Schäuble brüskiert Gegner der Vorratsdatenspeicherung

Mit einem Hitler-Vergleich hat der Bundesinnenminister die von Bürgerrechtlern angekündigte "Massenbeschwerde" gegen die geplante Aufzeichnung der Nutzerspuren abgetan, während auch FDP-Politiker nach Karlsruhe gehen wollen.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble blickt den angekündigten und quasi auf Vorrat gesammelten "Massenklagen" von Bürgerrechtlern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die geplante Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten höhnisch entgegen. "Wir hatten den 'größten Feldherrn aller Zeiten', den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten", bemühte der CDU-Politiker laut einem Bericht der taz am Mittwochabend einen Hitler-Vergleich. Mit der Gegenüberstellung wollte der für seine provokanten Thesen etwa zur Zukunft des Rechtsstaates und der Unschuldvermutung bekannte Minister die Umtriebigkeit des Aktionskreises Vorratsdatenspeicherung vor Verfassungsrichtern und Journalisten in Karlsruhe als von vornherein zum Scheitern verurteilt abtun.

Das Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern konnte Anfang der Woche rund 7000 Unterstützer der Klage in Karlsruhe aufweisen. Bei den bundesweiten Demos gegen die Vorratsdatenspeicherung am Dienstagabend sollen noch viele hundert weitere dazugekommen sein. Die Verfassungsbeschwerde soll eingereicht werden, sobald das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung – dessen Verabschiedung durch die große Koalition im Bundestag für heute auf der Tagesordnung steht – voraussichtlich Ende des Jahres im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird und damit in Kraft tritt. Die vom Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik gemeinsam vertretenen Kläger wollen auch beantragen, dass die Zwangsspeicherung der Verbindungs- und Standortdaten bis zu einer Entscheidung der roten Roben durch einen Karlsruher Eilbeschluss ausgesetzt wird.

Nach Politikerin der Linkspartei haben derweil auch mehrere Liberale angekündigt, wegen der Vorratsdatenspeicherung vors Verfassungsgericht ziehen zu wollen. Zu den Klagewilligen gehören der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wie Baum am Donnerstag Spiegel Online sagte. Das Dreierteam klagte gemeinsam bereits erfolgreich gegen den großen Lauschangriff. Wie weit das Bundesverfassungsgericht bei den Vorratsdaten überhaupt eingreifen kann, ist aber offen. Denn in den Teilen des Gesetzesentwurfs, die auf europäischen Vorgaben beruhen, obliegt der Schutz der Grundrechte an sich den Kollegen am Europäischen Gerichtshof.

Baum erklärte aber, der vor der Abstimmung stehende Entwurf "weit über die EU-Richtlinie" hinausgeht". Der FDP-Politiker verwies auf ein früheres Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum europäischen Haftbefehl, den das Gericht im Juli 2005 überraschend kassierte. Die Richter hätten in ihrer Begründung festgehalten, dass die Umsetzung der Maßnahme in deutsches Recht "nicht in grundrechtsschonender Weise" erfolgt sei. Dies treffe auch auf die Vorratsdatenspeicherung zu.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar betonte derweil im SPD-Parteimagazin vorwärts, dass sich die Qualität und der Umfang der Maßnahmen "gewaltig ändert". Nach dem bisherigen Recht dürften die Verkehrsdaten nur gespeichert werden, soweit dies für die Abrechung und einige eng umrissene andere Zwecke, etwa zur Behebung von Störungen, erforderlich ist. Im übrigen seien sie frühestmöglich zu löschen. Insbesondere für das Internet bedeute die neue Regelung eine Vervielfachung der Speicherfrist. Er teile weiter daher die schweren verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn man den Maßstab des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung zugrunde lege, erklärte Schaar anderweitig, sei dieser auch beim Abhören der Telekommunikation durch das Gesetzgebungsvorhaben nicht erreicht worden.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beteuerte derweil im Deutschlandfunk, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch zum Selbstverständnis der Bundesregierung gehöre. Dieses besage ja aber nur, "dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert". Zugleich räumte die SPD-Politikerin nach ihrer bekannten Verteidigung des Vorstoßes letztlich ein, dass die Vorratsdatenspeicherung doch "in der Tat eine andere Form von tatsächlichem Eingriff ist". Verbindungs- und Standortdaten würden jetzt länger und im Internet im größerem Umfang gespeichert. Sie würden aber "nur dann abgefragt, wenn es um den Verdacht einer schweren Straftat geht und ein Gericht entschieden hat". Dass der Zugriff von Ermittlern und Geheimdiensten auch bei Bagatelldelikten im Telekommunikationsbereich möglich sein soll, erwähnte Zypries nicht.

Auch in den Ländern gibt es Vorbehalte gegen den Entwurf. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf etwa hat vor einem "Zweiklassen-Recht" bei der geplanten Speicherung von Daten auf Vorrat gewarnt. "Wir befürchten, dass der Schutz der Berufsgeheimnisträger in Zukunft aufgeweicht und nicht mehr so ernst genommen wird wie nötig", sagte der FDP-Politiker der dpa. Damit werde die Freiheit der Bürger in einem ganz sensiblen Bereich beeinträchtigt. Nach Ansicht des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann ist die Vorratsdatenspeicherung dagegen ein wirksames Mittel im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Der CSU-Politiker meinte im Deutschlandradio, dass angesichts der klaren gesetzlichen Regelungen die Sorgen der Bürger vor zusätzlicher Überwachung "völlig unbegründet" seien.

Die 2. und 3. Lesung über den Entwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Vorratsdatenspeicherung ist für den heutigen frühen Nachmittag etwa zwischen 12.55 und 13.45 angesetzt. Die Debatte und die Abstimmung können live etwa über den Fernsehkanal Phoenix, die Webstream-Angebote des Bundestags oder im Radio unter anderem beim RBB, dem Bayerischen Rundfunk oder dem NDR verfolgt werden. Die Humanistische Union hat aus Anlass der Verabschiedung des Entwurfs zu einer kleinen Trauerfeier für das Fernmeldegeheimnis eingeladen. Die Freunde einer vertraulichen Kommunikation treffen sich um 13.30 Uhr in Berlin-Mitte, um am Reichstagufer an der Ecke Wilhelmstraße einen Kranz an der Glasstele des Artikels 10 Grundgesetz niederzulegen. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hatte gestern bereits zur Verhüllung von Webseiten im Rahmen einer Online-Demo aufgerufen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)