Ex-Verfassungsrichter: Staat muss vor NSA-Ausspähung schützen

Verfassungsrechtler haben bei der ersten Expertenanhörung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags deutlich gemacht, dass Sicherheitsbehörden etwa gegen illegale Abhöranlagen hierzulande vorgehen müssen.

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Die früheren Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Wolfgang Hoffmann-Riem haben staatliche Stellen daran erinnert, dass sie angesichts der Massenausspähung der NSA und ihrer Partnerdienste deutlich mehr tun müssten zum Schutz von Bürgern und Unternehmen. Es gebe eine "klare Pflicht" für die Behörden der Länder, etwa gegen dafür genutzte ausländische Abhöranlagen in Deutschland vorzugehen, betonte Papier bei der ersten "Zeugenvernehmung" im parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschuss am Donnerstag. Es gelte, eine "Störung der öffentlichen Sicherheit" zu unterbinden. Dabei gebe es keinen Ermessensspielraum.

Die Regierung muss mehr gegen die umfassende Überwachung unternehmen, findet Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier.

(Bild: Wikipedia / Tobias Klenze / CC-BY-SA 3.0)

Der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts unterstrich bei der über vierstündigen Anhörung mit Twitter- und Foto-Verbot, dass "der Staat seinen grundrechtlichen Schutzpflichten durch hinreichende Vorkehrungen genügen muss". Diese Aufgabe begründe unter anderem eine staatliche Verpflichtung, eine "grundrechtswahrende" Informationsinfrastruktur zu schaffen.

Auch sei denkbar, die strafrechtlichen Konsequenzen der "unbestimmten Datenausspähung" zu verschärfen. Zudem solle der Gesetzgeber dringend vom "Tatort- auf das Schutzprinzip" umstellen, sodass bestimmte Handlungen ausländischer Behörden leichter für rechtswidrig erklärt und hiesige Partner der Beihilfe bezichtigt werden könnten.

Papier machte deutlich, dass ein "Ringtausch" sensibler Informationen zwischen Sicherheitsbehörden in der Regel grundrechtswidrig sei: Ein Austausch sowie insbesondere strafrechtliche Verwertung von Daten mit ausländischen Geheimdiensten sei verfassungsrechtlich ausgeschlossen, wenn diese Informationen mit Methoden erlangt worden seien, die Mindeststandards der deutschen Grundrechte nicht genügten. Für Papier ist es auch "nicht tragbar" an daraus gezogenen Erkenntnissen zu partizipieren, zumindest hafte nachfolgenden Datenverarbeitungsprozessen der ursprüngliche "Makel" an.

Die Spähprogramme der NSA und ihrer Mitstreiter ähneln nach Auffassung des Staatsrechtlers im Kern der Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsbereich. Er verwies darauf, dass das Urteil dazu aus Karlsruhe jede Form der "flächendeckenden, vorsorglichen, anlasslosen Speicherung aller Telekommunikationsverkehrsdaten" für verfassungswidrig erklärt habe. Dieses "sehr rigide und einschränkungslose" Verbot gehöre zur "verfassungsrechtlichen Identität" der Bundesrepublik und binde deren Organe, sich auch etwa auf der EU-Ebene dagegen einzusetzen. Der Europäische Gerichtshof habe dies Sicht inzwischen bestätigt.

Damit seien auch die äußeren Umstände der Telekommunikation geschützt, führte Papier aus. Eine flächendeckende Erfassung von Verbindungs- und Standortdaten auf gewisse Zeit könne von einer höheren Eingriffsintensität sein als das teilweise Abhören von Inhalten. Zudem entfalte das in Artikel 10 Grundgesetz festgeschriebene Telekommunikationsgeheimnis unmittelbaren Schutz gegenüber Eingriffen deutscher Behörden. Dieser umfasse auch Ausländer, selbst wenn beide Endpunkte der Telekommunikation im Ausland lägen. Ferner seien Grundrechtseinschränkungen verfassungswidrig, wenn sie von deutschem Boden aus "mit Billigung und Duldung" deutscher Behörden erfolgten.

Die staatlichen Schutzaufträge fänden sich nicht nur in Grundrechten, sondern auch in demokratischen Zielbestimmungen und Sondernormen etwa zur Gewährleistung einer funktionsfähigen und sicheren Telekommunikationsinfrastruktur, ergänzte Hoffmann-Riem. Der Systemschutz habe eine herausragende Bedeutung gewonnen. Die Politik müsse daher möglicherweise über einen teilweise "Rückbau" des Netzes im Sinne eines nationalen Routings oder einer "Schengen-Cloud" nachdenken.

Wenn ausländische Staatsorgane in Deutschland hiesige Gesetze verletzten, müssten deutsche Behörden dies unterbinden, stellte der frühere Justizsenator Hamburgs klar. Der Grundrechtsschutz der Bürger sei insgesamt ein so hohes Gut ist, habe der Staat Flagge zu zeigen: "Diplomatisch leise Pfoten reichen nicht aus." Den konkreten Schutzbedarf müsse der Gesetzgeber ausgestalten und diese Frage möglicherweise auch mit anderen Staaten in gemeinsamen Abkommen angehen.

[Update 23.05.2014 7:39]

Den Fokus auf die Überwachungstätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes (BND) legte der Mannheimer Staatsrechtler Matthias Bäcker. Schon dessen "harmloseste" Befugnis zum Erheben von Telekommunikationsverkehrsdaten im Einzelfall sei "recht weit gefasst", monierte der Jurist. So greife diese etwa schon beim Anknüpfen an die Planung einer Planung eines staatsgefährdenden Delikts.

Beim Rastern der internationalen Telekommunikation mit Suchbegriffen hält Bäcker die Begrenzungen für fragwürdig. So sei etwa die Vorgabe, 20 Prozent der Übertragungskapazität einer Leitung durchsuchen zu dürfen, an der Satellitenkommunikation entwickelt worden. Der heutige Datenverkehr sei dagegen mit Überkapazitäten abgesichert. So liege beim zentralen deutschen Netzknoten De-Cix die durchschnittliche Auslastung bei unter 20 Prozent. Der BND dürfte diesen so theoretisch komplett überwachen. Zudem laufe die Beschränkung, nicht nach spezifischen "Anschlüssen" suchen zu dürfen, in der Netzkommunikation weitgehend ins Leere.

Die umfassende "Auslandsaufklärung" des BND mit Abhörkompetenzen bezeichnete Bäcker als rechtswidrig, da dem verbrieften Schutz auch von Ausländern nicht Rechnung getragen werde. Der Gesetzgeber müsse diese neu regeln und dem Geheimdienst hier klare Grenzen setzen. (axk)