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Was war. Was wird.

Wahlkampf? Als ob die wirklich wichtigen Fragen gestellt würden, bemängelt Hal Faber. Was bleibt von einem demokratischen Staat, wenn NSA und GCHQ Politik und Wirtschaft unterwandern bis hin zur offensichtlichen Hirnwäsche für Bundesminister?

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Alles kann geschehen, die höchsten Türme können
umgestürzt, die Hochstehenden eingeschüchtert,
die Übersehenen beachtet werden.

Seamus Heany ist gestorben. Dereinst, als ich über die ungeschminkten Wahrheiten des Journalismus ins Grübeln kam, gab es Glückwünsche zum Geburtstag, die ihm befremdlich vorkamen. Denn die unendliche Geschichte von SCO, zu der aus seinem Nordirland-Zyklus zitiert wurde, muss ein großer Dichter nicht kennen. Im Reich der Poesie gelten andere Gesetze als der schnöde Codeklau. Oder auch nicht, um auch mal Wanderers Nachgedanken zu zitieren.

Unter allen Zweigen ist Ruh,
In allen Wipfeln hörest du
Keinen Laut.
Die Vögelein schlafen im Walde,
Warte nur, balde
Schläfest auch du.

*** Goethe? Kleist? Snowden? Einen habe ich noch. Wolfgang Herrndorf hat mit einem Schuss am Ufer seine Ruhe gefunden. Arbeit und Struktur ist beendet, ein letztes großes Werk. Im Feuilleton wird klug über den klugen Hypomaniker geschrieben.

Und,
wenn es nicht vermessen ist,
vielleicht ein ganz kleines
aus zwei T-Schienen
stümperhaft zusammengeschweißtes
Metallkreuz mit Blick aufs Wasser,
dort,
wo ich starb.

*** Dank Edward Snowden wissen wir seit dieser Woche, dass die 16 US-amerikanischen Geheimdienste 107.000 Personen beschäftigen, unter ihnen 35.000 Kryptologen. Die dürfen 11 Milliarden im Jahr ausgeben, während alle übrigen Dienste mit einem Budget von 52,6 Milliarden US-Dollar knausern müssen. Für schlappe 278 Millionen Dollar wurden Dienste von Backbone-Providern eingekauft. Noch billiger sind verdeckt eingekaufte Software-Sicherheitslücken mit 25,1 Millionen Dollar. Nur 2,6 Milliarden hat die CIA als "reichster" Dienst für "verdeckte Aktionen" zur Verfügung, etwa für Drohnenangriffe in Pakistan und im Jemen. Gleichzeitig wird beklagt, dass man "Erkenntnisschwächen" habe, bei pakistanischen Atomwaffen, chinesischen Kampfflugzeugen und russischen Reaktionsmustern, wenn Moskau von "Massenprotesten oder Terrorangriffen" erschüttert wird. Ganz schlimm ahnungslos will man im Fall von Nordkorea sein, das von einem gewissen Kim Jong Un regiert wird.

*** Im Fall von Osama Bin Laden hatte man zwar hunderte von Satellitenbildern und abgehörten Telefonaten aus dem pakistanischen Abottabad, konnte aber nur mit 40-prozentiger Gewissheit annehmen, dass sich Bin Laden dort aufhielt. Dennoch wurden die Navy Seals losgeschickt. Erst ein später von den USA abgestrittener DNA-Test brachte Klarheit. Halt, es kommt noch besser. Snowden sollte als Systemadministrator arbeiten, doch er war nicht klug, sondern brilliant. Bis heute weiß man bei der NSA nicht, was Snowden alles weiß. Den eigentlichen Witz liefert mal wieder Großbritannien ab, dass auch die New York Times aufgefordert hat, das Snowden-Material zu zerstören. Wann revoltierten die amerikanischen Kolonien gegen die "unerträgliche britische Pressezensur"? Die freie Welt ist eine Einbildung, lehrt uns die Geschichte.

*** Sicherheit! Sauberkeit! Service! Hach, das sind Worte, bei denen das Herz jedes Bahnreisendens einen Hüpfer macht. Für 36 Millionen Euro wird die Videoüberwachung ausgebaut als Reaktion auf die Kofferbombe von Bonn. In 640 Bahnhöfen (von 5700) sind derzeit 4500 Kameras installiert. Mindestens noch einmal so viele werden gebraucht, die Sicherheit zu sichern. Die Sauberkeit kommt noch einmal auf 24 Millionen. Wir sehen: Wer sich im Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit für die Sauberkeit entscheidet, dem muss es dreckig gehen. Daran sollte man sich am Internationalen Tag der Privatsphäre erinnern. Jetzt muss nur noch die vom Bundeskriminalamt bemängelte  Gesichtserkennung besser werden, aber das schaffen wir noch.

