Australien: Verheddert zwischen Glasfaser und VDSL-Vectoring

Australien steckt in einem ähnlichen Dilemma wie Deutschland: Die Frage, ob der preisgünstigere VDSL-Ausbau der zukunftsweisenden Glasfasertechnik vorzuziehen sei, trennt Fachleute, Teilnehmer und politische Entscheider in zwei kaum versöhnliche Lager.

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Von
  • Richard Sietmann
  • Dusan Zivadinovic
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Australien steckt in einem ähnlichen Dilemma wie Deutschland: Die Frage, ob der preisgünstigere VDSL-Ausbau der zukunftsweisenden Glasfasertechnik vorzuziehen sei, trennt Fachleute, Teilnehmer und politische Entscheider in zwei kaum versöhnliche Lager. Aber Australien führt zusätzlich vor, wie sich ein Staat mit einer Hü-Hott-Politik in die Bredoulle reiten kann. Dabei schien zunächst alles klar: Die australische Regierung unter Führung der Labor-Partei plante 2009, gleich das ganze Land mit Glasfaseranschlüssen zu versorgen. Nach der Planungsphase, die einen hohen, aber finanzierbaren Aufwand auswies, folgten erste Aufbauschritte. Dann wechselte die Regierung.

Seit September dieses Jahres hat die konservative Regierung die Hebel in der Hand. Sie betreibt seitdem eine Neuausrichtung des National Broadband Network (NBN), also weg vom Glasfaser- hin zum VDSL-Ausbau. Nach ersten optimistischen Aussichten stellt sich nun aber die Einsicht ein, dass der VDSL-Ausbau offenbar sehr viel schwieriger ist als erwartet. Das ist das Ergebnis eines am Donnerstag veröffentlichten Strategic Review, dem sich die NBN Co. Ltd. auf Geheiss des Kommunikationsministers Malcolm Turnbull unter der Mitwirkung der Unternehmensberatungen Deloitte Australia, KordaMentha und Boston Consulting unterziehen musste.

Der ursprüngliche Plan sah vor, das Glasfasernetz direkt bis an die Gebäude und Grundstücksgrenzen (Fiber-to-the-Premises, FTTP) auszubauen. Für umgerechnet 30,2 Milliarden Euro hätten bis 2021 rund 90 Prozent aller Haushalte auf dem dünn besiedelten Kontinent 100-MBit/s-Angebote erhalten können; alle anderen, bei denen sich aufgrund der abgeschiedenen Lage die Verkabelung nicht rechnet, sollten über terrestrische oder Satelliten-Funkanschlüsse wenigstens 12 MBit/s bekommen. Stattdessen soll es nun Fiber to the Node sein (FTTN), also Glasfaser nur bis zu den Kabelverzweigern an Straßenecken. Von dort aus würden die australischen Teilnehmer – wie in Deutschland aktuell von der Telekom umgesetzt – mit VDSL-Vectoring über längst verlegte Kupferleitungen versorgt werden.

Das ursprüngliche Konzept sah vor, dass 93 Prozent der australischen
Haushalte und Unternehmen Glasflaseranschlüsse bis an die Gebäude- und
Grundstücksgrenze erhalten. Der Rest sollte über terrestrische und
Satelliten-Funkanschlüsse versorgt werden.

Das FTTP-Programm hatte im April 2009 die damalige Labor-Regierung unter Premier Kevin Rudd auf den Weg gebracht. Finanziert wurde es durch öffentliche Anleihen und umsetzen sollte es die National Broadband Network Co. Ltd., an der die Regierung eine Mehrheitsbeteiligung hält. Das ehrgeizige Infrastrukturprojekt stieß schon kurz nach dem Start auf Kritik der OECD, weil es scheinbar der marktliberalen Orthodoxie in den führenden Industrienationen widersprach, wonach der Staat sich technologieneutral zu verhalten habe und die Telekommunikationsunternehmen selbst entscheiden sollten, wie sie ihre Netze ausbauen. Dabei hatten Rudd und seine Nachfolgerin Julia Gillard die Marktintervention von vornherein zeitlich befristet angelegt – spätestens fünf Jahre nach der Fertigstellung des Netzes sollte das NBN privatisiert werden.

Der neue Minister für Kommunikation, Malcolm Turnbull, hatte das Projekt aus der Opposition heraus von Anfang an vehement bekämpft. Als Alternative propagierte er die abgespeckte FTTN/VDSL-Variante. Diese sollte mit veranschlagten Gesamtkosten von 29,5 Mrd. AU-$ (umgerechnet 19,6 Mrd Euro) – oder 2320 AU-$ pro Anschluss gegenüber 3450 AU-$ -- rund ein Drittel günstiger kommen. Obendrein sollte alles viel schneller gehen: Bis 2016 sollten 25 MBit/s für alle, und bis 2019 dann 50 MBit/s für 90 Prozent der Haushalte verfügbar sein, hatte Turnbull im Wahlkampf versprochen. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt leitete er die Kursänderung ein, gab den Strategic Review in Auftrag und wechselte die Führungsmannschaft der NBN Co. Ltd. um den früheren Alcatel-Manager Mike Quigley aus. Nun sitzen Ex-Manager des einstigen Telefonmonopolisten und noch immer marktbeherrschenden Kommunikationskonzerns Telstra am Ruder der NBN.

