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Was war. Was wird. Traurig und wütend, immer noch.

Man muss von den hohlen Peinlichkeiten der Politik reden und von den Verwirrungen des vermeintlich kleinen Mannes. Man muss sie aber nicht verstehen. Die Vielfalt und die Freiheit aber, die verlangt mehr als nur Toleranz, ist sich Hal Faber sicher.

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Eiffelturm
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Die Freiheit ist ein universelles Recht.

*** Liberté, Égalité, Fraternité – peng. Kaum ist der gemeine Anschlag auf Charlie Hebdo vorbei, kaum sind die Mörder getötet, die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt beendet, hat die große Sicherheitsdiskussion begonnen. Vergessen sind die Zeiten, als die französische Praxis der 12-monatigen Vorratsdatenspeicherung von Kriminalisten gelobt wurde, weil mit ihr auch das Bundeskriminalamt und das FBI arbeiten konnte. Stattdessen gibt es Stellungnahmen wie die von der Gewerkschaft der Polizei zur "verfassungskonformen Speicherung von Telekommunikationsdaten" und zur "besseren nachrichtendienstlichen Überprüfbarkeit von Finanzströmen", die auf einen Ausbau der Geheimdienste hinausläuft. Das wäre eine Karikatur wert, wie sich im Namen der Sicherheit der Schnüffelstaat weiter ausbreiten möchte und en passant auch die "Freiheit der Presse" anrempelt, die über Gebühr die Schönsprech-Betroffenheit prägte. Leider ist dieser Schonsprech-Duktus auch in die Verlautbarungen der Kritiker eingeflossen, wenn sie die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung beklagen und schwülstig eine "evidenzbasierte Sicherheitspolitik fordern: "Wer angesichts dessen nun gleichwohl die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung fordert, instrumentalisiert die Opfer dieses abscheulichen Verbrechens für seine Zwecke und trägt zur Irreführung der Öffentlichkeit bei."

*** Wer da anmahnt, man dürfe in den Tagen der Trauer nicht solche kritischen Töne anschlagen und müsse lieber "in Gedanken mit unseren französischen Nachbarn" und ihren Führern sein, die sich trefflich in Pose setzen, dem sei verlinkt: In Frankreich selbst hat La Quadrature due Net die neue Sicherheitsdebatte kritisiert. All das Fordern und Speichern auf Vorrat soll kaschieren, dass die Behörden die Überwachung der Täter reduzierten: "Wir sind unterbesetzt, wir müssten uns verdreifachen, um die Stadt besser schützen zu können." Der technische Glaube an die Machbarkeit von Sicherheit ist durch keine Satire zu erschüttern. Die Namen der Attentäter standen auf der US-amerikanischen No-Fly-Liste und im Datenverbund der Schengen-Länder. Es hat den Anschein, als ob im Gefängnis, unter Aufsicht des Staates, die entscheidenden Kontakte geknüpft wurden.

*** #JeSuisCharlie ist schnell getippt, aber ganz so einfach ist es nicht: Ich kann nicht zeichnen wie Georges Wolinski, der einmal seufzte, dass ihn die Humorlosen ins Grab bringen werden. Seine Worte über sein Frankreich sind online zu lesen. Mit Worten kann man nur an die Ideen der Vernunft erinnern. Man kann es aber auch gründlich falsch machen, wie es der Enthüller Glenn Greenwald demonstrierte. Noch gründlicher hat sich jedoch der Bundesverband der Zeitungsverleger bei seiner Solidaritätsaktion mit Charlie Hebdo vertan: je suis blöd. Das Kritiker-Wort von der, jaja, auch hier zu findenden Instrumentalisierung ist da noch handzahm.

*** Instrumentalisieren ist das Gebot der Stunde, besonders unter den Anhängern verschiedener Religionen. Es ist ein einziges Elend, wie es schon Karl Marx erkannte, als er seine bekannte Analogie über die Religion als Opium des Volkes schrieb. Weit weniger bekannt ist seine Analyse: "Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." In diesem Sinne hilft auch der reflexiv verarbeitete Anruf bei einem klugen Iman nicht weiter, die Hölle der Vorstädte zu erklären. War es nicht der ehemalige Präsident Sarkozy, der in den Banlieus "kärchern" wollte? Ihm wünschte der Geiselnehmer Coulibaly einen "Guten Morgen", als er Sarkozy im Rahmen eines preisgekrönten Sozialisierungsprojektes traf. In Frankreich leben mehr Muslime (und Juden) als in jedem anderen Land des datenbehüteten Schengen-Raumes; zwischen 1000 und 2000 wird die Zahl der Franzosen geschätzt, die für ISIS kämpfen sollen. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Al Quaida zugeschriebene Anschlag auf Charlie Hebdo als perfide Variante der Außenwerbung gelten, wie dies das Telefonat des Geiselnehmers mit der freien Presse nahelegt. Die gern angeführte Aufwertung des Terrors folgt medialer Logik. Nicht nur die Satire, die Revolution will übertragen werden.

