re:publica: Mit der deutschen Rechtsprechung zurück zum Web 0.5

Wer hierzulande bloggt, sieht sich laut Juristen mit vergleichsweise hohen rechtlichen Risiken konfrontiert. Das Spektrum reiche von Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen bis zu Prüfungspflichten beim Zulassen von Kommentaren.

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Wer hierzulande bloggt, sieht sich laut Juristen mit vergleichsweise hohen rechtlichen Risiken konfrontiert. Das Spektrum reiche von Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen bis hin zu unerfindlichen Prüfungspflichten von Inhalten schon beim Zulassen von Kommentaren. Blogger würden sich mit ihrer Tätigkeit in die Öffentlichkeit begeben und seien damit juristisch deutlich angreifbarer als in der Privatsphäre, erläuterte der Rechtsanwalt Till Jaeger am Donnerstag auf der Medienkonferenz re:publica in Berlin. Sein Kollege Thorsten Feldmann sah das viel beschworene Mitmachnetz in Deutschland aufgrund zweifelhafter Gerichtsentscheidungen gar zurück auf dem Weg zum "Web 0.5". Es werde noch soweit kommen, dass Blogger etwa Kommentarfunktionen aus Angst vor Haftungsauflagen komplett abstellen würden.

Im Zentrum der Debatte stand das Urteil des Landgerichts Hamburg gegen den Medienjournalisten Stefan Niggemeier, mit dem dieser für einen mitten in der Nacht verfassten Kommentar zu einem kritischen Beitrag über die Firma Callactive zur Rechenschaft gezogen und zur umfassenden Vorabkontrolle der Lesereinträge verdonnert wird. Der Blogger hatte den auf die Meinungsfreiheit und ein Format des Call-TV-Senders anspielenden Kommentar zwar am nächsten Vormittag nach Veröffentlichung gleich gelöscht. Trotzdem flatterte ihm eine Abmahnung mit Androhung einer Vertragsstrafe im Wiederholungsfall ins Haus. Obwohl Paragraph 7 und 8 Telemediengesetz (TMG) eigentlich eine Haftungsfreistellung etablieren, legten die Hamburger Richter Niggemeier einen "gleitenden Sorgfaltsmaßstab" mit einem Spektrum abgestufter Prüfpflichten auf.

Der Beklagte will sich mit der Entscheidung nicht zufrieden geben und in die Berufung gehen. Trotzdem sieht Feldmann damit eines der wichtigen Merkmale der Blog-Kultur generell in Gefahr. Die Prüfauflagen inzwischen seien enorm. Bei der Webplattform des Berliner Tagesspiegel etwa müssten gut 800 Kommentare pro Tag vorab kontrolliert und davon in diesem Rahmen rund 300 ausgesondert werden. Derlei Pflichten "verhindern de facto Kommunikation", monierte Niggemeier. Er als einzelner Blogger könne etwa nicht den ganzen Tag Kommentare freischalten, sodass ihm das Gericht die Einrichtung von Fenstern für die Öffnung der entsprechenden Funktion empfohlen habe. Die beste Antwort darauf könne eventuell nur sein, "anonym aus dem Ausland zu bloggen".

Noch habe er aber "keine Schere im Kopf" beim Verfassen von Einträgen, der Fall müsse jetzt eben ausgestanden werden, versicherte der Autor. Beim Thema Callactive lasse er zudem Kommentare prinzipiell nicht mehr zu, um nicht erneut Anlass zur Vermutung einer "provozierenden Ausgangsmeldung" zu geben. Zudem schlage eine Benachrichtigungsfunktion bei der Verwendung von Wörtern wie "Betrug" oder dem Namen des Call-in-Senders Alarm. Niggemeier bedauerte zugleich, dass man in derlei Fällen anders als etwa bei Urheberrechtsverstößen die Staatsanwaltschaft nicht dazu bewegen könne, zum Internetprovider zu gehen und die persönlichen Nutzerdaten hinter einer IP-Adresse abzufragen.

Feldmann setzt derweil wenig Hoffnung auf Klarstellungen durch den Bundesgerichtshof (BGH) und sieht daher den Gesetzgeber und vor allem das federführende Bundeswirtschaftsministerium am Zug. Dort seien die Arbeiten an der vielfach geforderten Verdeutlichung der Haftungsregeln im TMG aber noch "in einem sehr frühen Stadium".

Keine eindeutige Auskunft konnten die Juristen auch auf viele weitere rechtliche Fragen gaben. So wollten mehrere Blogger etwa wissen, ob man fremde E-Mails kurzerhand veröffentlichen oder länger daraus zitieren dürfe. Dabei müsse man zum einen ans Urheberrecht denken, zum anderen sei eine Persönlichkeitsverletzung denkbar, entgegneten die Anwälte. Bei einem Blogger, der bereits regelmäßig E-Mails publiziere, müsse man andererseits bei einer Zuschrift selbst auch damit rechnen. Abmahnungen dürften laut einer jüngeren Entscheiden jedenfalls veröffentlicht werden. Ansonsten gelte es immer abzuwägen, wie groß das öffentliche Interesse an einer Publikation privater Mails sein könnte.

Zur re:publica 2008 siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)