Human Rights Watch: FBI züchtet Terroristen

Das FBI soll unbescholtene Bürger angestiftet, finanziert und ausgerüstet haben, um sie dann als Terroristen überführen zu können. Gerne auch Personen mit psychischen Beeinträchtigungen, kritisiert die NGO.

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Inhaltsverzeichnis

Das FBI soll seit Jahren Personen zur Vorbereitung von Terrorismus angestiftet, bezahlt und ausgerüstet haben, um dann spektakuläre Verhaftungen vornehmen zu können. Die Folge sind sehr lange Gefängnisstrafen für Menschen, die von alleine nie zu Terroristen geworden wären. Diese Vorwürfe erhebt Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht.

In dem Bericht werden 27 Gerichtsverfahren aus dem Zeitraum nach dem 11. September 2001 näher untersucht. Sie wurden nicht repräsentativ, aber bewusst aus verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten ausgewählt. Die Autoren führten über 200 Interviews mit Richtern, gegenwärtigen oder ehemaligen Staatsanwälten, Regierungsvertretern, Wissenschaftlern, Beschuldigten und Verurteilten sowie deren Familien, Freunden und Nachbarn über diese 27 Fälle.

"Schauen sie näher hin und sie sehen, dass viele dieser (Verurteilten) niemals eine Straftat verübt hätten, wären sie nicht von den Behörden ermuntert, unter Druck gesetzt und manchmal bezahlt worden, um Terrorakte zu setzen", sagte Andrea Prasow vom HRW-Büro in Washington, D.C. Zwar hätten viele Anklagen korrekterweise Personen belangt, die mit der Planung oder Finanzierung von Terror befasst waren. Doch in vielen anderen Fällen wären die später Verurteilten von selbst nie dazu gekommen. Zudem würden sogar wohltätige Spenden als Terrorunterstützung kriminalisiert.

Die US-Regierung betrachte amerikanische Muslime grundsätzlich als zukünftige Terroristen. Innerhalb dieser Gruppe hätten die Lockspitzel vor allem leicht manipulierbare Personen angestiftet: Menschen mit psychischen Problemen, Personen mit niedriger Intelligenz, Gläubige auf der Suche nach religiösen Antworten sowie Menschen in Geldnot.

Die Lockspitzel wiederum waren meist vorbestraft oder wurden bei einer Gesetzesübertretung erwischt, etwa mit einem gefälschten Führerschein. Um nicht selbst ins Gefängnis zu müssen, verdingten sie sich als Informanten. Damit standen sie unter dem Druck, Terroristen liefern zu müssen. Das FBI habe zudem wissentlich unzuverlässige Lockvögel eingesetzt. HRW berichtet über einen Spitzel, der als Zeuge in einem Terrorprozess beim Meineid erwischt wurde. Das FBI setzte ihn trotzdem wieder ein.

In mehr als der Hälfte der Verfahren haben im Auftrag des FBI agierende Spitzel eine zentrale Rolle gespielt. In etwa jedem dritten Fall haben diese Spitzel nicht nur Informationen gesammelt, sondern eine aktive Rolle in der Vorbereitung beziehungsweise versuchten Durchführung des Terrorismus gespielt. Ohne diese Unterstützung wären manche später Verurteilte schon aus finanziellen Gründen nicht in der Lage gewesen, eine Waffe zu kaufen oder auch nur zum Ort des geplanten Anschlags zu fahren.

Im prominenten Fall des "Newburgh-Quartetts" lieferte die Regierung zwei (unschädlich gemachte) Bodenluftraketen sowie (falschen) Plastiksprengstoff an Personen, die alleine nie auf die Idee gekommen wären, solche Mittel einzusetzen. "Der einzige Grund, warum die Regierung Raketen in diesen Fall eingebracht hat, ist, mich rechtlich daran zu hindern, (eine Strafe von weniger als 25 Jahren) zu verhängen", führte die zuständige Richterin aus.

