Explosion einer US-Weltraumrakete: Ursachenforschung beginnt im Morgengrauen

Die Insel Wallops ist nach der Explosion Dienstagabend weitläufig abgesperrt. Die Schäden sind noch nicht abschätzbar. Im Dezember könnte SpaceX Ersatzausrüstung zur ISS bringen.

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Zur möglichen Ursache der Explosion einer Antares-Rakete am Dienstagabend wollte sich keiner der Beteiligten äußern. "Was wir wissen, ist im Wesentlichen, was wir im Video gesehen haben", sagte Frank Culbertson, ehemaliger Astronaut und nunmehr Vizepräsident bei Ortbital Sciences. Zur Startrampe sei bisher noch niemand vorgedrungen. Das soll erst zu Tagesanbruch in Angriff genommen werden. Seine Firma hätte mit der Rakete im Auftrag der NASA den Raumtransporter Cygnus zur ISS schießen sollen.

"Wir wissen nicht, ob der Raketenantrieb in die Explosion involviert war", stellte Mike Suffredini von der NASA fest. Er war vom Johnson Space Center zugeschaltet worden. Die Einsatzkräfte haben zunächst die Insel Wallops weitläufig abgeriegelt, sowohl von der Landseite als auch von der Seeseite her. Das dient, zumindest auch, dem Schutz Neugieriger. Denn einige Wrackteile könnten hochgiftig sein.

"Wenn Sie irgend etwas finden, das angeschwemmt wurde, oder das (auf ihren Grund) gefallen ist, rufen Sie (die Einsatzzentrale) an. Fassen Sie es keinesfalls an", warnte Culbertson. Die erste Stufe der Rakete sei mit flüssigem Sauerstoff und Kerosin angetrieben worden. "Ich würde meinen, dass das ganze Kerosin verbrannt ist", mutmaßte er aufgrund des Videos. Aber bei der zweiten Stufe und beim Raumtransporter Cygnus waren fester respektive hypergoler Treibstoff dabei (HTPB und Aluminium beziehungsweise Hydrazin und Stickstoffoxide).

Der Umfang der Sperrzone konnte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von NASA und Orbital Sciences Dienstagabend nicht geklärt werden. Mit "mehr als 21 Quadratkilometer aber weniger als 3.626 Quadratkilometer" blieben die Angaben vage. Ein Teil der Cygnus-Ladung ist übrigens geheim. Es soll sich um kryptologische Hardware gehandelt haben.

Apropos Sperrzone: Der Start war eigentlich schon für Montag geplant gewesen. Doch ein Segelboot habe die Sperrzone ingoriert, teilte die NASA am Montag mit. Deshalb sei das Unterfangen verschoben worden. Trotzdem war am Dienstag das Besucherzentraum bis auf den letzten Platz gefüllt. Manche Journalisten mussten von einer Brücke in größerer Entfernung zuschauen.

Frank L. Culbertson, Jr., Orbital Sciences: "Keinesfalls am Strand auf Souvenirsuche gehen!"

(Bild: Screenshot NASA TV)

Der durch die Explosion verursachte Schaden kann noch nicht abgeschätzt werden. Die Kosten von Rakete und Raumtransporter alleine belaufen sich auf 200 Millionen Dollar. Dazu kommt die verlorene Fracht, etwaige Schäden am Boden, und eine ellenlange Liste an Neben- und Folgekosten.

Teilweise ist Orbital Sciences versichert, aber ob dieser Schutz greift, wird unter anderem von der Ursache des Unglücks abhängen. Die NASA verwies bei der Frage nach ihren Schäden auf "Vorkehrungen in den Verträgen" mit Orbital Sciences, ohne Details zu nennen.

Orbital Sciences hat angekündigt, gemeinsam mit NASA, dem Staat Virginia, der US-Flugsicherheitsbehörde FAA und weiteren Experten die Ursache zu erforschen. Dabei wird auf drei Ebenen vorgegangen: Zunächst müssen Mannschaften in das Gebiet um die Startrampe vordringen, die Wrackteile lokalisieren, sie markieren und schließlich untersuchen.

Parallel sollen Daten aus raketeninterner sowie externer Telemetrie ausgewertet werden. "Das wird einige Verarbeitung und Nachverarbeitung erfordern", dämpfte Colbertson die Hoffnung auf schnelle Ergebnisse, "und eine sehr ausgeklügelte Auswertung (um zu sehen), was wir daraus lernen können." Drittens sind da "Dutzende Kameras". "Wir müssen schauen, ob wir irgend etwas (Hilfreiches) auf den Videos sehen können. Das ist bei Nacht(aufnahmen) ein bisschen schwieriger."

Die Startrampe auf der Insel Wallops ist (oder war) die einzige, die für Antares-Raketen zertifiziert ist. Sie zu reparieren ist für das Unternehmen Orbital Sciences also von hoher Priorität. "Wir versichern Ihnen, dass wir herausfinden werden, was schief gelaufen ist", gab sich Colbertson standfest. "Wir werden es reparieren und wir werden fliegen." Und zwar von der Insel Wallops aus, "sobald wir es sicher tun können."

Wie viel Zeit bis dahin vergehen wird, ist völlig offen. Eine Prognose wird es erst in mehreren Wochen geben. Und die Explosion könnte für Orbital Sciences mehr als ein technologischer Rückschlag sein: Seit April ist eine Fusion mit den Waffen- und Luftfahrt-Sparten von Alliant Techsystems (ATK) geplant. ATKs Sportwaffenabteilung soll dabei abgespalten werden.

Am 9. Dezember werden die Aktionäre beider Unternehmen getrennt über die Fusion abstimmen. Bis dahin muss Orbital Sciences wohl das Vertrauen der ATK-Teilhaber zurückgewinnen.

Michael T. Suffredini managt das ISS-Programm der NASA.

(Bild: Screenshot NASA TV)

Ebenfalls für den Zeitraum um den 9. Dezember ist der Start eines SpaceX-Transports zur ISS geplant. Dessen Ladeliste wird nun Stück für Stück analysiert und teilweise verändert werden. Es gilt, die Auswirkungen des Unglücks auf die ISS zu minimieren. Eine Änderung ist schon bekannt: Ein für die ISS vorgesehener Sauerstofftank wird wohl durch einen Stickstofftank ersetzt werden. Ein solcher war an Bord von Cygnus.

"Wir haben einiges an Forschungshardware verloren", gab Suffredini unumwunden zu. "Wir werden mit den verschiedenen Lieferanten zusammenarbeiten, um sie wiederzubeschaffen." Die Mannschaft der ISS sei aber nicht in Gefahr. Die auf der ISS gebunkerten Vorräte würden "bis ungefähr März" vorhalten. Und: "Wir haben viele Möglichkeiten, die Crew zu unterstützen." (ds)