Kommentar zur Elektromobilität: Mauern in den Köpfen

Sonderrechte für Elektroautos, Ladestationen entlang Autobahnen, rollende Pufferbatterien für die Energiewende – über manche Initiative zur Förderung der Elektromobilität kann sich c't-Autor Richard Sietmann nur wundern. Er fährt privat ein E-Auto.

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  • Richard Sietmann
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Wie weit kommt man damit? Die Frage kommt stets als erste. So auch unlängst wieder, als Volkswagen auf Berlins ehemaligem Flughafen Tempelhof den e-up und den e-Golf der Öffentlichkeit vorstellte. Deren Reichweiten sind mit maximal 160 beziehungsweise 190 Kilometern angegeben. Und wenn man, fragte der Moderator den Entwicklungsleiter, damit nun zum Bodensee will? Es werde demnächst Schnellladestationen entlang der Autobahnen geben, an denen sich die Batterie in einer halben Stunde wieder bis auf 80 Prozent der Kapazität aufladen lasse, lautete die Antwort.

Ein Kommentar von Richard Sietmann

Richard Sietman ist Diplom-Physiker, langjähriger Wissenschaftsjournalist und c't-Autor. Er beschäftigt sich mit Kommunikationstechnik und TK-Politik. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der E-Autos verfolgte er lange Zeit nur am Rande – bis vor zwei Jahren die Nachfolge des in die Jahre gekommenen Altwagens anstand.

Geht's noch? Für die 800 Kilometer von Berlin nach Konstanz bedeutet das fünf bis sechs Zwangspausen von mindestens einer halben Stunde. Lässt sich ein Auto, das aufgrund seiner begrenzten Reichweite nur zum Stadtauto taugt, nicht einfach als Stadtauto vermarkten?

Meine Frau und ich fahren seit anderthalb Jahren rein elektrisch. Der i-MiEV von Mitsubishi – gebraucht als Vorführwagen erstanden – passt nahezu perfekt in unser Nutzungsprofil. Für uns ist das Auto ein Fortbewegungsmittel unter anderen, um von A nach B zu gelangen. Im Berliner Stadtverkehr bewegen wir uns ganz nach Lust und Laune "multimodal" mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder halt dem Auto. Reisen unternehmen wir mit der Bahn oder dem Flugzeug.

Herstellerangaben von einer Normreichweite von 150 Kilometern hin oder her – für uns war entscheidend, die insgesamt 75 km quer durch die Stadt zum Flughafen und zurück unter realen Bedingungen vollbeladen mit Gepäck zu meistern, ohne auf der Stadtautobahn zum Ärgernis zu werden. Und das schafft der i-MiEV (Höchstgeschwindigkeit 130 km/h) mit Bravour. Wieder daheim, ist der "Tank" nur zu drei Viertel leergefahren; die Batteriestandsanzeige zeigt noch vier von 16 Teilstrichen an.

Mit der Reichweitenangst, die wir nicht haben, kann man inzwischen auch promovieren. Sie grassiert wohl eher bei denjenigen, die kein Elektroauto fahren und damit falsche Vorstellungen verbinden. Die Restreichweiten-Anzeige (s. Kasten) des i-MiEV arbeitet zuverlässig. Wir haben zwar Ladekabel und Verlängerungsschnur stets dabei, doch als Rettungsanker traten sie noch nie in Aktion. Sollten wir tatsächlich einmal stranden, würden wir uns halt abschleppen lassen. Eine Maximalentfernung von 100 Kilometern ohne Zwischenhalt zum Aufladen als Faustregel, und somit ein Aktionsradius von 50 Kilometern hin und zurück, reicht für uns im Alltag völlig aus. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher PKW wird in Deutschland am Tag 36 Kilometer bewegt.

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Reichweiten-Transparenz

Bei der neuen Generation von Elektroautos wollen die deutschen Hersteller den psychischen Druck, es nicht mehr bis nach Hause zu schaffen, mit einem simplen Tastendruck mindern. Im e-Up beispielsweise schaltet einmal drücken vom 'Normal'- in den Eco-Modus, der einen mit verringerter Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit fast genau so gut voran, aber dafür etwas weiter bringt. Ein zweites Drücken setzt im Eco+-Modus die Fahrleistung noch stärker herab und mobilisiert so zusätzliche Reserven. Der dritte Tastendruck oder das Durchtreten des Fahrpedals schalten wieder in den Normal-Betrieb zurück.

Getankt wird unproblematisch in der Garage über die mit 16A abgesicherte 230V-Steckdose. Das Ladekabel mit dem klassischen Schuko-Stecker gehört zum Fahrzeug; es mussten keine extra Leitungen verlegt werden. Der Ladestrom beträgt knapp 14 A. Da wir den Akku nie ganz leer fahren, dauert eine vollständige Aufladung mit circa 12 bis 15 kWh zwischen vier und fünf Stunden. Unserer Erfahrung nach braucht man weniger als 15 kWh pro 100km; bei einem Preis von 30 Cent pro kWh belaufen sich die Fahrtkosten auf höchstens 4,50 Euro/100km.

Öffentliche Ladestationen spielen in unserem Nutzungsverhalten keine Rolle. In Berlin gibt es bereits rund 400; eine steht nur 500 Meter von uns entfernt verwaist an einer Hauptverkehrsstraße und wird praktisch nie genutzt. Rein rechnerisch kommt in Deutschland auf etwa 3000 PKW eine Tankstelle; vergleichsweise müssen sich nur sechs E-Autos eine der bundesweit 2100 Ladestationen teilen. In Berlin sogar nur drei. Doch in Fachkreisen gilt der Mangel an Ladestationen im öffentlichen Raum als Haupthindernis, dass dem Ziel der Bundesregierung im Wege steht, bis 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschland Straßen zu bekommen.

