Künast wirbt für Allianz von Verbraucher- und Bürgerrechtlern

Bei der "langen Nacht der Bürgerrechte" der Grünen hat die Fraktionschefin die präventiven Überwachungspläne Schäubles scharf kritisiert, aber die Einschränkung von Freiheitsrechten nach dem 11. September verteidigt.

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Bei der "langen Nacht der Bürgerrechte" der grünen Bundestagsfraktion hat deren Fraktionschefin, Renate Künast, am gestrigen Mittwochabend für neue Allianzen zur Auffrischung der Wertigkeit der Grundrechte geworben. "Ich würde mir wünschen, dass die Verbraucherrechte zu den Bürgerrechten gehören", erklärte die frühere Verbraucherschutzministerin. Es gehe darum, die "Grundrechte weiterzuentwickeln". Dazu gehöre etwa auch das Recht zu wissen, was in Erzeugnissen "drin ist und wie etwas produziert wurde". Der Bürger müsste aber auch in Erfahrung bringen dürfen, "wie man bei Finanzdienstleistungen beschissen wird" oder was in der Pflege- und Sozialversicherung eigentlich alles enthalten sei. Dies sei ein "wichtiger Aspekt, um zu einer neuen Generation von Bürgerrechten zu kommen".

Aber auch auf dem traditionellen Terrain der Freiheitsrechte sprach sich Künast für deren Stärkung in Zeiten der Bekämpfung des weltweiten Terrors aus. "Wo setzt man den Damm", muss der Fraktionsvorsitzenden zufolge aktuell vor allem die Frage lauten. Früher sei die Strafverfolgung als "reines Abwehrrecht" begriffen worden, kritisierte sie vor allem die Vorstöße von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Umwandlung des freiheitlichen Rechtsstaates in einen "präventiven Sicherheitsstaat". Jetzt würden von jedem die Fingerabdrücke im Rahmen des elektronischen Reisepasses beziehungsweise künftig mit der neuen Generation des Personalausweises genommen, Telefon- und Internetdaten auf Vorrat gespeichert, die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten verwischt sowie die Bundeswehr für Einsätze im Inneren "hoffähig" gemacht. Mit diesen Maßnahmen und Bestrebungen würden die "Grundsätze unseres Rechtsstaates aufgeweicht".

Zugleich räumte Künast aber ein, dass "wir eine transnationale Bewegung des islamistischen Terrorismus haben". Es seien Ideen in der Welt, von denen sich andere radikalisieren lassen würden. Ein "Kampf gegen das demokratische System" aus dieser Richtung sei nicht zu leugnen. Dabei gebe es auch neue Täterprofile: "Man weiß überhaupt nicht mehr, wer es sein könnte." Klar verhandelbare Ziele seien nicht zu erkennen, vielmehr würden die islamistischen Terroristen es auf "Zersetzung" abgesehen haben. Diese Bedrohung darf laut Künast "aber nicht dafür herhalten, dass wir unser System über Bord kippen". Die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates müssten vielmehr aufrechterhalten werden. Die Bedrohungsszenarien seien zudem auch letztlich austauschbar. Dem Befinden der Grünen nach könnte man dafür etwa "auch internationale Finanzströme und die dahinterstehenden Aktivitäten nehmen".

Als Prinzip für den Datenschutz in der vernetzten Welt stellte Künast die Regel auf: "Was man offline nicht darf, darf online auch nicht so einfach gehen." Da es der Polizei hierzulande nicht erlaubt sei, einfach Wohnungen auszuspionieren, sei dieses Schutzprinzip auch auf die von Schäuble geplanten heimlichen Online-Durchsuchungen zu übertragen. Der so genannte Bundestrojaner sei ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Da müsse man sich zuerst anschauen, ob dieses Mittel überhaupt dem Polizeirecht entspreche, also "geeignet und verhältnismäßig" wäre. Wenn sich potenzielle Täter mit Fachwissen derlei Ausforschungen entziehen könnten, der Durchschnittsbürger aber keine "Gegenwehr" auf seinem Computer installiere, sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip bereits nicht mehr gewahrt. Die Grünen haben sich generell wiederholt gegen Online-Razzien ausgesprochen.

Für sinnvoll hält die Fraktionschefin einen besseren Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden untereinander, solange dabei keine Volldateien einsehbar seien. Zugleich suchte Künast die Beteiligung ihrer Fraktion an manchem Anti-Terror- und Überwachungsgesetz während der rot-grünen Regierungszeit verständlich zu machen. "Ich wusste am 11. September: Jetzt wird alles anders", erinnerte sie sich an den Herbst 2001 zurück. "Wir waren aber auch ein Korrektiv" zu den Vorschlägen von Ex-Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). So habe man wieder und wieder über die Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden diskutiert und "schon auch mal die Sense" ausgepackt. Dennoch sei nicht immer das "Super-Optimale" bei der Gesetzgebung herausgekommen. "Ich wünsche uns allen, dass man eine solche Drucksituation nicht noch mal erlebt."

Andere Parteien wie die FDP brauchen laut Künast zudem nicht mit dem Finger auf die Grünen zeigen, da auch deren Mitglieder in Regierungsfunktionen etwa in einzelnen Bundesländern Überwachungsvorhaben wie heimliche Online-Durchsuchungen mit verabschiedet hätten. Für sie persönlich sei jedenfalls klar: "Ich will nicht ein gläserner Bürger im Orwellschen Sinne von 1984 sein." Für "unterbelichtet" hält Künast in diesem Zusammenhang noch, "was vom Supermarkt bis zur Krankenkasse alles über uns gespeichert wird". Hier müsse mehr Transparenz ins System der Datensammelei gebracht werden.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)