Bundesnetzagentur peilt Glasfaser bis ins Haus an

Fiber-to-the-Home mit 100 MBit/s sollte hierzulande "mittelfristig" angestrebt werden, erklärte eine Vertreterin der Bundesnetzagentur im Bundestag bei einer Anhörung, in der es auch um die "Romantik" der Netzneutralität ging.

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Iris Henseler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, ist es leid, dass immer nur Regionen wie Korea und Asien, Skandinavien oder die Niederlande als Musterknaben im weltweiten Breitbandwettlauf gelten. Die von der Deutschen Telekom derzeit angebotenen 50 MBit/s via VDSL seien "lächerlich", befand die Regulierungsexpertin am Donnerstag bei einer Anhörung über Next Generation Networks (NGN) im Unterausschuss Neue Medien des Bundestags. Man müsse etwa auch an das Internet der Dinge nebst dem Anschluss von RFID-bestückten Gütern ans Netz denken. Der Bandbreitenbedarf gehe so weit "über das hinaus, was wir uns als Konsumenten meist vorstellen". Langfristig sollte eine Versorgung der Haushalte mit Glasfaser per Fibre-to-the-Home (FTTH) mit Geschwindigkeiten bis zu 100 MBit/s hierzulande angestrebt werden.

Um zunächst den Breitbandausbau in der Fläche und später die neuen Hochgeschwindigkeitsbahnen wirtschaftlich interessant zu machen, möchte Henseler-Unger Investoren "größere Sicherheit geben als bislang vorgesehen". So sollte die Überprüfung der bestehenden konkreten Regulierungsauflagen für einzelne Unternehmen nicht mehr bereits alle zwei Jahre erfolgen, wie es das Telekommunikationsgesetz (TKG) derzeit vorsieht. Praktikabler wären Anpassungen alle fünf oder zehn Jahre. Dies müsse aber von Brüssel abgesegnet werden. Wie der Prozess der Umstellung auf gemischte Kupfer-Glasfasernetze mit FTTH konkret gestützt werden könne, ist auch für Bernd Holznagel vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster eine der Kernfragen in der Debatte um NGN. Denkbar sei prinzipiell ein Paket an Maßnahmen, das von der Bereitstellung von Leerrohren über Zugangsregulierungen bis zur Risikobelohnung durch Prämien oder die besonders umstrittenen "Regulierungsferien" reiche. Eine genaue Antwort könne er noch nicht geben.

Vor allem bei den digitalen Netzen der nächsten Generation mit ihrem umfassenden IP-Transport sowie unterschiedlichen Schaltungs- und Lenkungstechniken sieht der Rechtsprofessor auch das Problem der Netzneutralität stärker in den Vordergrund rücken. Bisher handle es sich um einen "Kampfbegriff" der politischen Diskussion in den USA, bei der noch die alte Welt des Internetprotokolls mit ihrer "Ende-zu-Ende-Verbindung" im Zentrum stehe. Konkrete Verstöße gegen das Prinzip des offenen Internet könne man bisher an einer Hand abzählen. Es werde zwar ab und zu die Erhebung einer "Datenmaut" für Google und andere Internetgrößen angedroht, was jedoch noch kein Anbieter gewagt habe. Wenn es künftig prinzipiell nur noch eine technische Netzinfrastruktur gebe, wofür das NGN-Konzept stehe, werde es einfacher möglich, Geschwindigkeiten zu reduzieren oder Inhalte zu blockieren. Es müsse aber nicht nur im Interesse der Innovation jedem Interessenten möglich sein, "Dienste durch die Netze zu kriegen" und dem Endnutzer Angebote zu unterbreiten. Relevant sei dies auch verfassungsrechtlich.

Nicht mit dem Grundgesetz vereinbar hält Holznagel auch eine Sperrung von Internetanschlüssen nach wiederholten Urheberrechtsverstößen, wie es Frankreich zur Bekämpfung illegaler Filesharing-Aktivitäten anstrebt und auch in die EU-Debatte eingeführt hat. "Das ist eine völlig verrückte Idee", assistierte ihm der Informatikberater Rainer Fischbach. Es sei "völlig indiskutabel", Nutzern "auf Verdacht hin einfach das Netz abzuzwacken". Die neuen Netze haben laut dem Publizisten Vor- und Nachteile aus Sicht der Surfer: Man könne damit "tiefer in die Pakete reinschauen" und das Transport- und Anwendungsprotokoll ermitteln. Dies erfolge schon am Eingang des Netzes, sodass klassifizierte Pakete effizienter gelenkt werden könnten. Andererseits sei der Infrastrukturanbieter einfacher in der Lage, vermeintlich "böse" Inhalte auszufiltern.

Generell machte Fischbach große Defizite des klassischen IP-Netzes aus. So gebe es darin einen Bruch zwischen den Internetpaketen und der Transportinfrastruktur im Backbone-Bereich. Eine Leistungsqualität bei der Übertragung könne nicht garantiert werden. Zudem sei das bestehende Internet durch "Überflutung" im hohen Maße verwundbar. Das NGN gebe den Netzbetreibern dagegen Mittel in die Hand, um Dienste garantiert abzuwickeln und die Robustheit der Übertragung zu erhöhen. Dies widerspreche aber der "reinen Idee der Netzneutralität", die Fischbach somit als "ein bisschen romantisiert" darstellte. Schließlich sei es wenig sinnvoll, den Betreibern "eine veraltete IP-Routing-Architektur vorzuschreiben". Er plädierte für eine "differenzierte Netzneutralität". Diese solle den Anbietern alles erlauben, um die Robustheit zu stärken. Gleichzeitig müssten sie aber auf Qualitätsnormen verpflichtet werden und die Ausführung von Anwendungen in dieser oder jener Form garantieren.

Andererseits sieht Fischbach mit dem Konvergenznetz NGN, mit dem das alte leitungsgebundene Telefonnetz zu den Akten gelegt werden soll, die große Gefahr von fehlender Redundanz und Ausweichrouten heraufziehen. "Beim Ausfall eines zentralen IP-Knotens werden wir es erleben, dass das Netz zusammenbricht." Dann könne man nicht einmal mehr einen Telefonanruf tätigen. Ausfallstrecken müssten daher sorgfältig geplant werden. Generell plädierte Fischbach zudem für eine Stärkung der Nutzerrechte. Die Freiheit zum Veröffentlichen von Inhalten im Netz oder eine Mindestbandbreite sollten gesetzlich festgeschrieben werden. Was die Abgeordneten mit dem Rundumschlag zur Netzregulierung machen, steht in den Sternen. Der Ausschussvorsitzende Christoph Pries (SPD) resümierte, dass man "technisches und juristisches Neuland betreten" habe, und kündigte weitere Sitzungen zu dem breiten Themenfeld an. (Stefan Krempl) / (pmz)