Doch wie sich nun herausstellt, war Turnbull mit seinen Ankündigungen und Vorgaben von zu optimistischen Schätzungen ausgegangen. Der vom Ministerium redigierte und veröffentlichte Bericht weist um 11,5 Milliarden AU-$ höhere Kosten für sein FTTN/VDSL-Ausbaukonzept aus. Die Gesamtkosten belaufen sich damit auf 41 Milliarden AU-$ und die Fertigstellung erwartet man nun erst für das Jahr 2020. Die Zielmarke für 2016 – 25 MBit/s für alle Haushalte -- hält der Report (PDF) nicht mehr für erreichbar; das Target für 2019 hält er jedoch aufrecht. Der Bericht relativiert aber den Kosten- und Zeitrutsch: Bei einem Festhalten am ursprünglichen FTTP-Konzept würde sich demnach die Fertigstellung ebenfalls verschieben und zwar um drei Jahre auf 2024. Die Gesamtkosten würden auch dabei steigen und zwar von 43 Milliarden auf 73 Milliarden australische Dollar.

In den FTTP-Ausbaugebieten ließ sich bislang im nationalen Durchnitt mehr als ein Viertel der Unternehmen und Haushalte an das NBN-Glasfasernetz anschließen. Am höchsten war die Anschlussquote im Verwaltungsbezirk der Hauptstadt Canberra. Fibred up zeigt die tatsächliche Anschlussquote von
Haushalten und Geschäften in Gebieten, wo der NBN-Anschluss breits verfügbar
ist (das + vor den Prozentzahlen ist nicht als Zuwachs zu verstehen, sondern
meint die sog. Take-Up-Rate). Die Abkürzungen: ACT: Canberra ('Astralian Capital Terrotory'), Tas: Tasmanien, SA: Südaustralien, Vic: Victoria, NSW: New South Wales, Qld: Queensland, WA: Westaustralien, NT: Nördliches Territorium

In der Fachwelt stößt der erzwungene Strategiewechsel weitgehend auf Unverständnis. Bereits im Vorfeld hatte die Forschungs- und Entwicklungseinrichtung CSIRO, das australische Gegenstück zur Fraunhofer-Gesellschaft, einen Report veröffentlicht, wonach sich aufgrund des politischen Hickhacks um den Breitbandausbau in weiten Teilen der Wirtschaft Planungsunsicherheit und Investitionszurückhaltung breit mache.

Die Kupfernetze seien nicht für den schnellen Datenverkehr, sondern für die Telefonie gemacht worden, bedauert auch die Geschäftsführerin von Microsoft Australia, Pip Marlow, die Neuausrichtung. "Wenn wir in einer globalen Wirtschaft mithalten wollen, brauchen wir eine Infrastruktur, die das unterstützt". Und der international angesehene Leiter des Centre for Energy-Efficient Telecommunications (CEET) an der University of Melbourne, Rod Tucker, weist darauf hin, dass der Leistungsbedarf des FTTN-Netzes mit 140 Megawatt ziemlich genau doppelt so hoch ist wie der für die ursprüngliche FTTP-Lösung.

Der Umstieg von FTTP zu FTTN zieht für die NBN Co. weitere Probleme nach sich, denn ein schwer kalkulierbares Risiko scheint im alten Anschlussnetz der Telstra zu liegen. Darauf wird die NBN angewiesen sein, aber über dessen Qualität gehen die Meinungen weit auseinander. Während Telstra-Chef David Todey unlängst öffentlich verkündete, das Kupfernetz ließe sich "noch weitere hundert Jahre" betreiben, beklagten Mitarbeitervertreter gegenüber Medien einen maroden Zustand; bei Reparaturen sei das Anschlussnetz seit Jahren nur noch notdürftig geflickt worden.

Damit steht die NBN Co. vor einem Dilemma: Sie kann den VDSL-Endkundenzugang von der Telstra entweder als Managed Service einkaufen – bliebe dabei aber hinsichtlich der Übertragungsleistung und -Qualität von der Telstra abhängig – oder sie übernimmt das Anschlussnetz komplett einschließlich der damit einhergehenden Risiken.

Dessen jährliche Unterhaltskosten beziffern Analysten auf mehr als eine Milliarde australische Dollar. Doch ob Kauf oder Miete, in beiden Fällen bleiben die Kosten für den Betrieb und die Aufrüstung des Kupfernetzes letztlich doch an der NBN Co. hängen. Bei einer Mietlösung aber, warnt der Verband der Telstra-Konkurrenten, Competitive Carriers' Coalition, würde die staatliche Glasfaser-Company letztlich zum Reseller der Telstra-Übertragungsleistungen zum Endkunden und damit deren marktbeherrschende Stellung nur verstärken. (dz)