Veranstalter der Großdemo gegen den Überwachungswahn fordern politische Konsequenzen

Nach der Teilnahme von mehreren zehntausend Bürgern an der Protestkundgebung gegen den Überwachungswahn pochen die Organisatoren auf die Rücknahme von Kontrollgesetzen wie dem zur Vorratsdatenspeicherung.

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Nach der Teilnahme von mehreren zehntausend Bürgern an der Demonstration gegen den Überwachungswahn in Berlin fordern die Organisatoren vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung rasche politische Konsequenzen. Im Lichte des Erfolgs "erwarten wir jetzt endlich Reaktionen von der Politik", erklärte padeluun von der Demoleitung. Konkret sprach sich der Mitgründer des Datenschutzvereins FoeBuD für die Rücknahme der Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten sowie anderer Überwachungsgesetze und die Eindämmung der "Datensammelwut durch Firmen" wie die Deutsche Telekom aus. "Jetzt zeigt sich deutlich, dass die Bürger die Nase voll haben von den massiven Eingriffe in den Datenschutz", betonte der Netzkünstler. "Zehntausende sagen heute, genug ist genug."

Patrick Breyer unterstrich als weiterer Vertreter des Zusammenschlusses von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern bei der Abschlusskundgebung vor dem Brandenburger Tor ebenfalls, dass ein "radikales Umsteuern" bei den Gesetzgebern nötig sei: "Eine neue, freiheitsfreundliche Sicherheitspolitik ist möglich." Dafür müsse es aber eine Wende in der Regierungsarbeit und insbesondere im Bundesinnenministerium geben. Rena Tangens vom FoeBuD freute sich, dass "die Bürger ein deutliches Zeichen gegen den weiteren Marsch in den Überwachungsstaat gesetzt haben".

Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten laut Tangens zuletzt auf bis zu 50.000, die Organisatoren sahen fast die doppelte Menge vor dem Berliner Wahrzeichen in Richtung Siegessäule versammelt. Mit diesem Rückhalt stellte Breyer einen Fünfpunkteplan vor. So sollten Überwachungsmaßnahmen reduziert, bestehende Sicherheitsgesetze evaluiert und überflüssige Befugnisse eliminiert werden. Darüber hinaus müsse die Politik in ganz konkrete Präventionsmaßnahmen etwa in der Jugendarbeit investieren und sich auf die wirklichen Probleme der Menschen fokussieren.

Breyer skizzierte zugleich den Traum einer Gesellschaft, in dem die Bürger auf öffentlichen Plätzen und Verkehrsmitteln nicht mehr von Kameras überwacht und beim Autofahren ihre Kennzeichen nicht mehr mit Fahndungsdateien massenweise abgeglichen würden. "Wir nehmen die verbleibenden Risiken gerne in Kauf, wenn wir dafür frei von staatlichen Überwachung leben können". Die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden, sei aber geringer, als in der Badewanne umzukommen. Mit Erich Kästner warnte der Jurist zudem davor, solange zu warten, "bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird".

Als Überraschungsgast hatte die bunte Truppe zuvor Dr. Motte, den Mitgründer der Love Parade, nach der Freiheitsparade durch Berlin mit viel Beifall begrüßt. "Wow", entfuhr es dem Techno-DJ auf der Rednerbühne angesichts der Menschenmassen. "Ich wünschte, 80 Millionen aus ganz Deutschland wären hier. Wir sind die Gesellschaft, wir haben die Möglichkeit." Nach dem Rezitieren einer Passage aus Michel Foucaults Klassiker "Überwachen und Strafen" griff er die Bundesregierung an und fragte, warum in ihren Reihen "immer noch Verfassungsfeinde" seien. Gegenüber heise online erläuterte Motte, dass er Überschneidungen zwischen der eher hedonistisch angelegten "Technogesellschaft" und den Vorstellungen der Bürgerrechtsaktivisten sehe. Er kündigte an, sich an weiteren Großdemos dieser Art zu beteiligen und die Vielfalt der Musikszene von Ravern über Hip-Hopper bis hin zu Rockern einbringen zu wollen.

Die Demoleiter padeluun und Ricardo Cristof Remmert-Fontes ließen abschließend durchblicken, dass es trotz der harten Vorbereitungsarbeit für das Großereignis weitere Aktionen in die gleiche Richtung geben werde. "Wir werden bald anfangen, die nächste Demo zu planen", schaute Remmert-Fontes in die Zukunft. Zunächst lud er die Mitstreiter aber zur "langen Nacht der Überwachung" in sieben Berliner Clubs ein, um den "ersten Tag weltweiter Proteste gegen Bespitzelung" ausklingen zu lassen und das Gelingen der Berliner Kundgebung zu feiern.

Zur Demonstration "Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn" siehe auch:

Zu den Auseinandersetzungen um Überwachung und Datenschutz, um die Terrorismusbekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)