Journalistenverband warnt vor "Leserreporter"-Aktion

Am 4. Dezember bringt die Handelskette Lidl eine "Leserreporterkamera" auf den Markt. Eine mitgelieferte Software sorgt dafür, dass die Filme zum Online-Portal des Boulevardblatts "Bild" geschickt werden können.

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Am 4. Dezember bringt die Handelskette Lidl eine "Bild.de"-Leserreporterkamera auf den Markt. Wenn das Gerät an einen Computer angeschlossen wird, öffnet sich ein Programm, mit dem die Filme zum Online-Portal des Boulevardblatts geschickt werden können, berichtet dpa. Für "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann ist das eine wichtige "Medien-Evolution". Er hatte das Vorhaben im September angekündigt und auf der Online-Marketingmesse OMD vorgestellt, wie Bildblog.de dokumentiert. Nun warnt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) vor einer Entwertung der professionellen Arbeit.

Die 86 Gramm wiegende Kamera von Creative hat eine Auflösung von 640 × 480 Pixeln und eine Aufnahmezeit von bis zu zwei Stunden. Sie soll 70 Euro kosten und in 3000 Lidl-Filialen erhältlich sein. Mit ihrer Hilfe entwickelt "Bild" die Aktion Leserreporter weiter. Seit Mitte 2006 hat das Blatt rund 9000 Bilder von Lesern in der Zeitung und mehrere 10.000 Fotos im Internet veröffentlicht. "Wir erhalten bis zu 4000 Fotos am Tag. Insgesamt hat uns das fast 1000 Aufmacherstorys gebracht", betont Diekmann. Professionelle Fotografen könnten nicht überall sein. Für jedes gedruckte Bild erhält ein Amateurknipser 500 Euro. Ob auch Videos honoriert werden, ist noch nicht entschieden.

Für den DJV-Bundesvorsitzenden Michael Konken wird mit dem Verkauf der Videokameras eine neue Dimension erreicht. "Das bringt uns im Journalismus nicht weiter und es ist eine Aufforderung, Grenzen zu überschreiten", sagt er. "Viele werden unter Missachtung aller Persönlichkeitsrechte versuchen, Prominenten aufzulauern." Diese Art von Sensationsjournalismus könne leicht außer Kontrolle geraten. Bei Autounfällen würden zu allererst Kameras gezückt und damit Hilfskräfte sowie professionelle Journalisten behindert.

Diekmann hält solche Einwände nicht für stichhaltig. "Leserreporter sind eine sinnvolle Ergänzung und machen den Journalismus interessanter und besser", meint er. Paradebeispiel ist für Diekmann eine Leserreporter-Aufnahme vom Machtwechsel bei der SPD-Klausur Anfang September am Schwielowsee bei Potsdam. Ein Amateur fotografierte Kurt Beck kurz nach dessen Rücktritt bei einem gemeinsamen Spaziergang mit seinem Nachfolger Frank-Walter Steinmeier. "Es war das einzige Foto und ist ein historisches Dokument geworden." Diekmann verweist darauf, dass viele bedeutende Aufnahmen zufällig entstanden sind, von der Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 bis zum Absturz der Concorde in Paris. Auch Pannen könnten schlechter vertuscht werden.

Diekmann betont auch die strenge Prüfung der Aufnahmen. "Wir hatten bisher nur drei bis vier rechtliche Auseinandersetzungen in zwei Jahren." Auch der Berliner Medienanwalt Christian Schertz, der drei Leser-Fotos von Joschka Fischer, David Odonkor und Lukas Podolski unter Hinweis auf Persönlichkeitsrechte verbieten ließ, kommt inzwischen zu dem Schluss: "Die Praxis hat gezeigt, dass stringenter als früher versucht wird, Rechtsverstöße zu vermeiden." Schertz hatte voriges Jahr der "Bild" einen "Aufruf zum massenweisen Rechtsbruch" vorgeworfen, wenn sie versuche, über Leserreporter an Fotos von Menschen ohne deren Wissen zu gelangen. (anw)