Scharfe Kritik an Freigabe heimlicher Online-Durchsuchungen

Internetprovider, Oppositionsparteien und der Richterbund haben die Verständigung von Union und SPD auf die Novelle des BKA-Gesetzes als "Farce" und "weitere Demontage des Rechtsstaates" angegriffen.

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Internetprovider, Oppositionsparteien und der Richterbund haben die Verständigung von Union und SPD auf die Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) scharf angegriffen. Nach Ansicht der Kritiker bringt das Papier, auf das sich die große Koalition geeinigt hat, nur marginale Änderungen am Entwurf der Bundesregierung.

"Das ist ein rechtsstaatlich absolut unzureichendes Ergebnis, das die FDP im Bundestag ablehnen wird", erklärte FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die geplante Befristung der heimlichen Online-Durchsuchung bis 2020 nannte sei eine "Farce". Sie stört auch, dass das BKA nach dem Kompromiss bei Gefahr im Verzug zunächst ohne Richterbeschluss auf informationstechnische Systeme zugreifen darf. Online-Razzien seien "technisch und zeitlich so aufwendig, dass gar keine Eilfälle denkbar sind". Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) will gegen die im Entwurf geplante Online-Durchsuchung erneut Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Geschäftführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, warnte vor einem "weiteren dramatischen Abbau der Bürgerrechte". Der Innenexperte der Linken, Jan Korte, beklagte eine von Schwarz-Rot "betriebene Demontage des Rechtsstaats". Beck bezeichnete die zwölfjährige Zulassung des Bundestrojaners als "geradezu unverschämt und aberwitzig". Das BKA werde nun zur Superbehörde mit sämtlichen Geheimdienstbefugnissen ausgebaut, das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei ausgehebelt. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kündigte Verfassungsklage an. Auch der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Hansjörg Geiger, sieht "eine Art deutsches FBI" entstehen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar meint, im Gesetzentwurf seien einige Verbesserungen im Vergleich zum vorherigen Entwurf erreicht worden. Allerdings kenne er den Wortlaut der Einigung noch nicht, diesen müsse er zunächst prüfen. Der Innenexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter-Uhl, betonte, dass der Kompromiss Sicherheit und Freiheit in ein ausgewogenes Verhältnis bringe. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz lobte das Ergebnis als "qualifiziertestes Polizeigesetz Deutschlands".

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) fordert nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten, der Bundestag sollte auch das Gesetz über neue Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) noch einmal darauf überprüfen, ob es verfassungsgemäß ist.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco bezeichnete die Korrekturen der Koalition am Regierungsvorstoß als "reine Kosmetik". Die Umsetzung der Online-Durchsuchung setze nach wie vor auf "Spähangriffe" eines Bundestrojaners, also im Prinzip auf Verfahren, mit denen auch Kriminelle Computer attackieren. Jedes der möglichen technischen Verfahren für Online-Razzien sei deshalb mit enormen Risiken behaftet. Zugleich werde das Vertrauen der Nutzer in Online-Anwendungen aller Behörden stark beeinträchtigt.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Christoph Frank, hält eine möglichst effektive justizielle Kontrolle der Online-Durchsuchung wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs für unverzichtbar. Ob der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung beim verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme betroffen sei, müsse ein unabhängiger Richter beurteilen. Die Koalition hält dagegen eine Prüfung des abgezogenen Materials durch zwei BKA-Beamte sowie den Datenschutzbeauftragten der Polizeibehörde für ausreichend.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (anw)