Bundestag verabschiedet BKA-Gesetz mit heimlichen Online-Durchsuchungen

Das Parlament hat die umkämpfte Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) mit der Mehrheit der großen Koalition abgesegnet. Die Polizeibehörde erhält damit umfangreiche neue Kompetenzen im Anti-Terrorkampf.

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Der Bundestag hat die umkämpfte Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) mit der Mehrheit der großen Koalition in seiner Plenarsitzung am heutigen Mittwoch verabschiedet. Die Wiesbadener Polizeibehörde erhält damit trotz massiver Kritik selbst aus Ermittlerkreisen und entgegen der Stimmen der Opposition umfangreiche präventive Kompetenzen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Bis zuletzt besonders kontrovers war die Lizenz für heimliche Online-Durchsuchungen informationstechnischer Systeme. Sie wird gemäß dem Kompromiss von Union und SPD sowie den darauf basierenden Änderungen des Innenausschusses zunächst bis 2020 erteilt. Bei Gefahr im Verzug kann der BKA-Präsident die Maßnahme ohne richterliche Genehmigung anordnen.

Das künftige Arsenal für das BKA umfasst Befugnisse für bundesweite Rasterfahndungen unter Einschluss von Datensammlungen "nicht-öffentlicher Stellen", die präventive Telekommunikationsüberwachung einschließlich Abhören der Internet-Telefonie sowie zum großen Späh- und Lauschangriff auf Wohnräume mit winzigen Kameras und Wanzen. Die Ermittler dürfen zudem Verbindungs- und Standortdaten abfragen, Mobiltelefone mit dem IMSI-Catcher orten und Platzverweise erteilen. Dies ging dem medienpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss zu weit. Er scherte aus der Fraktionsdisziplin aus und votierte gemäß einer Erklärung (PDF-Datei) gegen das Gesetz wegen der Online-Durchsuchung, der Vermengung geheimdienstlicher und polizeilicher Aufgaben und des mangelnden Schutzes von Journalisten. 14 SPD-Abgeordnete gaben in einer gemeinsamen Deklaration ihre Bedenken gegen das Gesetz zu Protokoll.

Oppositionspolitiker kritisierten bei der über einstündigen abschließenden Debatte das Vorhaben scharf. Die Innenexpertin der FDP-Fraktion sprach von einem rechtsgeschichtlichen Novum, "auf das der Rechtsstaat besser verzichten sollte". Es handle sich um die "nicht zu verniedlichende" Bündelung aller Dinge, die irgendwo in einem Polizeilandesgesetz aufgeführt seien. Konkret hob die Liberale die Aushöhlung des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern, die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung ohne Hürden für das Ausspähen des gesamten Systems und die weiten Bestimmungen zur Überwachung von Kontakt- und Begleitpersonen, die "jeden treffen kann".

"Wir werden ein deutsches FBI bekommen und eine Polizei, die zugleich ihr eigener Geheimdienst ist", warnte der grüne Innenpolitiker Wolfgang Wieland. Durch Überzentralisierung entstehe eine Monsterbehörde ohne parlamentarische Kontrolle. Hauptproblem sei, dass die Arbeit des BKA immer weiter in den Geheimbereich verlegt werde, was zu einer "entfesselten" Polizei führe. Dem Vorhaben liege eine falsche Sicherheitsphilosophie zugrunde. Von ihm gehe das "verheerende Signal an die Länder" aus, "der Bund macht das jetzt". Ulla Jelpke bemängelte für die Linken, dass die "oberflächlichen Änderungen" der Koalition nicht darüber hinwegtäuschen können, dass dem Gesetz der Atem eines Obrigkeitsstaates anhänge. Der ganze Komplex heimlicher Bespitzelungsmaßnahmen werde dem BKA weit im Vorfeld eines konkreten Verdachts ausgehändigt. Dies sei ein "gefährlicher Schritt in den Überwachungsstaat".

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl wähnt die Koalition dagegen auf der sicheren Seite: "Dieses Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben." An die FDP appellierte der CSU-Politiker, ihren " Kreuzzug gegen die heimliche Online-Durchsuchung in Berlin nicht auf die Spitze treiben" und gleichzeitig in Bayern das Instrument zuzulassen. Weiter bezeichnete er es als "reine Panikmache", wenn Gegner den Bundestrojaner als "Mittel des totalen Überwachungsstaates diffamieren".

Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mahnte ein Ende von Kampagnen an, "unseren freiheitlichen Verfassungsstaat in einer Weise zu diffamieren, dass es bei jungen Leuten so ankommt, als sei es die Stasi". Die Polizei habe die Aufgabe, falls möglich, Straftaten zu verhindern. Dafür müsse sie versuchen, die Kommunikation, die Verbrechen vorhergeht, heimlich abzufangen. Insofern "schaffen wir nicht neue Befugnisse, sondern reagieren auf technische Entwicklungen." Zugleich ging der CDU-Politiker davon aus, dass "alle Länder" Kompetenzen wie für Online-Razzien bräuchten und diese nun nach und nach bekämen. Dies führte Schäuble zu dem Schluss zurück, dass sie dem BKA nicht zu verwehren seien. Der Minister hatte vorab bereits versichert, dass das Projekt "zu hundert Prozent" dem Grundgesetz entspreche.

Politiker der Grünen wollen neben dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und der Journalistin Bettina Winsemann alias Twister, die beide parallel bereits erfolgreich wegen der Regelung zu verdeckten Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen nach Karlsruhe gezogen waren, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einreichen. Die Humanistische Union kündigte an, das Vorhaben zu unterstützen und die Klageschrift für Winsemann auszuarbeiten. Die Bürgerrechtsvereinigung beklagte, dass es in Zukunft immer wieder vorkommen werde, "dass in die Computer völlig unverdächtiger Bürger eingebrochen wird".

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Ausforschung von Computern und Festplatten im Februar enge Grenzen gesetzt. An die Vorgaben hat sich die große Koalition teils gehalten. So dürfen die Beamten den Bundestrojaner nur bei Gefahren für Leib, Leben und Freiheit sowie Bedrohungen, die den Bestand des Staates oder die Grundlagen der menschlichen Existenz berühren, einsetzen.

Laxer gingen Union und SPD mit den Richtlinien aus Karlsruhe zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und dem neuen Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme um, was bereits frühzeitig Warnungen etwa des früheren Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem auslöste. So soll eine Online-Razzia nur bei der kaum vorstellbaren Konstellation von vornherein unterbleiben, wenn "allein" Erkenntnisse aus der Intimsphäre erfasst werden könnten. Für eine Prüfung abgezogener Materialien auf die Berührung des Kernbereichs hält die Koalition zudem zwei BKA-Beamte und den Datenschutzbeauftragten der Behörde für ausreichend.

Vertreter der Grünen hatten am Mittag gemeinsam mit der Ortsgruppe Berlin des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung in der Nähe des Reichstags gegen die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs demonstriert. Drei Aktivisten, die während der Lesung im Bundestag auf der Besuchertribüne Plakate mit der Aufschrift "BKA-Gesetz gefährdet die Demokratie" hoch hielten, wurden vorübergehend in Sicherheitsgewahrsam genommen.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (pmz)