*** Was bleibt angesichts der Außenstände des real existierenden Irrsinns? Wer nach absoluten Wahrheiten lechzt, hat schon verloren. Die hohlen Peinlichkeiten der großen Politik wie die des demonstrierenden "kleinen Mannes" auf der Straße müssen hier nicht weiter verlinkt werden. Die Toleranz zeigt sich nicht im Zitieren der Freiheit des Andersdenkenden, sondern im Aushalten der Vielfalt anders Denkender. Mehr gibt es nach dieser Woche nicht zu sagen. Und was wird dann? Das hängt von uns allen ab.

Was wird.

Richard Stallman würde nie ein Taxi von Uber bestellen, nicht einmal, um sich zu einem One-Night-Stand fahren zu lassen. Und das, obwohl er nichts gegen attraktive Fahrerinnen und Fahrer hat, die unterwegs eine Handentspannung oder Ähnliches anbieten, weil Stallman seit langem für die Legalisierung von sexuellen Dienstleistungen kämpft. Ganz nebenbei plädiert er dafür, den Quatsch von einer Sharing Economy umzubenennen. Es ist ein System, das auf die Ausbeutung von Subunternehmern setzt, schlicht PISSE aka piecework subcontractor share economy. Das alles dürfte Uber-Chef Travis Kalanick wenig beeindrucken, der sich am kommenden Wochenende erst nach München-Mitte zum DLD chauffieren lässt, ehe es im Uber-Schrauber zum Weltwirtschaftsforum in Davos geht. Welchselbiges nach den blümeranten weltrettenden Themen vergangener Jahre schlicht fragt, wie das "Business in a changing world" so läuft. Die Kernfragen der Konferenz sind schnell beantwortet. Haben wir die finanziellen Risiken der Globalisierung im Griff? Nö. Verfälschen die Märkte die Preise geopolitischer Gefahren? Aber hallo, wir haben uns doch grüne Ausgleichspünktchen dahinten im Amazonas-Gebiet gekauft. Wie kann der Markt der dezentralisierten Globalisierung funktionieren? Vielleicht gar nicht, solange von Märkren die Rede ist?

Die Freiheit ist immer die Stärkste.

(Bild: Plantu )

Märkte, Märkte, da war doch was? Richtig, vor 15 Jahren erschien das Cluetrain Manifest von den Märkten, die Gespräche sind und sich schneller selbst organisieren als die Unternehmen, die die Ausbeutung der Marktchancen betrieben haben. Nun haben zwei Unentwegte eine frisch renovierte Version des Manifestes veröffentlicht: Die Märkte sind voll von Trollen, Idioten und Schatzräubern, doch der größte Hammel sind wir alle als tumbe Horde, die es sich gefallen lässt, dass Trolle, Idioten und Schatzräuber trollen, beleidigen und räubern können. Wo ist unser Stolz auf dieses wunderbare Netz geblieben? Nach Knigge ist Stolz das Bewusstsein innerer Erhabenheit, das nur eine Person haben kann, nicht ein System von Röhren. Betrachten wir das Netz als Menschenwerk wie den Kölner Dom, dann Wird Alles Gut (tm). Punktum!

Doch halt! Es muss in dieser kleinen tristen Wochenschau eine Korrektur des letzten WWWWs nachgetragen werden: Zu meiner Schande habe ich nicht mitbekommen, dass die Stadt Hamburg die Sanierung ihres Kongresszentrums verBERt. Frühestens 2017 soll damit angefangen werden, womit der CCC seinen Spielort vorerst nicht aufgeben muss. Außerdem habe ich behauptet, dass der bei den Dresdener Datenspuren vorgestellte Ansatz, mit PEP die Kommunikation zu verschlüsseln, auf dem 31C3 keine Rolle spielte. Das stimmt so nicht, denn im Jahresrückblick wurde PEP erwähnt. Worum es bei dem dabei eigentlich geht, wird auch online sehr schön gezeigt. (jk)