HRW hat mehrere Fälle aufgedeckt, in denen Geständnisse erpresst worden sein dürften. Einerseits werden Beschuldigte in den USA durch extrem lange Isolationshaft zermürbt. In den 27 untersuchten Fällen waren 22 Beschuldigte schon vor dem Gerichtsverfahren in Isolationshaft. Die meisten länger als ein Jahr, einer sogar fast sechs Jahre. Während dieser Zeit galten sie als unschuldig. Wer sich schließlich schuldig bekennt, verzichtet auf ein Verfahren mit Geschworenen und wird nur von einem Richter verurteilt.

Aber nicht nur psychische, auch körperliche Folter dürfte zu Geständnissen geführt haben. HRW berichtet von saudischen und israelischen Agenten. Ein Verurteilter hatte zwei Geständnisse in Hebräisch unterschrieben, ohne diese Sprache zu sprechen. Auch das wurde von dem US-Richter als Beweismittel anerkannt. Er glaubte nicht an die Folter.

HRW kritisiert auch den Ablauf der Gerichtsverfahren: Zweifelhafte Beweise, von denen manche gar nichts mit dem Fall zu tun haben, sollen Richter und Geschworene beeindrucken. Geheime Beweise, anonyme Zeugen sowie anonyme und parteiische Geschworene erschwerten die Verteidigung weiter. Auch Protokolle von Folterverhören Dritter wurden als Beweismittel zugelassen, in dem von HRW geschilderten Fall allerdings auf Verlangen der Verteidigung.

In Dutzenden Fällen wären überdies Beweise aus abgehörten Telefonaten und Durchsuchungen genutzt worden, die mangels richterlichen Befehls in einem normalen Strafverfahren unzulässig gewesen wären. Die Staatsanwaltschaft beruft sich immer wieder auf die Genehmigungen des Spionagegerichts FISC (Foreign Intelligence Surveillance Court). Diese Genehmigungen sind geheim, so dass die Verteidigung sie nicht wirksam anfechten kann.

Mit dem PATRIOT Act wurde die Definition der "wesentlichen Unterstützung" von Terrorismus erheblich ausgeweitet ("material support"). Dabei wird zwischen Vorbereitung, Versuch und tatsächlicher Unterstützung kein Unterschied gemacht. HRW berichtet etwa von einem Apotheker, der verurteilt wurde, weil er Texte und Videos aus dem Arabischen übersetzt und online gestellt hatte. Laut Anklage stand die Website in Verbindung mit Al-Kaida.

Selbst wohltätige Spender landeten in US-Gefängnissen: Sie hatten für Notleidende in Palästina gespendet – an die selben Einrichtungen, die auch von der US-Regierung finanziell unterstützt wurden. Den privaten Spendern aber wurde das von Anklage und Geschworenen als "material support" der Hamas ausgelegt.

Und das geht so: Diese palästinensischen Hilfsorganisationen verrichteten gute Werke, was einen Teil des sozialen Programms der Hamas verwirkliche. Ihr Sozialprogramm helfe der Hamas dabei, die palästinensische Bevölkerung für sich zu gewinnen. Und die Unterstützung in der Bevölkerung erleichtere es dem militärischen Flügel der Hamas, Terroranschläge durchzuführen.

Seit 11. September 2001 haben US-Bundesgerichte über mehr als 500 Personen wegen Terrorismus sowie Terrorismus-Bezug strafrechtlich geurteilt. Das brachte über 900 Verurteilungen. Etwa drei Viertel der Urteile ergingen ohne Geschworene, weil sich die Angeklagten schuldig bekannt hatten. Üblich sind sehr lange oder lebenslängliche Haftstrafen, weil es für die selbe Straftat jahrzehntelange Haftzuschläge gibt, sobald Terrorismus(-Bezug) angenommen wird.

Dazu kommt, dass bei Terror(bezug) automatisch das höchstmögliche Vorstrafenregister angenommen wird, selbst wenn der Verurteilte unbescholten war. US-Strafgerichte können außerdem ein angenommenes "tatsächliches Verhalten" des Angeklagten als Grundlage für besonders lange Haftstrafen heranziehen. Dieses "tatsächliche Verhalten" ist aber nicht Teil der Anklage und wurde nicht nachgewiesen. Damit fehlt dem Angeklagten die Möglichkeit, sich gegen diese Vorwürfe zu wehren. Trotzdem können die Richter mit dieser Begründung Urteile verhängen, die weit über die gesetzlichen Maximalstrafen hinausgehen.

(ds)