31C3: Datensammeln für "Big Daddy" in der NSA-Abhörstation Teufelsberg

Der Ex-NSA-Analyst Bill Scannell hat der Hackergemeinde Interna aus dem Horchposten des US-Geheimdienstes auf dem Berliner Teufelsberg verraten. Seine Unterscheidung zwischen guter Kalter-Krieg-Spionage und heutiger Massenüberwachung kam nicht gut an.

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31C3: Datensammeln für "Big Daddy" in der NSA-Abhörstation Teufelsberg

Die "Feldstation Teufelsberg" war im Kalten Krieg ein Lauschposten der NSA.

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Einer der geheimsten Lauschposten zur Fernmeldeaufklärung weltweit sei die "Feldstation Teufelsberg" der NSA während des Kalten Kriegs gewesen, erklärte der frühere Agent Bill Scannell auf dem 31. Chaos Communication Congress (31C3) in Hamburg. Mittlerweile sind Berichte und Bilder aus dem Innenleben des Lauschpostens inmitten der vormaligen Insel West-Berlin nach außen gedrungen, doch auch diese bleiben recht vage.

Der Ex-NSA-Analyst Bill Scannell arbeitete während des Kalten Kriegs im Horchposten des US-Geheimdienstes auf dem Berliner Teufelsberg.

Scannell hatte nun in seiner Vortragsankündigung versprochen, den Vorhang just vor der überwachungskritischen Hackergemeinde endgültig zu lüften. Potenzielle "Plauderer" seien zwar lange Zeit mit schweren Strafandrohungen in Zaum gehalten worden. Diese machten es auch ihm heute noch schwer, sich frei über seine zweijährige Zeit auf dem "Schuttberg aus dem Zweiten Weltkrieg" Mitte der 1980er zu äußern. Er fühle sich aber weitgehend sicher, da ein Kollege bereits als Doppelagent für die Russen aufgeflogen und mit 30 Jahren Gefängnis bestraft worden sei. Dieser habe alle möglicherweise noch verbliebenen Geheimnisse längst an den KGB verkauft.

Kern des Geschäfts während des Kalten Kriegs sei es gewesen, zu wissen, was die andere Seite wisse und diese teils auch wissen zu lassen, dass man dies wisse, führte der Ex-Soldat aus. Dies habe damit angefangen, dass man aus dem Kreml habe hören wollen, wie der Wetterbericht für Moskau sei, auch wenn man diesen aus der Zeitung hätte entnehmen können. Die bewusste Preisgabe eigenen Wissens sei etwa wichtig gewesen, als Ex-US-Präsident Ronald Reagan bei einer unwissentlich bereits übertragenen Mikrofonprobe öffentlich die Ansage gemacht habe, dass die Vereinigten Staaten in fünf Minuten einen Angriff auf die Sowjetunion starten würden. Durch das gezielte Durchstechen der Hintergrundinfos an die Russen habe erreicht werden können, dass deren zunächst sofort aufgeflammte militärische Aktivität wieder zurückgefahren wurde.

In einem anderen Fall sei es entscheidend gewesen, mehr zu wissen als der Gegner und zugleich mit höchster Gewissheit davon ausgehen zu können, dass die etwa vom Brocken im Harz aus lauschenden Russen davon nichts wüssten. So hätten er und seine Analystenkollegen auf dem Teufelsberg etwa 1985 in Erfahrung gebracht, dass das damalige sowjetische Staatsoberhaupt Konstantin Tschernenko gestorben sei und die Kommunisten dies drei Wochen lang während der Suche nach einem geeigneten Nachfolger geheim zu halten versuchten. Dieses durch "Smart Spying" erworbene Wissen habe führenden Politikern im Westen geholfen, in dieser Umbruchzeit einen kühlen Kopf zu bewahren.

Anfangs sei der NSA auch viel entgangen, wusste Scannell zu berichten. So habe es nach Aufnahme der Lauschtätigkeiten zunächst einen langen Rückstau aufgenommener Tonbänder mit abgehörten Telefonaten gegeben. Darunter hätten sich etwa auch Hinweise auf den Bau der Berliner Mauer befunden. In Folge habe es die Anweisung gegeben, stichprobenweise direkt in Mitschnitte hineinzuhören. Hauptaufgabe der Analysten sei es gewesen, als "Arbeitsbienen" tägliche Berichte für den NSA-Direktor zu erstellen. "Wir nannten ihn Big Daddy", witzelte der Aufklärungsspezialist. Dieser habe "alles gewusst" als "Hohe Königin", die den gesamten Nektar bekam.

Wirklich sicher hätten sich die Spione auf dem Teufelsberg wenige Kilometer vom Feindesland entfernt nicht gefühlt, räumte Scannell ein. Sie hätten daher einen regelrechten Galgenhumor entwickelt und etwa in die Kopfhörer der eigentlichen Lauscher blaues Durchschlagspapier gesteckt. Dies habe kreisrunde Flecken rund um die Ohren hinterlassen, die nur schwer zu entfernen gewesen seien. Andere Mitarbeiter seien in FDJ-Uniformen zum Dienst erschienen, manche seien selbst privat in Klamotten herumgelaufen, die aus Ost-Berlin stammten.

Die durchgeführte Kryptoanalyse verändert Scannell zufolge Verbindungen im Gehirn, sodass man die Zukunft teils nur noch in sehr begrenzter Weise vorhersehen könne. Ein neuer Vorgesetzter etwa habe mit ihm immer nur "das große Bild" diskutieren wollen. Dies habe ihn als kessen Mittzwanziger einmal dazu verleitet, eine kleine Zeitungsnotiz über eine potenzielle terroristische Bedrohung in einem Bericht mit irgendwie passend gemachten, abgehörten Informationen aufzubauschen. Da habe er gemerkt, dass aus einem solchen Spiel ganz schnell Ernst werden könne: Die Hölle sei losgebrochen, als der "Captain" die Meldung gelesen habe. Keiner habe mehr rein oder raus gedurft aus der Station, zu essen oder trinken habe es nichts mehr gegeben, bis sich der Sturm im Wasserglas wieder gelegt habe.

Ob die Verantwortung der Analysten nicht sehr groß gewesen sei, wollten Hacker im Anschluss wissen. Man könne gezielt Dokumente auswählen und daraus machen, was man wolle, bestätigte der Insider. Dies habe man im Vorlauf des Irak-Kriegs auch gesehen. Während des Kalten Kriegs habe sich aber ein kurzes "goldenes Zeitalter" der Fernmeldeaufklärung abgespielt, da es im Unterschied zu heute die ganz klare Regel gegeben habe, keine verdachtsunabhängige Massenüberwachung durchzuführen und vor allem nicht die eigenen Bürger auszuspionieren. Wenn jeder als Verdächtiger behandelt und "alles über jeden" gesammelt werde, handle es sich um einen "totalitären Akt" und die "reine Kontrolle".

Scannell plädierte dafür, die Reste des Horchpostens als Mahnmal zu erhalten, als ein "Symbol des Wissens, um einen Krieg zu verhindern". Er rede daher wie ein alter Stasi-Offizier, musste sich der Referent daraufhin aus dem Publikum anhören. "Wir haben in gutem Glauben gehandelt", hielt er dagegen, "dass das, was wir machen, besser ist als aufeinander zu schießen". (hos)