Rund 250 Bürger demonstrieren gegen "Scheuklappen fürs Internet"

Bei einer Mahnwache haben am Freitag in Berlin Vertreter zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen einschließlich eines Vereins von Opfern sexuellen Missbrauchs gegen Netzsperren in einer freien Gesellschaft protestiert.

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(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Bei einer Mahnwache unter dem Motto "Keine Scheuklappen fürs Internet" haben am heutigen Freitag in Berlin vor dem Bundespresseamt rund 250 besorgte Bürger gegen Netzsperren in einer freien Gesellschaft protestiert. Sie folgten einem Aufruf zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen einschließlich eines Vereins von Opfern sexuellen Missbrauchs und wandten sich konkret gegen die zeitgleich in dem Gebäude stattfindende Unterzeichnung von Verträgen durch fünf große Provider zum Erschweren des Zugangs zu kinderpornographischen Webseiten mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Die Demonstranten trugen dabei Schilder mit dem Konterfei von Bundesministerin Ursula von der Leyen mit dem Untertitel "Zensursula". Die CDU-Politikerin hatte die heftig umstrittene Vereinbarung monatelang mit Nachdruck eingefordert.

(Bild: heise online/ Stefan Krempl)

Andere Plakate sprachen sich für ein Sonderkündigungsrecht für die Nutzer der beteiligten Zugangsanbieter sowie "wirksamen Kinderschutz" aus. Viele der Mitwirkenden erinnerten zudem an das Grundgesetz und das Zensurverbot. "Internetsperren im Kampf gegen Kinderpornographie sind wirkungsloser Aktivismus zu Wahlkampf-Zeiten", erklärte Alvar Freude vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) in einem Positionspapier des "Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur". Auf den bekannten Sperrlisten aus den skandinavischen Ländern, der Schweiz und Australien seien mehrere Dutzend Webseiten zu finden, deren Server in Deutschland stünden und die genau lokalisiert werden könnten. Das BKA müsse sich fragen lassen, warum es nicht konkret gegen diese vorgehe. Es sei auch naiv zu glauben, dass einmal eingeführte Sperrsysteme in Zukunft nicht für andere von einzelnen Interessensgruppen unerwünschte Inhalte genutzt würden.

(Bild: heise online/ Stefan Krempl)

Christian Bahls aus dem Vorstand des Vereins MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren (MOGIS) betonte, dass sich gerade Betroffene sexueller Kindesmisshandlungen nicht "als Galionsfiguren einer schleichenden Einführung einer Internetzensur missbrauchen lassen". Kein einziges Kind werde durch die leicht umgehbaren Blockaden weniger missbraucht, während die zu erwartenden Einschränkungen der Rezipientenfreiheit und des Fernmeldegeheimnisses doch erheblich seien. Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), ergänzte, dass die "tatsächliche Strafverfolgung der Täter viel zu kurz kommt". Die nun von großen Providern in den kommenden Monaten umgesetzte "Ausblendung problematischer Inhalte" bedeute, dass die Taten und die Täter nur der Wahrnehmung und der Strafverfolgung entzogen würden. Eine statistische Auswertung kursierender Filterlisten habe ergeben, dass sich mehr als 96 Prozent der dort gesperrten Server in westlichen Ländern befänden. Anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, werde eine Zensurinfrastruktur geschaffen.

Von der Leyen stellte den Kritikern entgegen, dass das Internet "kein rechtsfreier Raum ist". Wer die Freiheit als hohes Gut verstehe, dürfe andere damit nicht verletzen. Das Netz werde sich wie jeder andere Kommunikationsraum auch Regeln geben müssen für den Umgang mit "Grenzsituationen". Der Weg in die schwere pädophile Szene erfolge über das Internet. Auch wenn die ersten Schritte "harmlos" erscheinen könnten, werde das "Suchtverhalten" gesteigert. Es müsse daher schwerer werden für Gelegenheitsnutzer, kinderpornographische Bilder auf dem heimischen PC anklicken zu können.

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(Stefan Krempl) / (jk)