NSA-Affäre: Bundesregierung weiß nichts von Wirtschaftsspionage

Der NSA-Whistleblower Edward Snowden und seine Vorgänger haben wiederholt gewarnt, dass das US-Überwachungssystem auch eine weitgehende Industriespionage ermögliche. Berlin hat dafür keine Beweise.

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Der Bundesregierung liegen "aktuell" keine konkreten Belege zu möglichen Spionageangriffen US-amerikanischer Dienste auf deutsche Unternehmen vor. Dies geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor, die Netzpolitik.org vorab veröffentlicht hat. Auch aus der deutschen Wirtschaft habe es "bislang keine Verdachtsmeldungen" über solche Tätigkeiten der NSA und anderer US-Geheimdienste gegeben.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Edward Snowden hatte den USA zuvor vorgeworfen, mit ihren Spionageprogrammen nicht nur nach möglichen Terroristen zu fahnden, sondern auch Wirtschaftsspionage zu betreiben. "Wenn es etwa bei Siemens Informationen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen – aber nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben –, dann nehmen sie sich diese Informationen trotzdem", erklärte der NSA-Whistleblower in einem Interview.

Der frühere NSA-Technikchef William Binney hat ebenfalls mehrfach betont, dass das gesamte Überwachungssystem Industriespionage im großen Stil begünstige. Vertragspartner etwa hätten Zugang zu den Datenbergen und daraus erstellten Analysen und könnten so Offerten von Konkurrenten unterbieten. Berichten zufolge soll der britische NSA-Partner GCHQ gezielt deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen wie Cetel, die IABG oder Stellar ausspioniert haben.

Insgesamt tappt die Bundesregierung bei Wirtschaftsspionage hierzulande weitgehend im Dunkeln. Sie verweist darauf, dass es sich dabei lediglich um einen "Phänomenbereich" handle, nicht um einen feststehenden Rechtsbegriff. So sei etwa nicht klar zu unterscheiden zwischen der "Ausforschung von Unternehmen und Betrieben" einerseits und Spionage im Rüstungsbereich oder Zusammenhängen des illegalen Verbreitens von Waffen. Eine aufgeschlüsselte Statistik nach Jahren, Anzahl der Verfahren, Tätern und Ergebnissen sei daher nicht erstellbar.

Für Fälle von Wirtschaftsspionage gibt es für die Wirtschaft dem Innenministerium zufolge auch keine "gesonderten, vorgeschriebenen oder durch Absprachen festgelegten Meldewege". Berichte über eine vermeintliche Schadenssumme in Höhe von 50 Milliarden Euro hierzulande weist es zurück. Das "Sicherheitsforum Baden-Württemberg" habe in einer Studie allein ein "wirtschaftliches Gefährdungspotenzial" in dieser Höhe errechnet.

Handfeste Schlussfolgerungen aus den im Raum stehenden Aussagen zu Industriespionage durch die USA will die Bundesregierung nicht ziehen. Sie verweist darauf, dass Washington mehrfach versichert habe, "dass die dortigen Dienste keine Wirtschaftsspionage betreiben". Auch zu möglichen Tätigkeiten der NSA oder anderer US-Behörden in ausländischen Staaten hat Berlin "keine Erkenntnisse". Dies gilt auch für private Sicherheitsfirmen, die im Auftrag ausländischer Dienste oder Unternehmen hierzulande Betriebe ausschnüffeln könnten.

Generell setzt die Bundesregierung "auf eine breite Aufklärungskampagne" im Bereich des Wirtschaftsschutzes. Das Thema Industriespionage werde etwa jedes Jahr im Verfassungsschutzbericht hervorgehoben. Eine "abgestimmte Dachstrategie" solle folgen. Der Staat könne Unternehmern aber nur "Hilfe zur Selbsthilfe" etwa mit Aufklärungsbroschüren geben. Das Bundeskriminalamt (BKA) betreibe zudem ein "Netzwerk Wirtschaftskriminalität", das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unterhalte eine Allianz für Cybersicherheit und den deutschen CERT-Verbund. (anw)