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Was war. Was wird.

Wenn aus Terabytes die Terrorbytes und die "E-Post für Neuland" startetwerden, dann sehnt man sich nach den üblichen Sommerlöchern. Dummheit als natürliche Begabung ist keine Entschuldigung, hält Hal Faber fest.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Kein Kaiman, kein Ort, nirgends. Kein Schuldiger, aber jeder verdächtig. Vom Sommerloch mit Baggersee ganz zu schweigen. Dafür Sommersonne und Themen ohne Ende, eines monströser als das andere, wenn aus Terabytes die Terrorbytes werden. Man muss in diesem merkwürdigen Sommer '13 an Christa Wolf denken, die einstmals in "Kein Ort. Nirgends" schrieb: "Was für eine vorzügliche Einrichtung, daß die Gedanken nicht als sichtbare Schrift über unsere Stirne laufen. Leicht würde jedes Beisammensein, selbst ein harmloses wie dieses, zum Mördertreffen." Das schrieb sie lange bevor wir aufmerksam registrierende Smartphones an unsere Körper schnallten. Ein Ende ist noch lange nicht abzusehen, eine Wende auch nicht. Ein bisschen Kapitalismus hindert noch den Sicherheitsstaat daran, eine Anschnallpflicht für Smartphones für Jedermensch ab 12 Jahren beim Verlassen der Wohnung auszugeben. Weil hey, es gibt ja noch diesen freien Markt und der Bürger soll selbst die ihm zustehende Verwanztechnik kaufen können. Wobei es mit der Anschnallpflicht natürlich nicht getan ist. Dazu gehört auch ein Betriebssystem, in dem man WLAN- und GPS-Kommunikation nicht mehr abschalten kann für die Location Based Surveillance Services.

*** Alles kann aber nicht auf diese Sommerhitze oder die Tatsache geschoben werden, dass Dummheit eine natürliche Begabung ist. Es muss einen direkten Zusammenhang mit der allgemeinen Verblödung durch Wahlplakate und der zunehmenden Verblödungsstrategie von Firmen und Behörden geben: Wir lesen allerorten Sprachmüll auf Plakaten und sind verdummt oder ertaubt, wenn solche Nachrichten kommen wie die, dass der BND Telefonnummern an andere Dienste weitergibt. Etwas, was das Bundeskriminalamt nicht mehr macht, weil die Ermordungsgefahr durch Drohnen nicht von der Hand zu weisen ist. Besonders abstoßend ist dabei die Behauptung des BND, die Mobilfunkdaten seien für eine konkrete Zielerfassung zu ungenau. Kaum glaubwürdig, dass der BND nicht über die Forschungsarbeiten am FKIE informiert ist, die bei der Lokalisierung von Satelliten-Mobilfunktelefonen des arabischen Betreibers Thuraya eine Genauigkeit von 20 Zentimetern erreichen – gerade diese Telefone werden abseits der Abdeckung von GSM-Funknetzen in Pakistan und anderen Gebieten eingesetzt. Wobei hey, ist nicht der Kollateralschaden bei Personen in der näheren Umgebung ohnehin egal, frei nach dem Killer-Algorithmus vom Double Tap? Es wird schon die richtigen treffen.

*** Made in Germany, das war einstmals ein Warnhinweis, der englische Käufer vor minderwertigen deutschen Waren schützen sollte. Später wurde daraus ein Qualitätsabzeichen. Im Zuge der allgemeinen sommerlichen Verblödung ist die E-Mail made in Germany gestartet und wird als deutsche Sicherheitsoffensive verkauft. Hach, wie wunderbar ist es doch, wenn genau wie bei der De-Mail Deutsche unter Deutschen bleiben und der Virenscanner auch noch "kurzzeitig" prüft, ob Malware in der Post steckt. Und mancher Seggel  behauptet noch dazu, dass mit der "kurzzeitigen" Öffnung bei De-Mail unerwünschte Werbung gelöscht wird. Egal, das erste Qualitätsphishing mit dem hübschen Deutschland-Logo der Initiative dürfte sicher schon unterwegs sein, während dem Volk noch die neue Art der Einstellung vermittelt wird, bis es Anfang 2014 ernst wird. Passend zur leitenden Politikdarstellerin hätte man das System "E-Post für Neuland" nennen sollen, doch ist E-Post ein Warenname für eine andere Lachnummer, die sinnigerweise nicht bei "E-Mail made in Germany" dabei ist. Nichts darf das Sommermärchen stören, schon gar nicht der Hinweis, dass just in dieser Woche der Mail-Provider von Edward Snowden schließt und für diese Selbstabschaltung Lob von Snowden bekam. Die Idee vom PGP-Urvater Phil Zimmermann, seinen Silent Circle in die Schweiz zu verlegen, gehört auch zu den Sommerkapriolen. Hey Leute, gilt das Bankengeheimnis auch für E-Mails? Der Kanarienvogel aus dem Bergwerk kommt zu neuen Ehren in digitaler Form: Zürich meldet keine Probleme.

