EU-Staaten wollen die Netzneutralität verwässern

Die italienische Ratspräsidentschaft möchte Providern mehr Möglichkeiten geben, Internetverkehr zu verändern, zu blockieren oder zu drosseln. Roaming-Gebühren sollen nicht mehr komplett entfallen.

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Netzausbau - Internet

(Bild: dpa)

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Nach langem Zögern hat sich die italienische Ratspräsidentschaft jetzt doch an den Entwurf für ein neues Regulierungspaket für Telekommunikationsanbieter gemacht. Dabei ist sie auf Konfrontationskurs zum EU-Parlament gegangen, das seine Position im April festgezurrt und dabei die Netzneutralität gestärkt hatte. Parallel schlossen die Abgeordneten Lücken für "Spezialdienste", die Kritikern zufolge das offene Internet verdrängen und mautpflichtigen Überholspuren Vorrang einräumen könnten.

Geht es nach dem italienischen, als "vertraulich" gekennzeichneten Vorschlag von voriger Woche, den die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) jetzt veröffentlicht hat, sollen das Prinzip des offenen Internets und der Begriff der betreuten Sonderdienste im Gesetzespaket für den digitalen Binnenmarkt überhaupt nicht mehr definiert werden. Erläuterungen sollen höchstens in den Erwägungsgründen verankert werden. Dies hätte zur Folge, dass die Bestimmungen rechtlich deutlich schwerer durchsetzbar wären.

Zudem möchte die Ratspräsidentschaft die Möglichkeiten von Telekommunikationsfirmen erweitern, Internetverkehr zu blockieren, zu verlangsamen, zu verändern oder zwischen spezifischen Inhalten, Anwendungen, Diensten oder Qualitätsklassen zu unterscheiden. Entsprechendes Netzwerkmanagement soll nicht mehr nur erlaubt sein, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder gerichtlich angeordnet wurde, sondern etwa auch zum Ausfiltern von Spam, zum Bewahren der Integrität und Sicherheit des Netzes, zur Abwehr von Staus im Datenverkehr oder zum Sicherstellen vom Nutzer gewünschter Qualitätsstufen sowie der Sprachkommunikation.

Insgesamt sieht der Änderungsantrag keine hohen Hürden mehr für ein Zwei-Klassen-Netz vor. Provider könnten schier nach Belieben kostenpflichtige Zusatzdienste einführen. Im Ministerrat soll das Papier in den kommenden Tagen diskutiert werden, viel Widerstand ist dort aber nicht zu erwarten. Die Italiener halten in einem Begleitschreiben fest, dass ihre Initiative bei den Mitgliedsstaaten bislang wohlwollend aufgenommen worden sei. EDRi warnt dagegen vor einer Schwächung der Bürgerrechte. Während US-Präsident Obama sich für echte Netzneutralität stark gemacht habe, wolle Europa den Providern Monopole auf Online-Zugänge zugestehen. Der alte Kontinent drohe so, auf einem Internet-Trampelpfad zu landen.

Auch am Vorstoß der EU-Kommission und des Parlaments, Roaming-Gebühren in Bälde zu streichen, wollen die Italiener nicht festhalten. Stattdessen schwebt ihnen eine "Fair Use"-Klausel vor, wonach Mobilfunkkunden im Ausland für Telefonate, SMS oder Datenverkehr keine Vermittlungskosten zahlen müssten, solange alles im üblichen, aus dem Ursprungsland bekannten Nutzungsrahmen bleibe. Darüber hinaus sollen die Betreiber Roaming-Gebühren kassieren können. Kunden dürften in diesem Fall aber einen gegebenenfalls günstigeren Anbieter vor Ort auswählen. Nach dem Rat müssten die Korrekturansätze auch das EU-Parlament noch passieren. (vbr)