Jagd auf Blogger: China bringt Kritiker zum Schweigen

In China läuft der bislang größte Feldzug gegen kritische Stimmen im Internet. Die Partei sieht ihre Meinungshoheit bedroht. Prominente Blogger werden festgenommen und zur öffentlichen Selbstkritik gezwungen. Droht eine Kulturrevolution im Netz?

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Von
  • Andreas Landwehr
  • dpa

Im chinesischen Internet geht die Angst um. Regimekritische Blogger löschen frühere Einträge, die heikel sein könnten. Die Debatten werden stiller, seit Chinas Führung die bislang schärfste Kampagne zur Kontrolle des Internets gestartet hat. Das Oberste Gericht verkündete vage Richtlinien, wonach die Verbreitung von "Gerüchten" mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Zur Abschreckung wurden einflussreiche Blogger inhaftiert und reumütig im Fernsehen vorgeführt. Kritiker sehen in der Hetzjagd eine "Online-Kulturrevolution" aufziehen.

Es geht um die Meinungsführerschaft, seit Blogger mit über zehn Millionen Anhängern mehr Gehör finden als das Parteiorgan Volkszeitung. Den Startschuss gab Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer intern verbreiteten Rede Ende August. Laut Presseberichten forderte der neue "starke Mann" Chinas mit kämpferischen Tönen, der Propaganda-Apparat müsse eine "starke Armee" formieren, um in den neuen Medien "Feldgewinne zu machen".

Wenige Tage später begannen die Festnahmen. Der reiche Investor Charles Xue, ein liberaler Meinungsführer, kam in Haft. Er hatte sich angeblich mit Prostituierten eingelassen. Doch sein Verbrechen war eher seine Popularität in den Weibo, dem chinesischen Gegenstück zum gesperrten Kurzmitteilungsdienst Twitter. Zwölf Millionen Anhänger hatte Xue, der sich gegen Kinderhandel und andere Ungerechtigkeiten einsetzte. Mit ihm geriet erstmals ein "Großes V" – wie Prominente mit einem "verifizierten" Konto in China genannt werden – ins Visier der Staatssicherheit.

In Handschellen und Gefängniskleidung wurde Xue im Staatsfernsehen an den Pranger gestellt. Er gestand schuldbewusst, sich "wie ein König" im Internet aufgeführt zu haben. "Meinungsfreiheit kann nicht über dem Gesetz stehen", betete Xue die offizielle Linie nach. Er lobte die Kampagne der Regierung gegen "Gerüchte" als "guten Anfang" im "Wildwuchs" des Internets. Auch der bekannte Immobilienunternehmer Pan Shiyi, der online gegen Luftverschmutzung gekämpft hatte, stellte sich im Staatsfernsehen plötzlich hinter die Regierung und stotterte nervös, dass Internetnutzer "mehr Disziplin" üben müssten.

Kurz darauf wurde ein weiterer engagierter Blogger festgenommen. Der bekannte Risiko-Kapital-Geber Wang Gongquan hatte eine Kampagne für die Freilassung des Führers der "Bewegung der neuen Bürger", Xu Zhiyong, unterstützt. Als jüngstes Opfer holte die Polizei dann diese Woche den als "Boss Hua" bekannten Wu Dong ab, der Funktionäre mit Bildern ihrer teuren Luxusuhren online in Schwierigkeiten gebracht hatte. "Es gibt einige, die Meinungsfreiheit im Cyberspace für mutwillige Verleumdung nutzen und Partei und Regierung attackieren", befand das Parteimagazin "Qiushi" (übersetzt: Die Wahrheit suchen).

Das Oberste Gericht verfügte, dass Nutzer sozialer Medien wegen "Verleumdung" angeklagt werden können, wenn ihre Beiträge mit "Gerüchten" von mehr als 5000 Lesern gesehen werden oder mehr als 500 Mal weitergeleitet wurden. Einige "nutzen heikle soziale Fragen" und verbreiteten falsche Informationen, was die soziale Ordnung störe und "Massenzwischenfälle" auslöse, begründete das Gericht den Schritt. Wiederholungstätern drohen bis zu drei Jahren Haft.

Den Kritiker Bao Tong sieht sich an Methoden der Kulturrevolution erinnert. Der frühere Sekretär des 1989 vor der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung gestürzten reformerischen Parteichefs Zhao Ziyang ist empört: "Wer kann sicher sagen, was ein Gerücht ist?" Chinas Politik sei unberechenbar. "Der gestern erklärte Nachfolger ist morgen ein Verräter", kommentierte Bao Tong im "Radio Free Asia". Die Propaganda verbreite schließlich selbst Unwahrheiten. "Diese Partei bewegt Himmel und Erde, um selbst Gerüchte über sich zu verbreiten – und sie dann wieder zurückzuweisen."

Die Partei will sich die Meinungshoheit nicht nehmen lassen. Der oberste Internetaufseher Lu Wei will den Kampf gegen die "negative Energie" im Netz – sprich die Inhalte, die der Partei schaden – verschärfen. Dazu gehört die Zensur genauso wie die Registrierung mit echten Namen, um die Schuldigen zu finden. Nutzer sollen sich gegenseitig überwachen und für ein "sauberes" Netz sorgen, schrieb Lu Wei im Parteiorgan: "Wenn wir nicht wirksam das neue Schlachtfeld der öffentlichen Meinung erobern, werden es andere Leute besetzen." (anw)