*** Die Einführung der kurzzeitigen Virenkontrolle für alle Mails innerhalb von Deutschland ist also keine Schnüffelei, ebenso wie die Funktionsweise des PRISM-Programmes der NSA keine Spionage im eigentlichen Sinn ist. Und hey, dass das Ansehen der Verfassungsschützer ganz oben bei den Ärzten angesiedelt ist, dürfte eine weitere sommerliche Abirrung des obersten Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen sein, der kluge Sachen sagt: "Ich habe Probleme mit Leuten, die sich die Dinge so zurechtschneiden, wie sie es gerne hätten." Ob das auch für ihn und seinen Geheimdienst gilt, wäre eine gute Frage. Unwillkürlich denkt man an das Versagen im NSU-Skandal, wenn es heißt: "Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Dienste Zugang zur Kommunikationsinfrastruktur in Deutschland haben." Soso, keine Hinweise für einen Zugriff. Aber vielleicht erledigt das der Verfassungsschutz selbst, der XKeyScore mit rechtmäßig erhobenen Daten als Stand-alone-System offline testet. Jawohl, offline, mit Fragen an den rechtmäßigen aufgetürmten Datenberg: "Wer setzt in Deutschland PGP ein?" Eine weitere Version des Programmes ist beim BND seit 2007 im Einsatz, "insbesondere bei der Aufklärung der Lage in Krisengebieten, zum Schutz der dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten, im Kampf gegen den Terrorismus und zum Schutz und zur Rettung entführter deutscher Staatsangehöriger." Ganz schön leistungsfähig, diese NSA-Software.

*** Nach Informationen des Spiegels hat die NSA von der deutschen Gegenspionage keine sonderlich hohe Meinung. In etwa könnte das NSA-Urteil auch für US-Präsident Obama hinkommen, der vor der Presse mehr Transparenz in Sachen NSA versprochen hat. Die wichtigste Reform: Geheime anwaltliche Berater sollen hinzugezogen werden, wenn NSA und CIA im Namen des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) tätig werden wollen. Das klingt gut, hat aber einen Haken. Wie hatte es der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake noch auf der OHM formuliert: "Die NSA will keine Kontrolle. Nochmal, für alle: Die NSA will überhaupt keine Kontrolle." Jedwede Denke an "Checks and Balances" ist innerhalb des von den Diensten gesetzten Rahmens ein fremder Eingriff. Wie die NSA den gesetzlich geschuldeten Auskünften nachkommt, belegt das Beispiel des NSA-Experten James "Esquire" Bamford.

Was wird.

Amazon-Chef Jeff Bezos hat für den Preis eines guten Cezanne-Gemäldes die Washington Post gekauft. Das hat für Aufregung gesorgt, denn schließlich ist bei allem Sterben und Siechen und Jammern so eine Tageszeitung ein ganz besonderes Instrument. Noch immer gilt der Satz des FAZ-Journalisten Paul Sethe aus dem Jahre 1965, nach dem die Pressefreiheit die Freiheit von zweihundert reichen Leuten ist, ihre Meinung zu verbreiten. Einstmals kaufte sich der Multimillionär Eugene Meyer bei einer Versteigerung die pleite gegangene Zeitung, um den New Deal von Roosevelt zu unterstützen. In der Familientradition stand auch die Washington-Post-Besitzerin Katharine Graham, die den Kampf gegen Richard Nixon im Watergate-Skandal als Unterstützung des Kennedy-Clans angelegt hatte. Zuletzt versackte das Blatt im Mittelmaß, "die neuen Medien und die journalistische Kultur des konformistischen Voyeurismus ersetzte das, was noch geblieben war von der Idee des informierten Bürgers", schreibt der wütende Norman Birnbaum in der tageszeitung.

Mit Reason finanziert Bezos bereits ein libertäres Magazin, mit der Washington Post kommt eine Zeitung hinzu, in der Artikel wie dieser über die Geheimdienste besser verbreitet werden können. Natürlich ist Bezos klug genug, die redaktionelle Unabhängigkeit zu betonen. Klappern gehört zum Geschäft. Noch sind die Ideen von Jeff Bezos oder Peter Thiel in Washington nur randständig vertreten. So ein Blatt wie die Washington Post ist bestens geeignet, den Grusel vom Fleisch zu nehmen und Kampagnen für Angebote wie 23andme zu stützen. Gegen den New Deal der Internet-Milliardäre sieht ein mahnender Bill Gates fast schon altbacken aus, mischt aber kräftig mit. "Mögest du in interessanten Zeiten leben", lautet eine Verwünschung all derer, die keine Veränderung wünschen. Hey, wünschen wir ihnen ein furchtbares Gesäusel auf die Ohren. (jk)