Um die Akzeptanz zu steigern, fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) jetzt mit knapp 9 Millionen Euro die Schaffung eines "Schnellladenetzes für Achsen und Metropolen" (SLAM). An dem Projekt, in dem bis 2017 bis zu 400 Schnellladesäulen aufgestellt werden sollen, sind die Automobilhersteller BMW, Daimler, Porsche und VW, sowie der Deutsche Genossenschaftsverlag, das Energieversorgungsunternehmen EnBW, die Universität Stuttgart und die RWTH Aachen beteiligt. Viel sinnvoller als an Hauptstraßen wäre die Einrichtung in Einkaufszentren und vor allem auf Firmenparkplätzen für Berufspendler, für die sich ein E-Auto am meisten lohnt, weil die niedrigeren Betriebskosten den höheren Anschaffungspreis am schnellsten ausgleichen.

Über die bereits bestehende Kfz-Steuerbefreiung von derzeit zehn Jahren hinaus sollen nach den Vorstellungen des Bundesverkehrsministers neue Anreize mehr Menschen dazu bewegen, sich ein Elektroauto zuzulegen. Ende April verständigte er sich mit dem Umweltministerium auf Eckpunkte eines Elektromobilitätsgesetzes. Geplant ist die Einführung von Sonderrechten wie kostenfreies Parken und die Nutzung der Busspuren. Zu diesem Zweck müssten die Fahrzeuge mittels eines speziellen Kennzeichens für jedermann als bevorrechtigt erkennbar sein.

Das Vorhaben ist widersinnig und läuft auf die Abschaffung der Busspuren hinaus. Die sollen ja dem Öffentlichen Personennahverkehr einen Vorrang einräumen, damit die Busse nicht im Stau stecken bleiben. Staus entstehen aber nicht durch die Antriebsart, sondern durch den gleichzeitigen Flächenbedarf der Fahrzeuge, und der wird auch bei zunehmender Verbreitung von Elektrofahrzeugen nicht geringer. Wenn die Anreize wie beabsichtigt wirken sollten und die Zahl der E-Autos steigt, wird es auf den Sonderspuren eng. Dann müssen entweder die Busspuren oder die Sonderrechte wieder abgeschafft werden. Privilegien für alle, das hat noch nie funktioniert.

Aber wer die Diskussionen über die Elektromobilität verfolgt, kann sich ohnehin nur wundern. Da gibt es futuristische Visionen, die Verkehrswende mit der Energiewende zu koppeln. Dazu sollen die Akkus der E-Autos als Stromspeicher in das Energieversorgungsnetz eingebunden werden. Wenn das Fahrzeug ungenutzt in der Garage steht, könnte der vollgeladene Akku Energie ins öffentliche Netz zurückspeisen und auf diese Weise Bedarfsspitzen im Stromverbrauch abmildern.

Offenbar haben Drittmittel-bedürftige Wissenschaftler mit der Idee eine neue Finanzierungsquelle aufgetan. Mittlerweile rankt sich eine ganze Forschungsindustrie um smarte Schlagworte wie SmartGrid, SmartHome, SmartCity, SmartEnergy und Smart Metering. Mir kommt die Vehicle-to-Grid-Integration so vor, als wollte man den dritten Schritt vor dem ersten tun. Die dezentrale Energiespeicherung ist zweifellos vonnöten, doch sollten Politik und Elektrizitätswirtschaft erst einmal selbst ihre Hausaufgaben der Energiewende erledigen, bevor sie potenzielle E-Autokäufer mit unrealistischen Konzepten davon abhalten, den ersten Schritt zu tun.

Ich kann mir jedenfalls kein Tarifmodell vorstellen, das so attraktiv wäre, dafür in Kauf zu nehmen, dass sich die Lebensdauer der Antriebsbatterie durch unkalkulierbare, zusätzliche Lade- und Entladevorgänge zugunsten der allgemeinen Stromversorgung möglicherweise verkürzt. Es sei denn, Vattenfall, EnBW, Eon oder RWE stellen mir den rollenden Energiespeicher kostenlos zur freien Verfügung in die Garage.

Mittlerweile hat sich die Begeisterung für das Crowdsourcing von Stromspeichern etwas abgekühlt – vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass wenn sich zwei Wende-Lahme zusammentun, sie gemeinsam auch nicht schneller vorankommen, hauptsächlich aber wohl mangels Masse: Bundesweit sind derzeit knapp 13.000 Elektroautos zugelassen; die meisten davon rollen bei Autovermietungen, im Rahmen von Car-Sharing-Projekten oder bei Firmen für Studien zu umweltfreundlichen Lieferkonzepten. Und es gibt Fachleute, die halten die Elektromobilität auf den Straßen sogar für einen Irrweg. "Der Verbrennungsmotor wird über die nächsten 100 bis 300 Jahre konkurrenzlos bleiben", prognostiziert etwa der renommierte Motorentwickler und emeritierte Maschinenbau-Professor der TU Wien, Fritz Indra.

Zugegeben, wenn ich 74 wäre und mein ganzes Arbeitsleben nichts anderes getan hätte als Verbrennungsmotoren zu konstruieren, dann würde ich mein Lebenswerk auch nicht als abgeschlossene Episode der Technikgeschichte abstempeln lassen wollen.

Elektroautos in Deutschland (70 Bilder)

Volkswagen liefert seit September 2020 mit dem ID.3 den ersten Elektro-Pkw seiner Großoffensive auf dem E-Sektor aus.
(Bild: heise Autos)

(anw)