Staatssekretär: "Es gibt keine Vorratsdatenspeicherung bei Vater Staat"

Auf dem Jahreskongress der Initiative D21 debattierten Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über Wege in die "E-Society", Bürgerbeteiligung, Leuchtturmprojekte und staatliche Überwachung.

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Entgegengesetzte Auffassungen über die Ausgestaltung einer freiheitlichen Gesellschaft im Internet prallten auf dem Jahreskongress der Initiative D21 am heutigen Dienstag in Dresden aufeinander. Der Internet-Publizist Tim Cole warf dem Staat vor, mit der Befugnis von Sicherheitsbehörden für heimliche Online-Durchsuchungen eine Art "Leibesvisitation" der Internet-Nutzer einzuführen. Er würde im Zweifelsfall dafür plädieren, dass die Sicherheit hinter der Meinungsfreiheit zurückstehen müsse. Es wäre ihm daher lieber, wenn der sogenannte Bundestrojaner überhaupt nicht flügge würde. Johann Hahlen, Staatsekretär im Bundesinnenministerium, lobte zwar ebenfalls die "Errungenschaft der freien Kommunikation". Zugleich verteidigte er aber den Plan seines Ressortchefs Wolfgang Schäuble (CDU) zur Schaffung von Lizenzen für Online-Razzien.

"Wenn Sie in der Verantwortung eines Ministers stehen, werden Sie in der Abwägung wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis kommen." Sein Haus habe immer den Dreiklang des Schutzes von Leben, Freiheit und Sicherheit der Bürger vor Augen zu haben, führte Hahlen den Ansatz des Innenministeriums aus. Ausgangspunkt sei dabei, dass "wir einer außerordentlicher Bedrohung durch den Terrorismus ausgesetzt sind". Dies sei kein "Hirngespinst von Geheimdiensten". Es gehe bei der verdeckten Online-Durchsuchung nicht darum, "in die Privatheit unserer Bürger einzudringen". Aber man dürfe auch "Terroristen, die zu allem entschlossen sind, keinen Ruheraum und keine Basis bieten".

Hahlen verdeutlichte weiter, dass das Innenministerium sehr an einer grundrechtskonformen Lösung bei den gewünschten Ausforschungen "informationstechnischer Systeme" interessiert sei. "Wir denken sehr intensiv darüber nach, ob wir neben den Grundrechten auf freie Kommunikation und auf den Schutz der Wohnung auch den Grundrechtsschutz auf dieses neue Medium ausdehnen müssen", erklärte er in Bezug auf das Internet. Einen entsprechenden Vorschlag hatte Schäuble jüngst im Koalitionsstreit über verdeckte Online-Durchsuchungen ins Spiel gebracht. "Die beiden anderen Grundrechte greifen nicht direkt", erläuterte Hahlen. Allerdings bräuchte auch der gesondert in die Verfassung aufzunehmende Schutz der vertraulichen Kommunikation über elektronische Medien und von IT-Systemen klare Schranken, um im Notfall auf Daten Verdächtiger zugreifen zu können. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hatte zuvor bei der Verhandlung über die Klausel zu Online-Razzien im NRW-Verfassungsschutzgesetz vom "grundrechtlichen Schutz der Vertraulichkeit und Integrität des eigenen informationstechnischen Systems" gesprochen.

Wenig Gesprächsbereitschaft zeigte Hahlen bei der geplanten verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten, an der die große Koalition trotz massiver Bedenken von Sachverständigen nur noch geringfügige Korrekturen am Gesetzesentwurf der Bundesregierung vornehmen will. "Es gibt keine Vorratsdatenspeicherung bei Vater Staat", versuchte der Staatssekretär die Einwände aus Wirtschaft und Gesellschaft abzubügeln. Sicherheitsbehörden dürften nur dann auf die Informationsberge zugreifen, "wenn die im Gesetz sehr eng beschriebenen Voraussetzungen vorliegen". Hier hat die Regierung im Einvernehmen mit der Koalition aber über die EU-Vorgaben hinausgehende Schürfrechte etwa auch bei der Verfolgung von "mittels Telekommunikation begangener Straftaten" vorgesehen. Dass über die Umsetzung der Cybercrime-Konvention des Europarates auch Länder wie Aserbaidschan oder Russland Zugang zu den umfassenden Datenbeständen hätten, war Hahlen nicht bewusst. Er versicherte pauschal, dass "wir nicht fahrlässig mit den Daten unserer Bürger umgehen. Wir sind da sehr, sehr problembewusst."

Als "sehr vernünftige Idee" bezeichnete es der Staatssekretär dagegen, eine auch auf EU-Ebene diskutierte Ausdehnung der so genannten Universaldienste auf das Internet voranzutreiben und eine "technische Grundversorgung" sicherzustellen. Hahlen erwähnte in diesem Zusammenhang Überlegungen etwa Berlins, "die ganze Stadt zum Hotspot zu machen". Sascha Lobo, Gründer des adical-Werbenetzwerks für Blogger, forderte zugleich die Einführung eines "verpflichtenden Schulfachs Online-Erziehung". Der Aufbau von Infrastrukturen und Bildung sind für ihn die "Zauberworte", mit denen der Staat den Weg in die Netzgesellschaft ebnen könne.

Angesichts des vielfach beklagten Hinterherhinkens Deutschlands bei Angeboten in den Bereichen E-Government und elektronischer Bürgerbeteiligung im Rahmen der E-Partizipation plädierte Rudolf Strohmeier, Kabinettschef des Generalsekretariats Informationsgesellschaft und Medien der EU-Kommission, zudem für mehr "Leuchtturmprojekte". Diese sollten die Vorteile der digitalen Verwaltungsdienste deutlich machen. "Wir haben zu sehr das Transrapid-Phänomen hier", konstatierte der gebürtige Bayer. "Wir entwickeln Technologien, aber trauen uns dann nicht, sie einzusetzen." E-Health und der Kampf um die elektronische Gesundheitskarte seien hier Paradebeispiele. Finnland etwa habe dagegen eine ganz bewusste strategische Entscheidung für Investitionen in den IT-Bereich getroffen und diese parteiübergreifend durchgezogen. Hier würden dagegen die Bedenken zu sehr in den Vordergrund gestellt. Dazu komme ein hinderlicher Hang zum Perfektionismus.

Als positives Gegenbeispiel suchte Hahlen den elektronischen Personalausweis darzustellen, auf dessen Eckpunkte sich Schwarz-Rot vor Kurzem geeinigt hat: "Das soll kein Obrigkeitsding sein, sondern eine Art Bürgerkarte werden." Die Nutzer sollten sich damit authentifizieren und mit digitaler Signatur verbindliche Geschäfte im Internet eingehen können. Auf das "Problem der Anonymität" beziehungsweise deren Sicherung im Netz wollte Hahlen aber nicht eingehen. Mit keinem Wort erwähnte er zudem die beschlossene biometrische Aufrüstung des E-Personalausweises. Die Karte soll auf einem kontaktlos auslesbaren Chip neben einem digitalen Gesichtsbild auch ­ wie beim neuen Reisepass ­ zwei Fingerabdrücke enthalten. (Stefan Krempl) / (vbr)