Grüne wollen den Rechtsstaat "offensiv" verteidigen

Der Bundesvorstand der Oppositionspartei hat im Vorfeld des grünen Bundesparteitags Ende November einen Antrag beschlossen, der sich unter anderem gegen die Vorratsdatenspeicherung und Online-Razzien richtet.

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Der Bundesvorstand der Grünen hat im Vorfeld des Bundesparteitags der Oppositionspartei Ende November in Nürnberg einen Antrag beschlossen, der sich unter anderem gegen die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten sowie Online-Razzien richtet. Mit dem Papier wollen die Grünen "den Rechtsstaat offensiv verteidigen" und die Bürgerrechte stärken. "Terrorszenarien werden zur Stimmungsmache heraufbeschworen und zu ihrer Bekämpfung eine Fülle von neuen rechtsstaatlich inakzeptablen Instrumenten gefordert, die weit in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen", heißt es in dem Vorstoß. Doch Sicherheit dürfe nicht zur "Staatsdoktrin" werden, der sich alles unterzuordnen habe. Die Aufgabe, Sicherheit zu organisieren, verlange gerade auch den Schutz der Freiheitsrechte. Eine Politik, die das ignoriere, "hat den Kampf gegen den Terror schon verloren".

Im Zentrum der Kritik der Grünen steht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker erweckt für die Oppositionspartei den Eindruck, "wir würden in einem permanenten Kriegszustand leben, der die Einführung eines neuen Feindrechts rechtfertigen würde". Dieser Ansatz schaffe Unsicherheit, "weil alle pauschal verdächtigt werden und die Verfassung wie ein Steinbruch malträtiert wird". Die Grünen bestreiten zudem ins Feld geführte Gesetzeslücken und wenden sich gegen eine Instrumentalisierung der tatsächlichen wie vermeintlichen Bedrohungslage. Nötig sei ein Sicherheitsbegriff, der auch ökonomische und soziale Konzepte zur Prävention und zur Konfliktlösung unter Einbezug der Zivilgesellschaft und einem Dialog der Kulturen umfasse.

Im Einzelnen wenden sie sich etwa gegen den Entwurf Schäubles zur Novelle des BKA-Gesetzes, welcher der Polizeibehörde eine Präventivzuständigkeit zur "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus" einräume. Laut den Grünen hat der Innenminister den dafür von der Föderalismusreform vorgesehenen Rahmen "mit einem Freibrief verwechselt". Schäuble übe sich nun "in rechts- und innenpolitischer Maßlosigkeit" und habe ein wahres "Best of" aus dem Katalog des Überwachungsstaates in das Papier eingebaut, das etwa Befugnisse für bundesweite Rasterfahndungen, Schleierfahndung, heimliche Online-Durchsuchungen und den kleinen wie großen Lauschangriff einbeziehe. Der Gesetzentwurf zeige, dass Schäuble neben dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren systematisch ein zweites Ziel weiter verfolgte: ein deutsches FBI und eine damit einhergehende "grundlegende Änderung unserer Sicherheitsarchitektur".

Die Grünen fürchten, dass sich mit der geplanten Ausklammerung der föderalen Struktur der Polizei "ein unkontrollierbarer Moloch mit unbegrenzten Kompetenzen herausbildet". Dabei solle das BKA sogar der Aufsicht durch die Generalbundesanwaltschaft entzogen werden. Dies käme einem "Abkoppeln von der Strafprozessordnung" gleich. Nur dort gelte ja laut Schäuble die Unschuldsvermutung, im Polizeirecht angeblich nicht mehr. Das BKA würde mit dem Entwurf zudem weitere Befugnisse erhalten, die bisher den Geheimdiensten vorenthalten seien.

Die geplante Ausforschung "informationstechnischer Systeme" bezeichnen die Grünen als "unbemerkten Einbruch in den Computer". Der große Netzangriff solle in einem der intimsten Bereiche des heutigen digitalen Lebens geführt werden. Die Oppositionspartei hält dies schlicht für verfassungswidrig. Karlsruhe müsse daher dem in Nordrhein-Westfalen schon erlaubten "Spuk" ein Ende bereiten. Ihrerseits wollen die Grünen "den gesellschaftlichen Widerstand gegen solche Überwachungsmaßnahmen breit organisieren und im Bundestag wie in den Länderparlamenten selbst konsequenten Widerstand leisten". Teil der Strategie ist eine für den 14. November in Berlin geplante "lange Nacht der Bürgerrechte" mit vielen grünen Abgeordneten.

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die von der großen Koalition so gut wie abgesegnete Vorratsdatenspeicherung. Sechs Monate könnte der Staat zukünftig nachverfolgen, wer mit wem wann von wo aus telefoniert oder gemailt hat. Diese "Totalüberwachung" degradiere alle Bürger zu potentiellen Straftätern. Die bei der "Totalprotokollierung" der elektronischen Kommunikation anfallenden Datenmengen würden zudem bereits Begehrlichkeiten wecken. So fordere die Musikindustrie den Zugang dazu, um Tauschbörsennutzer zu identifizieren. Strafverfolgungsbehörden dürften die Daten nach den Plänen der Bundesregierung selbst zur Verfolgung von Bagatelldelikten nutzen dürfen, wenn dabei Telekommunikation verwendet wurde. Dagegen sei absehbar, dass die Vorratsdatenspeicherung terroristische Straftaten nicht verhindern könne und hohe Kosten verursache. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, sprach in Berlin von einem "gefährlichen Richtungswechsel".

Weiter nimmt der Antrag eine Reihe von Forderungen aus vergleichbaren Papieren der Bundestagsfraktion zur Stärkung des Datenschutzes auf. Dabei geht es etwa um eine bessere Wahrung der Privatsphäre im Internet, beim Scoring zur Bonitätsprüfung, bei RFID oder bei der Videoüberwachung. Die Nutzung des globalen Datennetzes müsse den gleichen verfassungsmäßigen Schutzstatus erhalten wie die klassischen Kommunikationsmittel Brief und Telefon. Zudem dürfe der Terrorismusvorwurf nicht als Generalermächtigung zum Vorgehen gegen politisch motivierte Straftäter herangezogen werden. Der umstrittene einschlägige Paragraph 129a Strafgesetzbuch müsse eingegrenzt werden. Die Strafbarkeit dürfe zudem nicht mit weiteren geplanten Verschärfungen immer weiter in den Bereich des Vorhabens, Denkens und Wollens ausgedehnt werden. (Stefan Krempl) / (vbr)