RFID: Kann man Ethik unter die Haut implantieren?

Wenn der Körper von bio-sensorischen Implantaten überwacht wird, bleibt die Frage, ob es humane Methoden der Datenentnahme gibt, die nicht in einer Überwachungs-Dystopie enden.

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Von
  • Detlef Borchers

Drei Tage lang diskutieren Wissenschaftler verschiedenster Forschungsbereiche am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung "Die Verwendung von Implantaten in ethischen Überwachungsinfrastrukturen". Wenn der Körper von bio-sensorischen Implantaten überwacht wird, bleibt die Frage, ob es humane Methoden der Datenentnahme gibt, die nicht in einer Überwachungs-Dystopie enden.

Nicht gerade heimlich, aber doch still und leise verbreiten sich Implantate im Menschen, die mit Rechnern oder IT-Systemen gekoppelt sind. Sie helfen bei der Insulindosierung oder überwachen als "Stimoceiver" die Herztätigkeit, komplett mit einer telekardiologischen Online-Überwachung. Von der ausgefeilten Computerunterstützung beim Hören mit modernen Hörgeräten bis zum Messimplantat für die Atemanalyse rückfallbedrohter Alkoholiker gibt es eine Vielzahl IT-gestützter Therapiehilfen und Assistenzsysteme. Fieberhaft wird an Methoden gearbeitet, das Implantat-Hacking zu verhindern. Denn nicht nur Kranke oder Behinderte wollen ihre Implantate. Es gibt auch Transhumanisten, die bereits nach Internet-Chips und Skype-Implantaten fragen. Tagungsleiter Michael Nagenborg zitierte Vertreter der "Generation Wired", die nichts sehnlicher wünschen als einen implantierten Vollkontakt zum Internet, ausgerechnet für eine verbesserte "Face-to-Face"-Kommunikation im Chatroom.

Wo der Körper überwacht wird, entstehen ethische Probleme, wenn die Frage gestellt wird, wo die Grenzen der Überwachung liegen. So könnte ein RFID-Chip unter der Haut vielleicht humaner sein als die umgeschnallte und damit sichtbare elektronische Fußfessel, die von der deutschen Justiz ethisch sensibel als "Wiedereingliederungshilfe" bezeichnet wird. Die technische Antwort darauf wäre vielleicht ein Hinweis, dass diese Fußfesseln aktive Transponder sind, die über 500 bis 1000 Meter an einen Empfänger senden, damit der ans Haus oder die Wohnung Gefesselte sich einigermaßen frei bewegen kann. Solche Sender unter die Haut zu bringen, kann ernsthafte gesundheitliche Schäden bewirken.

Interessant ist deshalb die Debatte, die in Großbritannien über das RFID-Problem geführt wird. Die Insel ist das Mutterland der Fußfessel, wie Mike Nellis, Professor für "Criminal Justice" an der Universität Strathclyde in einem schriftlichen Referat ausführte. Seit 1999 wurden 500.000 Fußfesseln ausgegeben, derzeit stehen 17.500 Menschen unter Hausarrest. Mehrmals meldeten britische Tageszeitungen mit einem guten Ruf Regierungspläne, die Fußfesseln durch RFID-Chips zu ersetzen. Jedesmal dementierte das Justizministerium energisch. Nellis' Fazit: die Zeitungsmeldungen sind Sprachrohr der Mittelklasse, die die bedrohlichen "Anderen" in ihren Wohnungen weggesperrt wissen wollen und dies "telematisch imaginieren".

Nach Nellis ist die computergesteuerte Überwachung übrigens sehr alt. Sie kommt aus den USA. Bereits 1966, man konstruierte gerade den Internet-Vorläufer Arpanet und experimentierte beim Militär mit LSD und anderen Drogen, forderte ein Experte in einem Hearing vor dem US-Kongress ein landesweites Computer-Netzwerk, in dem Sensoren fortlaufend überprüfen, ob die Konzentration der chemischen Beta-Blocker bei "Devianten" eingehalten wird: Die Überwachung sollte das Maß der verabreichten Bewusstseinsdrogen, nicht aber den aktuellen Ort der "emotional Kranken" überprüfen. Die Idee mit "location-based Services" kam erst 1971 auf. Damals, die Flower-Power-Bewegung war am Austrudeln, machte ausgerechnet ein Angestellter der National Security Agency (NSA) den Vorschlag, Transponder an alle 20.000 Andersdenkenden zu schnallen, um jederzeit über einen Zentralcomputer zu wissen, wo sich die Feinde der Ordnung aufhalten. Wer sich in einem falschen Territorium aufhält, sollte direkt bestraft werden können.

Aus den USA berichtete in Bielefeld ein Mediziner, Torin Monahan von der Vanderbilt University. Er untersucht derzeit den Einsatz von RFID-Chips in 10 großen amerikanischen Krankenhäusern, wo nicht nur die Betten und technischen Geräte, sondern auch die Patienten gechippt werden. Er fand heraus, dass, als ein Computerfehler die Datenbank veränderte, das medizinische Personal im Zweifelsfall mehr den Chipdaten als den geistig gesunden Patienten vertraute. Die Beteuerungen, dass man Meier und nicht Müller sei, wurden ignoriert. Dennoch konnte sich Monaham Einsatzmöglichkeiten für eine per Chip implantierte ID in Katastrophengebieten bei der Triage vorstellen. Markieren, sortieren ... und dann mit dem Geschäft anfangen: In seinen Vortrags-Folien zeigte Monahan Wohnmobile der Firma Verichip, die unmittelbar nach "Katharina" in New Orleans einrückten.

Auf eine andere Komponente machten die britischen Forscher Kristie Ball von der (Open University) und David Murakami Wood von GURU aufmerksam. In dem Maße, wie sich angesagte Nachtclubs wie Barcelonas Bahia Beach Club oder ein "Cyber-Trendsetter" wie Amal Graafstra mit implantierten Chips anfreunden, werden Implantate als angenehme Freudenspender assoziiert. Zwei, drei Trash-Talkshows in den jeweiligen EU-Ländern sollten ausreichen, die Akzeptanz drastisch zu vermassen. Über den zündenden Faktor "Pleasure" erübrigen sich eigentlich alle Fragen, ob es ethisch gerechtfertigte Überwachungsmaßnahmen geben kann.

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[Detlef Borchers) / (jk)