Freiheit statt Angst: "Wir brauchen einen Snowden im BND und Verfassungsschutz"

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin erneut für mehr Datenschutz und gegen die Massenüberwachung durch Staat und Wirtschaft. An die Regierung appellierten sie, "die Schnüffler endlich an die Kette zu legen".

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Mit einem sinnbildlichen "Rückentraining für Angela Merkel" und nachdrücklichen Aufrufen an die Bundesregierung, in der NSA-Affäre "endlich konsequent" aufzuklären, startete am Samstagnachmittag in Berlin die Großdemo "Freiheit statt Angst" unter dem Motto "Aufstehen statt Aussitzen". "Wir sind hier, um unsere Freiheit und unsere Demokratie zu verteidigen", erklärte Christoph Bautz vom Netzwerk Campact.

Freiheit statt Angst (18 Bilder)

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

"Unser aller Handys werden überwacht, wir alle werden ausspioniert und Sie tun nichts dagegen", warf Bautz der Kanzlerin vor. "Warum greifen Sie nicht endlich zum Hörer und lesen Obama gehörig die Leviten?" Der Bundesnachrichtendienst (BND) dürfe auch nicht länger Helfershelfer der NSA sein, dem Whistleblower Edward Snowden müsse endlich hierzulande Asyl gewährt werden. Die Verhandlungen der EU über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA seien zudem angesichts des NSA-Skandals sofort zu stoppen, sonst "können wir unsere Datenschutzstandards einpacken".

"Wir brauchen einen Snowden im BND und Verfassungsschutz und jede Menge Zivilcourage", stieß Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte ins gleiche Horn. Das Whistleblowertum habe im digitalen Zeitalter "existenzielle Bedeutung" gewonnen und müsse endlich menschen- und völkerrechtlich geschützt werden. Statt die Menschen vor geheimdienstlicher Überwachung zu bewahren, würden die Sicherheitsbehörden aufgerüstet und seien tief ins globale Abhörsystem verstrickt, empörte sich Gössner, der lange Jahre selbst von Staatsschützern überwacht wurde. Es sei zu einem "schamlosen Wettrüsten in globalem Informationskrieg" gekommen, in dem es nur vordergründig um Terrorabwehr gehe.

Generalbundesanwalt Harald Range warf Gössner "Realitätsverleugnung hart an der Grenze zur Strafvereitelung im Amt" vor, da dieser aufgrund der vielen eingereichten Strafanzeigen "nur wegen des unfreundlichen Angriffs auf das Handy der Kanzlerin" ermittle, nicht aber wegen der Rechtsverletzungen aller Bundesbürger. Snowden habe dagegen "seine persönliche Freiheit riskiert, um die unsere zu schützen". Letztlich müssten Geheimdienste vollständig aufgelöst werden. Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk verlangte ebenfalls einen besseren gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern in Behörden und Betrieben. "Illegale Staatsgeheimnisse" dürfe es nicht mehr geben.

"Wir müssen aufstehen für das Post- und Internetgeheimnis, für Verschlüsselung und Anonymität", beschwor der Netzaktivist Jacob Appelbaum die Menge vor dem Brandenburger Tor. "Sind Sie bei Geheimdiensten?", fragte er in die Runde. "Leak more documents!", müsse dann die Ansage lauten. Parallel rief der IT-Sicherheitsexperte dazu auf, Überwachungsbehörden gezielt zu unterwandern und von dort aus Dokumente zu befreien. Ferner sei es wichtig, freie Software zu schreiben, sie zu finanzieren und zu benutzen.

Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar wünschte sich eine Gesellschaft, "die dem Überwachungswahn entsagt". Am Tag der Berliner Einschulung gehe es darum, ob die zweite Generation der digital natives in einer Welt aufwachsen werde, die durch umfassend Registrierung, totale Überwachung und Selektion gekennzeichnet sei und zu Duckmäusertum führe, oder ob sie zu "mutigen Menschen" heranreife, "die ihre Meinung sagen und dafür keine Nachteile befürchten müssen".

Als "gute Nachricht" wertete es der Bürgerrechtler, dass der Europäische Gerichtshof die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kassiert habe. Trotzdem lebe die Idee der Protokollierung der Nutzerspuren "wie ein Untoter" weiter. So habe Großbritannien etwa jüngst ein Gesetz erlassen, das noch über die gekippten EU-Vorgaben hinausgehe. Dagegen müsse die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Insgesamt hätten die Sicherheitsbehörden mehr Daten zur Verfügung denn je und seien höchstens auf dem rechten Auge blind.

Die Veranstalter sprachen von rund 6500 Teilnehmern und warfen der Bundesregierung sowie der "großen Koalition der Ängstlichen" noch stärker als im Vorjahr vor, sich angesichts der Realität gewordenen "grenzenlosen Überwachung" in "stoischer Untätigkeit" zu üben. Merkel und ihre Ministerriege seien dabei, "unsere Grundrechte aufzugeben".

Ein Jahr nach den Enthüllungen von Edward Snowden machten NSA, BND, GCHQ einfach weiter, schöpfen flächendeckend und verdachtsunabhängig alle Daten ab und seien eng verflochten mit den Datenkraken von Google, Microsoft, Facebook, Amazon & Co. Diese Strategie des Aussitzens dürfe im Interesse einer freien, demokratischen und offenen Gesellschaft aber nicht aufgehen.

Netzaktivist padeluun von der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage hatte in der von ein paar Regentropfen angefeuchteten Eröffnungsrunde die Parole ausgegeben, am Tag der offenen Tür der Bundesregierung "das Regierungsviertel zu umkreisen". Besondere Auflagen der Polizei gebe es eigentlich keine; Anonymous-Masken seien erlaubt, solange sie nicht zur Vermummung verwendet würden. Der Co-Organisator bat zugleich um Spenden, da die bordeigenen Mittel für die Durchführung einer Veranstaltung dieser Größe nicht ausreichten: "Ein politischer Kampf braucht auch Geld."

Zu dem Protestmarsch rief wieder ein breites Bündnis aus Bürgerrechtlern, Parteien und anderen Organisationen auf. Es erstreckt sich vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und Chaos Computer Club (CCC) über FDP, Grüne, Linke und Piraten bis hin zum Bundesverband der Verbraucherzentralen. Der Demonstrationszug führte am Hauptbahnhof und Kanzleramt vorbei. Die Abschlusskundgebung soll von 17:30 Uhr an wieder am Brandenburger Tor stattfinden.

Die Digitale Gesellschaft hatte am Freitag rechtzeitig vor dem Großereignis "Demotipps für den sicheren Umgang mit Handys" veröffentlicht. Einerseits ist das Mitnehmen von Smartphones demnach zwar richtig und wichtig, um Bilder und Videos etwa zum Dokumentieren von Polizeieinsätzen zu machen. Andererseits warnt der Ratgeber auch, dass Strafverfolger schon des Öfteren "flächendeckende Funkzellenabfragen" während solcher Menschenaufläufe durchgeführt hätten. Dagegen sei kein Kraut gewachsen; das Nutzen verschlüsselter Kommunikationswege verhindere aber zumindest Abhöraktionen. (dwi)