht geschützte Hotspots in den Wohnungen argloser Bürger. Zugleich verteidigte Ziercke einmal mehr das umstrittene BKA-Gesetz. Der Grundsatz der Trennung von Nachrichtendienst und Polizei werde davon nicht berührt. Die "Vorfelduntersuchung" bleibe Aufgabe des Staatsschutzes. Zudem wären nach dem Kompromiss zwischen Spitzenpolitikern von Bund und Ländern "95 Prozent der terroristischen Gefahrenlagen weiter von den Ländern zu bearbeiten".

Robert Hannigan, Sicherheitsberater des britischen Premiers Gordon Brown, schloss sich den Sorgen Zierckes um verschlüsselte VoIP-Gespräche an. Seine Regierung suche derzeit parlamentarische Mehrheiten für Maßnahmen zur Überwachung der Internet-Telefonie, berichtete er. Dies sei eine der "großen Herausforderungen" der nächsten Jahre.

Zu den technischen und rechtlichen Details der heimlichen Online-Durchsuchung und des Bundestrojaners veröffentlichte c't in Ausgabe 25/08 einen Hintergrundartikel:

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)