Verfassungsbeschwerde gegen Kfz-Kennzeichen-Scanning

Der Informatiker Benjamin Erhart hat beschlossen, gegen das in Bayern praktizierte massenhafte Erfassen von Nummernschildern Verfassungsbeschwerde einzulegen. Sonst drohe eine flächendeckende Überwachung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 215 Kommentare lesen
Vernetzte Autos

(Bild: dpa, Arbeitsgruppe Sichere Intelligente Mobilität SIM/T-Systems)

Lesezeit: 3 Min.

Das umstrittene Kfz-Kennzeichen-Scanning kommt erneut vors Bundesverfassungsgericht. Der IT-Experte Benjamin Erhart hat sich dafür entschieden, die massenhafte Erfassung von Nummernschildern und deren Abgleich mit Fahndungsdateien in Bayern vor das höchste Gericht zu ziehen. Er geht damit gegen das heise online mittlerweile vorliegende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor, das die Praxis im Herbst für rechtmäßig erklärt hatte.

Vertreten lässt sich Erhart weiter von Udo Kauss. Der Freiburger Rechtsanwalt hatte bereits 2008 Verfassungsbeschwerden gegen das Kfz-Kennzeichen-Scanning in Hessen und Schleswig-Holstein erfolgreich durchgefochten. Die dortigen Regeln verletzten Autofahrer in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, hatten die Verfassungshüter damals beschlossen. Die bisher mit dem bayerischen Fall beschäftigten Verwaltungsgerichte sahen dies bei den Befugnissen der Ermittler im Freistaat anders.

In dem Entwurf der Beschwerdeschrift warnt Kauss, dass ohne Korrektur der bisherigen Rechtsprechung "weitreichende negative Folgen für den Grundrechtsschutz" drohten. Das Verneinen jeglichen Grundrechtseingriffs durch den fehleranfälligen Massenabgleich führt laut dem heise online vorliegenden Papier "bei konsequenter Durchführung dazu, dass der Staat ohne gesetzliche Grundlage und ohne jegliche Einschränkung Informationen über menschliches Verhalten erfassen und auswerten kann".

Dies würde letztlich "den flächendeckenden Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur" nicht nur für Nummernschilder, sondern auch für eingeschaltete Mobiltelefone, Telekommunikation, menschliche Bewegungen und Stimmen zur Verhaltenserkennung, Gesichter oder auch die Iris ermöglichen. "Eine solche Welt allgegenwärtiger maschineller Erfassung wäre das Ende eines unbefangenen Lebens und das Gegenteil informationeller Selbstbestimmung und Privatsphäre", heißt es im Papier.

Die Bedeutung des informationellen Selbstbestimmungsrechts wird Kauss zufolge grundlegend verfehlt, "wenn der unbescholtene Bürger widerspruchslos jegliche Überprüfung hinnehmen soll, ob er vielleicht von 'behördlichem Interesse' sein könnte". Die Grundrechte würden so unter einen Staatsvorbehalt gestellt: Nicht die Obrigkeit solle mehr eine Rechtfertigung für ihre Maßnahme vorweisen müssen, sondern der Bürger hätte sich permanent einer "Unbedenklichkeitsprüfung" zu unterziehen. Diese einseitige Fixierung auf das staatliche Eingriffsinteresse verfehle den Zweck der Grundrechte fundamental.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor erklärt, dass die informationelle Selbstbestimmung nicht gefährdet werde, wenn ein "visueller Abgleich durch den damit betrauten Polizeibeamten" keine Übereinstimmung mit Fahndungsdatenbeständen ergebe und das erfasste Kennzeichen "sofort gelöscht wird". Dabei sei sichergestellt, dass die Anonymität des Fahrzeuginhabers nicht aufgehoben werde. In Bayern werden Auto-Kennungen an 12 Standorten auf 30 Fahrspuren im Auftrag der Polizei aufgenommen. Jeden Monat gleichen die Ermittler im Anschluss rund acht Millionen Fahrzeuge mit Fahndungslisten größtenteils automatisch ab. (axk)