Computer machen die Arbeit – was machen wir?

Kostet die Automatisierung mehr Arbeitsplätze, als sie schafft? Diese alte Frage kehrt gerade in einer neuen Qualität zurück: Dank purer Rechenpower, schlauer Algorithmen und riesiger Datenmengen entwickeln sich Maschinen zu wirklichen Kopfarbeitern.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 17 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Kostet die Automatisierung mehr Arbeitsplätze, als sie schafft? Diese alte Frage kehrt gerade in einer neuen Qualität zurück: Dank purer Rechenpower, schlauer Algorithmen und riesiger Datenmengen entwickeln sich Maschinen zu wirklichen Kopfarbeitern.

Koch im Burger-Restaurant, das mag für viele nicht gerade ein Traumjob sein. Aber es gibt jemanden, für den mit dieser Tätigkeit der große Karrierewunsch in Erfüllung geht: Alpha. Alpha ist ein Roboter. Und er ist der erste seiner Art, der in der Lage ist, einen Hamburger zuzubereiten. Nicht nur einen Hamburger: Alpha schafft 360 Hamburger die Stunde. Innerhalb eines Jahres, hat der Hersteller Momentum Machines in San Francisco ausgerechnet, würde sich der Roboter bereits amortisieren. Für 2014 plant das Unternehmen die Eröffnung eines Restaurants, in dem ausschließlich Roboter arbeiten. Und McDonalds Europa hat dieses Frühjahr 7000 Touchscreen-Computer bestellt, die künftig die Arbeit von Kassierern übernehmen sollen.

Lange standen Roboter nur in Fabrikhallen und damit weit entfernt vom Alltag vieler Menschen. Von ihrer Existenz bekamen sie oft erst mit, wenn die Arbeiter vor den Toren gegen ihre drohende Entlassung protestierten. Nun allerdings dringen die Maschinen in das Leben jedes Einzelnen ein. Wir stehen ihnen gegenüber, wenn uns im Supermarkt ein Kassenautomat bedient, im Callcenter eine Computerstimme begrüßt und sie uns künftig im Restaurant bekochen.

In der Vergangenheit war die Antwort auf die Automatisierung in der Industrie stets ein wachsender Dienstleistungssektor. 1972 arbeiteten noch 48 Prozent der Arbeitnehmer dort, heute sind es ganze 72 Prozent. Nun allerdings gerät auch diese Branche unter Druck. Und nicht nur das: Auch die Arbeit im Wissenssektor ist längst nicht mehr so sicher wie lange gedacht. "Nehmen Sie nur mal das mittlere Management in Großkonzernen", sagt Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, der in seinem neuen Buch "Arbeitsfrei" mit Co-Autorin Constanze Kurz die Zukunft der Arbeitswelt untersucht hat. "Sie sind als Nächstes dran, weil viele ihrer Tätigkeiten durch Software ersetzbar sind. In dem Moment, in dem ich einen Rahmenvertrag habe, kann ich den kompletten Einkauf über standardisierte Prozesse abwickeln. Ich brauche keine Leute mehr, die Papier hin- und herschieben."

Mehr Beispiele gefällig? Durch den Hochfrequenz-Handel an den Aktienbörsen fallen Entscheidung über den An- und Verkauf großer Wertpapierpakete in Bruchteilen von Sekunden, oftmals auf Grundlage von automatisierten Auswertungen von Wirtschaftsnachrichten. Fondsmanager braucht es hier kaum noch. Verfahren zur automatisierten Spracherkennung (die zunehmend Personal in Callcentern ersetzen) und Übersetzung sind mittlerweile so ausgereift, dass das Europäische Parlament sich ihrer zur Übersetzung von Sitzungsberichten bedient. Die Software "Clearwell" von Symantec erfasst die Position von Schlagworten in einem Text und vereinfacht so die Analyse juristischer Dokumente. Bereits 2010 sichtete die US-Anwaltskanzlei DLA Piper mit "Clearwell" 570.000 Dokumente innerhalb einer Woche. Es blieb vor dem Prozess sogar noch Zeit, die 3070 vom System als relevant identifizierten Dokumente manuell zu überprüfen.

Aber das ist noch nicht alles: Die US-amerikanischen Städte Baltimore und Philadelphia setzen auf Software, um einzuschätzen, welche Strafgefangenen bei vorzeitiger Entlassung aus der Haft wahrscheinlich rückfällig werden. IBMs Supercomputer "Watson", der im 2011 das Quiz "Jeopardy" gegen sämtliche menschliche Konkurrenz gewonnen hatte, tut seinen Dienst nun im Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York, das weltweit zu den besten und größten Krebskliniken zählt. Man hatte ihn mit über 600.000 medizinischen Berichten, mehr als 1,5 Millionen Patientenakten und zwei Millionen Seiten Text aus medizinischen Journalen gefüttert. Auf Basis der Symptome eines Patienten, seines Krankheitsverlauf, der familiären Vorbelastung und anderer Posten entwirft Watson den Diagnoseplan.

Hinter diesen Verfahren steckt keine Zauberei. Oft lässt sich bereits mittels einfacher statistischer Methoden eine Diagnose stellen, die zuverlässiger ist als das Expertenurteil. Im klinischen Umfeld ist dies schon seit den 50er-Jahren bekannt. Damals legte der amerikanische Psychologe Paul E. Meehl seine Forschungsarbeiten zu statistischen Verfahren in der Diagnose von psychischen Krankheiten vor. Zahlreiche Einzeluntersuchungen, die in den Folgejahren publiziert wurden, bestätigten die Überlegenheit der statistischen Methoden. Die Ärzteschaft vertraute dennoch lieber ihrem eigenen Expertenurteil. Erst heute, im Zeitalter von Big Data und einem zunehmenden Effizienzdruck in den Kliniken, setzen sich die statistikbasierten Verfahren allmählich durch.

Mehr zum Thema in TR-Sonderheft "Digitale Revolution"