NSA-Affäre: Bundestag streitet über Demokratie im digitalen Zeitalter

Die Grünen haben den Appell von über 560 Schriftstellern gegen die Massenüberwachung durch Geheimdienste in einen Antrag für das Parlament umgewandelt. In der Debatte ging es auch um die Vorratsdatenspeicherung.

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"Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei", zitierte die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, am Freitag in einer fast zweistündigen Aussprache im Parlament aus dem Aufruf internationaler Autoren zum Verteidigen der Demokratie in der digitalen Welt. Die namhaften Schriftsteller hätten Recht mit ihrer Meinung, dass die Bürger mit der umfassenden Netzspionage durch die NSA und ihre Partner "zum Freiwild geworden sind für Überwachung". Damit werde "die Axt direkt an die Wurzel unseres Rechtsstaates gelegt".

Katrin Göring-Eckardt, Grüne

(Bild: Katrin Göring-Eckardt)

Die Grünen haben den Appell in einen eigenen Antrag eingebunden, der nun in den Ausschüssen weiter beraten werden soll. Darin fordern sie die Bundesregierung unter anderem dazu auf, den Generalbundesanwalt zu Ermittlungen in der Geheimdienstaffäre aufzufordern, eine Staatenbeschwerde gegen die USA vor der UN einzuleiten und auf das Aussetzen mehrerer transatlantischer Abkommen zum Datentransfer hinzuwirken.

Die Kanzlerin und ihr Kabinett seien "immer noch nicht aufgewacht, um die Grundrechte der Bürger zu schützen", erklärte Göring-Eckardt. Die Regierung müsse endlich dafür eintreten, dass jeder Geheimnisse haben dürfe. "Atemberaubend leichtfertig" gehe sie angesichts zunehmender Wirtschaftsspionage auch mit den Rechten deutscher Unternehmen um.

Der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz lobte den Aufruf als "wichtiges Zeichen gegen Ohnmacht und Gleichgültigkeit". Totalitäre Überwachungsmethoden dürften in einem Rechtsstaat nicht zulässig sein. Es sei daher auch nötig, "neu und kritisch über die Vorratsdatenspeicherung nachzudenken". Schwarz-Rot habe deren Neueinführung in den Koalitionsvertrag aufgenommen und so gezeigt, dass es auch bei der SPD nichts werde "mit ihren bürgerrechtsfreundlichen Ambitionen". Dabei lebe inzwischen selbst das Bundesverfassungsgericht "unter dem unmittelbaren Gefühl des Beobachtetseins", da seine Mitglieder vor Ort "nur noch mit Papier und Schreibstift" hantierten.

Halina Wawzyniak, Linke

(Bild: Halina Wawzyniak)

Die Linksfraktion unterstützte den Antrag in allen Punkten. Der Gesetzgeber müsse Staaten und Konzerne zwingen, die Grundrechte einzuhalten, forderte ihre Netzpolitikerin Halina Wawzyniak. Die "Kapitäne" der umfassenden Datensammelwut auch in der Wirtschaft seien die Geheimdienste, wogegen nur deren Auflösung helfe. Zudem müsse die Koalition der Vorratsdatenspeicherung endgültig eine Absage erteilen. Der davon ausgehende Generalverdacht stelle "das Gegenteil von Demokratie im digitalen Zeitalter".

Dr. Volker Ullrich, CSU

(Bild: CSU )

Die große Koalition schickte größtenteils Frischlinge ins Rennen, die ihre ersten Reden im Plenum halten durften. Regierungsvertreter ergriffen nicht das Wort. Der CSU-Politiker Volker Ullrich versicherte den Autoren und der Opposition: "Ihre Sorgen teilen wir." Der Rechtsstaat müsse aber auch den "Schutz unseres Gemeinwesens gewährleisten" und Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Hackerangriffe auf kritische Infrastrukturen im Blick haben. Der Christdemokrat Tim Ostermann sah in den vorgeschlagenen Maßnahmen "nur ein weiteres Ventil der Empörung". Tragfähige Lösungen seien "nur mit den Amerikanern und Briten zu erreichen, nicht gegen sie".

Nina Warken, CDU

(Bild: Bundestag)

Ein Mensch, der sich bedroht fühle, sei auch nicht frei, erklärte Nina Warken (CDU). Die Diskussion dürfe nicht dazu genutzt werden, "um unsere eigenen Sicherheitsbehörden zu schwächen". Mit einem kritischen Umgang mit Internetdiensten und E-Mail-Anhängen sei beim Selbstschutz schon viel erreicht. Der Christdemokrat Thomas Jarzombek rief nach einer Verschlüsselungsinitiative mithilfe "kostenfreier E-Mail-Zertifikate von deutschen Unternehmen" wie der Bundesdruckerei. Auch die "letzte Nische" an Netzwerkgeräten in Form von Heimroutern, die noch von hiesigen Firmen bespielt werde, gelte es zu verteidigen.

Michelle Müntefering, SPD

(Bild: Michelle Müntefering)

Im Namen der SPD-Fraktion begrüßte Matthias Schmidt den Aufruf, da dieser in direkter Verbindung zu Willy Brandts Motto stehe, mehr Demokratie zu wagen. Wenn der Kern von Meinungsfreiheit und des Schutzes der Privatsphäre angetastet werde, "sind wir alle aufgefordert, aufzubegehren". Der Antrag der Grünen werde der Komplexität des Themas aber nicht gerecht, da hier viele Räder ineinandergreifen müssten. "Das Grundgesetz verbietet es, den Menschen zum Informationsobjekt zu machen", unterstrich Michelle Müntefering. Die Sozialdemokratin verlangte, dass Deutschland eine Cyberrechts-Konvention in der Welt vorantreiben müsse.

Der SPD-Datenschutzexperte Gerold Reichenbach sorgte sich um die Legitimation von Staaten, wenn diese ihre Souveränität und Informationshoheit nicht mehr sichern könnten. Aufgrund der von Geheimdiensten erhobenen Daten hätten US-Behörden in einer Art und in einem Umfang die Kontrolle über die Bundesbürger erlangt, wie dies früher nicht einmal mit einem militärischen Einmarsch möglich gewesen wäre. Zur Haltung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zur Vorratsdatenspeicherung erläuterte er, dass die Sozialdemokraten nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zunächst prüfen wollten, welche Teile der EU-Vorgaben eventuell aufgehoben würden und welche Umsetzungspflicht noch bestehe. (kbe)