*** Apropos BKA: In dieser Woche wurde das Experten-Gutachten offiziell vorgestellt, in dem die Kommission eine bessere Kontrolle des BKA empfiehlt. Das brachte die üblichen Verdächtigen aus der Fassung: Ein abwegiger Vorschlag sei das und überhaupt, eine Polizeibehörde sei doch kein Nachrichtendienst. Dass es genau darum geht, das dem Amt "Vorfeldoperationen" und Analysen zur Sicherheitslage übertragen wurden, will nicht in die bemützten Schädel. Dass am kommenden Tag der offenen Tür mit Kinderhüpfburgen und Reiterstaffel der Besuch der Präsentation des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorzentrums von einer Sicherheitsüberprüfung abhängig ist, ist da ein deutlicher Hinweis.

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau online geht, ist der Tag angebrochen, an dem angeblich in Deutschland die Wahl entschieden wird. Die vier aus dem Seehundbecken treten gegen die Zwei an und dann wird entschieden, wer die bessere Frisur hat. Das wiederum soll unentschlossene Wähler aus dem Dämmerzustand holen, in dem der komatöse Wahl"kampf" das Land versetzt hat. Zu den leicht schwachsinnigen Fragen des Wahl-O-Maten kann man An jedem neuen Tag trällern oder zugedröhnt wie die Piratenkatze für einen Wandel im Umgang mit Cannabis nicken. Wie heißt es so schön in dem Song, der auch heute noch gilt: "Die eine Pille macht Dich größer. Die andere Pille macht Dich kleiner. Und die, die Mutti Dir gibt, macht einfach überhaupt nix." 1967 ein Kommentar zum Wahlkampf in Deutschland 2013? Hilfe. Ich bin in einer Zeitschleife. Geh, frag Alice, wie Du da wieder rauskommst.

Die wirklich wichtigen Fragen dieser Zeit werden nicht gestellt: Was bleibt von einem demokratischen Staat, wenn Geheimdienste wie NSA und GCHQ Politik und Wirtschaft unterwandern und erpressen können bis hin zur offensichtlichen Hirnwäsche für Bundesminister? Wenn es keine Beweise für Wirtschaftsspionage geben sollte, ist die Eile, mit der eine Schutz- und Sicherheitsstrategie abgeschlossen wird, unbegründet. 173.000 Computer soll die NSA als "Implantate" unter Kontrolle haben – und keiner steht in Deutschland? Aber nein, nein, nein, das ist doch kein Wahlkampfthema. Bitte weiterwählen Herrschaften, hier gibt es nichts zu sehen!

Vor 80 Jahren wurde der Hannoveraner Philosoph, Feminist und Journalist Theodor Lessing von Nationalsozialisten in Marienbad ermordet. Das war vor 10 Jahren Thema dieser kleinen Wochenschau, gehört aber zur Vorschau, weil die Wanderausstellung über Lessings Leben und Werk an der Universität Hannover Halt macht. Im dortigen Amtsgericht ist zudem eine Lesung von Lessings Gerichtsreportagen über den Serienmöder Fritz Haarmann geplant, die für das Prager Tageblatt verfasst wurden. Haarman brachte reihenweise junge Männer um, konnte aber dennoch als Polizeispitzel arbeiten. Dieses erhellende Detail verschwieg Lessing nicht. "Man kann eine Schlange nicht richten, ohne zugleich den Sumpf mit vor Gericht zu stellen, daraus allein die Schlange ihre Nahrung zog", schrieb Lessing und wurde deshalb als Berichterstatter vom Prozess ausgeschlossen. "Wir können im Gerichtssaal keinen Herren dulden, der Psychologie treibt."

1500 Menschen sollen in Syrien durch einen Giftgaseinsatz jenseits der roten Linie ums Leben gekommen sein. Es wird nicht der letzte gewesen sein, die neue Eskalationsstufe ist gezündet, die Juristen leisten argumentative Schwerstarbeit. Aber es gibt auch Fragen im Stil der Sendung mit der Maus. Aus der roten Linie ist eine rote Reißleine geworden, über die der Kongress abstimmen muss. Historisch wie ein Papst-Rücktritt ist das, wenn der Oberbefehlshaber das Votum an die Abgeordneten abgibt, oder eine Art Notausgang. Wie schrieb Lessing: "Ein neuer Krieg, mit achthundert Sorten Giftgasen, mit Stratosphärenbombern und Gasbomben, die automatisch sich entladen, mit Streukörperbrausen, welche Pest- und Typhusbakterien über das Land aussäen, bald vielleicht schon mit Atomzertrümmerung, das ist ein so furchtbarer Zusammenbruch der Menschheit und ihrer Kultur, dass derjenige Staat gnädig und menschlich handeln würde, der allen Müttern rechtzeitig Blausäuregift ins Haus schickt, damit sie sich und die Kinder vergiften." (jk)