Rechtsprofessor kritisiert Vertragsentwurf für Kinderporno-Sperren
Der Münsteraner Informationsrechtler Thomas Hoeren betrachtet die von Familienministerium und BKA gewünschte Vereinbarung über Web-Blockaden als juristisch haltlos. Die Verhandlungen zwischen Providern und Politik ziehen sich derweil weiter hin.
Thomas Hoeren, Professor am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster, hat die vom Bundesfamilienministerium und Bundeskriminalamt (BKA) gewünschte Vereinbarung "über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet" als haltlos bezeichnet. "Der vorliegende Vertragsentwurf ist in fast allen Bereichen juristisch sinnlos und nicht durchsetzbar", erklärte der Informationsrechtler gegenüber der Vereinigung CareChild. Es sei höchst zweifelhaft, ob eine entsprechende Übereinkunft nach den Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes überhaupt geschlossen werden dürfe.
Konkret stößt sich Hoeren etwa an der Klausel, wonach das BKA die Verantwortung übernehme für "Vermögensschäden", die dem Zugangsvermittler durch Verletzung der Prüfpflichten der Wiesbadener Polizeibehörde beim Erstellen der Filterliste entstehen könnten. Eine derartige Haftung, bei der es um erhebliche Summen gehen kann, darf das Bundeskriminalamt laut dem Juristen nicht übernehmen: "Das ist mit dem geltenden Staatshaftungsrecht unvereinbar." Er werte den Vertrag daher "lediglich als symbolisch, aber juristisch irrelevant". Der eigentliche Vertragsgegenstand, die technische Sperrung durch eine Umleitung von Webadressen über das Domain Name System (DNS), sei ferner "sowieso wirkungslos", stimmt Hoeren mit Experten bei einer parlamentarischen Anhörung überein.
Der Entwurf für die vom Familienministerium mit Nachdruck eingeforderte "freiwillige" Vereinbarung stand am Freitag auch auf der Agenda der Arbeitsgruppe "Access Blocking" zwischen Vertretern der Bundesregierung und Providern im Hause der Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Berlin. Wie aus Teilnehmerkreisen verlautete, versuchte die Federführerin des Ministeriums, Annette Niederfranke, zunächst vergeblich eine Diskussion über potenzielle Eingriffe ins Fernmeldegeheimnis zu unterbinden. Ein Abgesandter des Bundesinnenministeriums vertrat die umstrittene Auffassung, dass ein Abruf von Webseiten generell nicht dem Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses unterliege. In Anspielung auf die Kritik von der Leyens an einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das zu einer entgegengesetzten Auffassung kommt, bezeichneten Wirtschaftsvertreter diese Ausführungen als "unterirdisch". Nun soll das Innenministerium in einer eigenen Studie den Fall rechtlich durchleuchten.
Position bezogen die Provider vor allem zu dem Vorschlag im Vertragsentwurf, dass sie Eingriffe in das angeblich gar nicht berührte Fernmeldegeheimnis und in andere Grundrechte über eine Änderung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ihren Kunden verkaufen sollen. Weiter umstritten war zudem der geplante "Stopp-Server", auf den Anfragen nach Webadressen auf der Sperrliste umgeleitet werden sollen. Hier wollen beide Seiten nach einem "vertrauenswürdigen Dritten" suchen, der eine solche Seite und die dabei anfallenden Logdateien betreuen könnte. Generell bestand der Großteil der anwesenden Zugangsanbieter zudem auf einer eigengesetzlichen Regelung für Websperren. Aufgrund der vielen geäußerten Bedenken bat das Familienministerium letztlich die Provider, den Entwurf in einer eigenen Arbeitsgruppe bis zum Donnerstag zu überarbeiten und beim nächsten gemeinsamen Treffen mit der Politik vorzulegen.
Neben der momentan im Ausland weilenden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Familienbereich, Ilse Falk, hat unterdessen auch der familienpolitische Sprecher der Union, Johannes Singhammer, Unverständnis über das Zögern der Zugangsanbieter gezeigt. "Es ist höchste Zeit, die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet nachhaltig zu erschweren. Wir begrüßen daher den Vorstoß von Bundesministerin Ursula von der Leyen", erklärte der CSU-Politiker. Es sei "absolut richtig", dass die CDU-Politikerin ihren Blick "auf den Schutz dieser Kinder lenke" und gemeinsam mit Kabinettskollegen Zugriffssperren im Internet durchsetzen wolle. "Access Blocking" sei in anderen europäischen Ländern "sehr erfolgreich". Deutschland sollte bei der Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet "nicht Nachzügler, sondern Vorreiter sein". Erste Etappe müsse eine verbindliche Vereinbarung sein, die nach Einschätzung Singhammers "in Kürze zwischen dem Bundeskriminalamt und den Internetanbietern geschlossen wird".
Siehe dazu auch:
- CDU-Politikerin wettert gegen Kritiker von Kinderporno-Internetsperren
- CCC veröffentlicht Vertragsentwurf zum Sperren von Kinderpornographie
- Familienministerin kämpft an allen Fronten für Kinderporno-Sperren
- Die EU auf dem Weg zu Internetsperren
- Gutachten: Rechtliche Bedenken gegen Internet-Sperren
- IT-Verband warnt vor "Schnellschüssen" bei Kinderporno-Sperren
- Noch viele offene Fragen bei Kinderporno-Sperren
- Kripo warnt vor rechtsfreiem Cyberspace
- Kriminalbeamte: Sperren von Kinderporno-Seiten reicht nicht
- Neue Bedenken gegen Web-Sperren im Kampf gegen Kinderpornographie
- Schäuble will Kampf gegen Kinderpornografie internationalisieren
- Internetprovider fordern klare gesetzliche Regelung für Access Blocking
- Familienministerin: Provider machen mit beim Sperren von Kinderporno
- Bundesregierung treibt Netzblockaden gegen Kinderpornografie voran
- Bundesregierung berät mit Providern über Kinderporno-Sperren
- Piratenpartei: Verhindern von Kinderporno statt Internetsperren
- "Wir verbannen Kinderpornografie wieder unter den Ladentisch"
- Niedersachsens Innenminister fordert Filterprogramme gegen Kinderpornos
- Webseiten-Sperrungen weiter in der Diskussion
- Familienministerin will Kinderporno-Sperren bald umsetzen
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(Stefan Krempl) / (jk)