Ex-Verfassungsrichter: Schutz vor Massenüberwachung notfalls einklagen

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat dazu aufgerufen, "vielleicht auch mal das Extreme zu durchdenken" und Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn staatliche Schutzpflichten vernachlässigt werden.

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Ex-Verfassungsrichter: Schutz vor Massenüberwachung notfalls einklagen

Hans-Jürgen Papier

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

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Wenn der Staat seine umfangreichen Schutzpflichten gegen anlasslose Massenüberwachung der Bürger durch Geheimdienste nicht erfüllt, "müssen die Rechtsgarantien gerichtlich einklagbar sein". Dies machte der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier am Mittwoch auf einer Datenschutzkonferenz in Berlin deutlich.

Das Bundesverfassungsgericht hat Papier zufolge bereits angedeutet, "dass Unterlassungen von Schutzpflichten einklagbar sein können". Die Hürden dafür lägen zwar sehr hoch, da dem Staat immer ein recht großer Handlungsspielraum zugebilligt werde. Doch wenn der Grundrechtsschutz leerlaufe, sei dies ein "beschwerdefähiges Unterlassen". An diesem Punkt müsse "vielleicht auch mal das Extreme" durchdacht werden.

Insbesondere müssten die Urteile aus Karlsruhe zur Vorratsdatenspeicherung sowie zum neuen Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit von IT-Systemen umfassend durchgesetzt werden, meint Papier. "Die Menschenwürde ist nicht gegen andere Rechtsgüter abwägbar oder gar wegwägbar."

Für Papier steht außer Frage, dass sich die Bundesregierung und der Gesetzgeber für ein "effizientes Schutzregime" einsetzen müssten. Eventuell müssten die seit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht vom Bundesverfassungsgericht neu geschaffenen Schutzrechte direkt ins Grundgesetz aufgenommen werden, um sie stärker durchsetzbar zu machen. Zumindest müsse versucht werden, einer verdachtsunabhängigen Massenausspähung auch durch ausländische Dienste wie die NSA entgegenzuwirken. Alles andere wäre eine "Bankrotterklärung".

Leider habe der Gesetzgeber aber "den Eintritt ins digitale Zeitalter schlicht verschlafen", beklagte Papier. Dass das Verfassungsgericht schon vor Jahrzehnten unterstrichen habe, es gebe an sich kein unsensibles persönliches Datum mehr, sei lange belächelt worden. Nun falle es der Politik umso schwerer, "für einen hinreichenden Persönlichkeitsschutz zu sorgen".

Schließlich sei von der zunehmenden Spionage und die Datensammelwut auch von Firmen "die ganze öffentliche Kommunikation betroffen". Wenn etwa Pressevertreter nicht mehr wüssten, wann wer was über sie wisse und wie die Informationen verwendet werden könnten, "wird auch das demokratische Gemeinwesen gefährdet". Die Abschreckungseffekte für öffentliche Tätigkeiten seien "virulent".

Ernst Uhrlau

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

Ex-BND-Präsident Ernst Uhrlau zeigte sich aber "nicht optimistisch", dass die Politik die Kommunikation der Bürger und Unternehmen nachhaltig sichern werde. Schon bei der parlamentarischen Kontrolle von Geheimdiensten sei der Gesetzgeber zu seiner Zeit als Koordinator im Kanzleramt "sehr stark mit Sonntagsreden" unterwegs gewesen.

Auch neue gemeinsame internationale Absprachen zum Grundrechtschutz mit ausländischen Nachrichtendiensten hält Uhrlau für wenig aussichtsreich. Die USA etwa hätten das Ziel der weltweiten Informationsvorherrschaft. Wenn Deutsche da "über G10 reden, gucken uns die Amerikaner stirnrunzelnd an". (anw)